
Marry Fermont
Väter | Geburt verpasst
Papas ante portas
Ein spezieller Zauber umgibt den Moment, in dem das Kind seine ersten Atemzüge tut. Wie ist das für Väter, die nicht dabei waren?





Es soll hier nicht um jene Väter gehen, die sich entschieden haben, bei der Geburt ihres Kindes nicht dabei zu sein. Sondern um solche, die den guten Willen hatten, jedoch durch äussere Umstände daran gehindert wurden. Zum Beispiel, weil das Kind zu früh kam und sie auf Geschäftsreise waren. Ein Mann, dem dies passierte, sass weinend im Flugzeug, während seine Frau in den Wehen lag. Er mag heute aber nicht mehr darüber reden. Ebenfalls nicht sprechen konnten wir mit einem Vater, dem es beim Anblick seiner stöhnenden und leidenden Frau urplötzlich schwarz vor den Augen wurde, sodass er bei der Ankunft des Nachwuchses selber ärztlicher Betreuung bedurfte. Doch ganz so oft wie der Mythos es kolportiert, trifft diese Situation im realen Leben nicht ein. Hanni Bürki, Hausgeburtshebamme mit 50 Jahren Berufserfahrung und über 1000 betreuten Geburten, erinnert sich bloss an ein einziges Mal, dass einem Mann unter der Geburt schlecht geworden sei. «Ich sagte ihm resolut, du chasch jetz nid verreise», erzählt die pensionierte Hebamme in breitem Berndeutsch.
Das Problem der Männer sei nicht das Ohnmächtig-Werden, sondern das Sich-Ohnmächtig- Fühlen. Deshalb setzt Bürki werdende Väter gern als «Gibmer-Häbmer-Reichmer» ein – der ihrer Meinung nach besten Rolle des Mannes während den Geburtsstunden. Was aber, wenn es weder eine Chance gibt, in Ohnmacht zu fallen, noch zu helfen, weil die Geburt schlichtweg ohne einen stattfindet? Fünf Väter erzählen:
«Die Geburt meiner Tochter ist schon 39 Jahre her, am selben Abend machte ich mir noch Notizen dazu. Als meine Frau Wehen bekam, rief mich die Hebamme an. Sie sagte mir, ich müsse mich nicht beeilen. Das tat ich denn auch nicht, schliesslich hatte die Geburt meines erstgeborenen Sohnes drei Jahre zuvor 22 Stunden gedauert. Damals war ich meiner Frau – ebenso selbstverständlich wie alle Männer in meinem Umfeld – zur Seite gestanden.
Ich machte mich trotzdem sogleich auf den Weg ins Spital und entschied mich dagegen, unterwegs noch einen Kaffeestopp einzulegen. Zum Glück! Denn als ich im Gebärzimmer ankam, war mein Kind soeben auf die Welt gekommen. Um fünf Minuten hatte ich den grossen Moment verpasst: den ersten Atemzug, das erste Weinen. Das Gefühl der Trauer darüber wurde aber sogleich durch eine grosse Dankbarkeit und Freude verdrängt, war ich doch rechtzeitig zum ersten Bad meiner Tochter eingetroffen.»
Es war Sonntagabend vor fast genau drei Jahren. Falleggers holten im luzernischen Schüpfheim Corinnes drei Kinder aus erster Ehe bei deren Vater ab. «Schon auf dem Hinweg hatten die Wehen angefangen und ich drängte die Kinder recht hektisch ins Auto», erinnert sich die damals hochschwangere Mutter. Paul Fallegger fuhr los, doch seine Frau war sehr unruhig. Bis ins Spital Einsiedeln in der Nähe ihres Wohnorts wären sie eineinhalb Stunden unterwegs gewesen. «Corinne meinte, das würde sie nicht schaffen, also lud ich sie beim Spital Wolhusen ab», erzählt der Vater. Ihm selber blieb nichts anderes übrig, als mit den drei Kindern nach Hause zu fahren, da diese Magendarmgrippe hatten. Im Spital hörten die Wehen bald auf, doch nach Hause konnte Corinne nicht, also legte sie sich schlafen. Um drei Uhr erwachte sie mit heftigen Wehen. «Nun ging es realtiv schnell, knapp eineinhalb Stunden später war Niculin da. Dies obwohl ich nicht richtig parat zum Loslassen war, weil mein Mann nicht dabei sein konnte.» Wenige Minuten nach der Geubrt rief sie ihn an, schickte ein Foto. Am nächsten Tag holte Paul Fallegger seine Frau und das Neugeborene ab. Er habe zu beissen gehabt an der Tatsache, dass er bei seinem einzigen leiblichen Kind die Geburt verpasst hatte, erinnert sich Corinne Fallegger. Mittlerweile scheint er sich damit abgefunden zu haben: «Es ist nicht so schlimm», meint er, «man hört von anderen so dieses und jenes über Geburten, vielleicht war es ja besser so, wie es war.»
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«Bei der Geburt unserer ersten Tochter, Simone (12), war ich zwar dabei. Dies war womöglich aber der Grund, dass ich mich bei der Geburt von Dominique (9) gar nicht mehr darum riss, meiner Frau Mercy (38) zu ‹assistieren›. Und das kam so:
Mercy wuchs in Ecuador in einem kleinen Indio-Dorf weit ausserhalb der grossen Städte auf. Dort ist das Gebären Frauensache. Für meine Frau war deshalb klar, dass sie ihre Mutter bei der Geburt unseres Kindes dabeihaben wollte. Und da ihre Mutter selber fünf Kinder geboren hatte und bei unzähligen Geburten bei Verwandten, Freundinnen und Nachbarinnen mit anpackte, ist sie in ihrem Dorf hoch oben in den Anden eine Kapazität. So hatte ich auch nichts dagegen, dass sie in die Schweiz flog, um uns für drei Monate zu unterstützen.
Ich selber wollte meiner Frau natürlich auch eine Hilfe sein. Als moderner Mann und Sozialarbeiter stand ausser Frage, dass ich ein souveräner Beistand gewesen wäre. Als die Wehen einsetzten, fuhr ich mit Mercy und der Schwiegermutter ins Zürcher Stadtspital Triemli. Aber je länger die Geburt dauerte, je stärker Mercy unter den Schmerzen litt, desto mehr fühlte ich mich aussen vor. Ich kapierte, dass meine Frau und ihre Mutter zusammen bestens funktionierten; ich stand irgendwie hilflos daneben. Gegen die geballte Präsenz meiner Schwiegermutter hatte ich keine Chance. Es entstand eine seltsame Konkurrenz zwischen ihr und mir – und im weiteren Sinn zwischen der schweizerischen und ecuadorianischen Kultur. Während bei uns von werdenden Vätern Präsenz eingefordert wird, warten die Männer in Ecuador im Vorzimmer, bis man sie ruft.
Bei der Geburt unserer zweiten Tochter, Dominique, war Simone drei Jahre alt. Wieder flogen wir die Schwiegermutter ein, wieder war klar, dass sie mit Mercy ins Spital fahren würde. Als es mitten in der Nacht losging, einigten wir drei uns unkompliziert, dass ich mit Simone zuhause bleiben würde. Das war, auch rückblickend, für alle die beste Lösung: Meine Frau fühlte sich aufgehoben mit ihrer Mutter, diese wiederum war in ihrem Element als ‹Hilfshebamme› – und ich brauchte die eigene Hilflosigkeit und die blutige und schmerzvolle Angelegenheit nicht noch einmal zu durchleben.
Nein, mir fällt kein Stein aus der Krone, weil ich die Geburt von Dominique ‹verpasst› habe. Bei ihrem Anblick fünf Stunden nach der Geburt war ich genauso überwältigt wie beim ersten Kind. Und was mehr zählt als die paar Stunden Präsenz des Vaters während der Geburt, ist sein Einsatz in den folgenden Jahren.»
Manchmal spielt das Leben ein rätselhaftes Spiel. Martin Meier* und seine Ex-Freundin waren schon getrennt – und hatten noch mal Sex miteinander. Mit Folgen. Wenige Wochen später erhielt der 37-Jährige einen Anruf von seiner Ex, sie sei schwanger. Das war zu viel für ihn: «Ich befürchtete, dass ich mein Kind wohl nie würde sehen können», sagt Meier.
Er erlitt einen Nervenzusammenbruch, im Laufe dessen er verhaftet wurde und eine Nacht in einer psychiatrischen Klinik verbrachte. Danach begann er eine ambulante Therapie. Die folgenden Wochen und Monate waren die Hölle für ihn, eine vernünftige Kommunikation mit der Mutter des Kindes war nicht mehr möglich. Eine Stunde vor der Geburt schickte sie ihm eine SMS: «Ich will dich nicht dabei haben.» Eine Stunde nach der Geburt: «Willst du herkommen? Deine Tochter ist da.» Der Vater fuhr hin, nahm seine Tochter auf den Arm – und weinte, als sie mit ihrem winzigen Händchen nach seinem Finger griff. Drei Tage später liess die Mutter verlauten, er sei nicht der Vater. Danach sah er das Baby während sechs Monaten nicht mehr. Als schliesslich Unterhaltsforderungen kamen, liess Martin Meier einen Vaterschaftstest machen; dieser war positiv.
Inzwischen ist seine Tochter drei Jahre alt. «Mit jedem Jahr schmerzt es mehr, dass ich nicht mitreden kann, wenn andere Väter von der Geburt ihres Kindes erzählen», sagt er. «Auch wenn ich ein Mann bin, habe ich deswegen mehr Tränen vergossen als in den 34 Jahren davor.» Es sei so schlimm, weil dieser Moment nie wiederkomme und er seiner Tochter niemals werde erzählen können, wie es war, als sie ihren ersten Atemzug, ihren ersten Schrei, die ersten Bewegungen machte.
**Name geändert*
«Meine Lebenspartnerin hatte immer schnelle Geburten gehabt. Als sie damals vor drei Jahren kurz nach fünf am Morgen mit Wehen aufwachte, wollte sie sofort ins Spital fahren. Unglücklicherweise weckten wir durch unsere Geräusche auch unsere ältere Tochter Lavinia. Sie war nicht so ganz zwäg und hatte unruhig geschlafen. Nun weinte sie und wollte keinesfalls beim Götti in der oberen Wohnung des Zweifamilienhauses bleiben. Also nahmen wir sie mit. Im Spital in Rothrist sagte man jedoch, weil sie Temperatur habe, dürfe sie nicht mit ins Gebärzimmer kommen. Noch im Wartezimmer musste sie erbrechen und nun war klar, dass ich sie wieder nach Hause bringen würde. Während der zehnminütigen Taxifahrt erklärte ich ihr die Situation, sie verstand, und ich konnte sie beim Götti abgeben. Danach setzte ich mich aufs Töffli und fuhr so schnell es ging wieder ins Spital. Als ich ins Gebärzimmer trat, sah ich, dass ich zu spät gekommen war. Aischa wurde gerade aus der Badewanne gehoben. Ich hatte die Geburt um eine Viertelstunde verpasst.
Im ersten Moment war ich richtig enttäuscht und auch traurig. Bei unserer gemeinsamen älteren Tochter war ich die ganze Zeit dabei gewesen, konnte meine Lebenspartnerin unterstützen, das Kind begrüssen und kurz nach der Geburt die Nabelschnur durchschneiden, das ist schon ein spezieller Moment. Nun war das alles schon vorbei. Aber glücklicherweise war Aischa noch nicht angezogen und so durfte ich sie in Tücher gehüllt zu mir nehmen. Die Hebamme liess uns ein Weilchen allein im Gebärzimmer und wir genossen diesen Moment der Begrüssung zu dritt. Jetzt war ich einfach nur noch froh, dass Aischa gesund war und meine Lebenspartnerin die Geburt bestens überstanden hatte.»