persönlich
Anna Winoto (35)

«wir eltern»
Manchmal ist es der Verkehr, der meinen Arbeitsbeginn bestimmt. Manchmal sind es meine beiden Kinder. Sie sind fünf und zweieinhalb Jahre alt, und wenn ich sie am Morgen in die Schule bringe, dann bin ich meist erst um 8.30 im Büro. Nicht selten wartet dann ein wahrer Sitzungsmarathon auf mich. Wir beraten die indonesische Regierung beim Einsatz ihrer Ressourcen für Ernährungsprogramme. Und koordinieren uns mit anderen Nonprofitorganisationen.
In den letzten Jahren wurde dabei das Stillen immer wichtiger. Anders als in Europa spielt Muttermilch in Indonesien bei der Bekämpfung von Mangelernährung und Vitamindefiziten eine wichtige Rolle. Stillen kann und könnte Leben retten, doch die Stillrate nimmt stetig ab. Und das Füttern mit dem Fläschchen rapide zu. In den letzten paar Jahren um zehn Prozent.
Ich setze mich aus aufklärerischen Gründen für das Stillen ein. Nicht aus ideologischen. Jede Frau soll selber bestimmen, ob und wie lange sie stillen will. Aber wenn sie stillen will, soll sie das tun können. Hierzulande ist das nicht selbstverständlich. Viele Indonesierinnen etwa haben keinen Urlaub, wenn sie ein Baby bekommen. Deshalb versuchen wir gerade, die Regierung von einem systematischen und gesetzlich verankerten Mutterschaftsurlaub zu überzeugen. Ausserdem haben wir bei der Erarbeitung von Richtlinien geholfen, welche die Milchpulverwerbung in Spitälern und überhaupt im öffentlichen Gesundheitswesen reguliert. Seit letztem November dürfen Kliniken und Entbindungsstationen sich nicht mehr von Babynahrungskonzernen sponsoren lassen, Ärzte und Ärztinnen, Krankenschwestern und Hebammen keine Milchpulvermuster mehr verteilen oder sich gar mit teuren Reisen von den Konzernen bestechen lassen.
Klar, wir können nicht beweisen, dass die Milchkonzerne mit ihrer Werbung die Frauen tatsächlich vom Stillen abhalten, aber ihre Präsenz ist massiv: Allenthalben begegnet man auf Landstrassen und Autobahnen grossformatigen Plakaten, im Supermarkt füllen Milchpulverdosen ganze Regalzeilen. Die Fantasie der Hersteller kennt keine Grenzen: Vom Milchpulver für den IQ des Babys bis hin zum Pulver für die stillende Mutter oder schwangere Frau ist alles zu finden. Indonesien ist nach China der zweitgrösste Markt für Babynahrung. Das Land ist wirtschaftlich erstarkt und hat eine hohe Geburtenrate: 4,5 Millionen Babys sind 2009 geboren worden. Ein lukratives Tummelfeld.
Etwas Besonderes sind immer die Arbeitstage im Feld. Wir haben sieben «Fieldoffices» oder Aussenbüros. Dort treffe ich mich mit Hebammen oder Vertreterinnen von Mütterorganisationen. Diese arbeiten täglich mit jungen Frauen und Müttern zusammen und wissen am besten, wie man sie erreicht. Sie etwa haben uns darauf aufmerksam gemacht, dass die Frauen genug haben von Bildern, die ein Baby an der Mutterbrust zeigen. Wir haben uns daraufhin für andere, abstraktere Werbesujets entschieden, etwa für ein Fläschchen mit einem Knopf im Gumminippel.

Das schöne an meiner Arbeit für die UNICEF ist, dass sie mir tagtäglich das Gefühl gibt, etwas Sinnvolles zu tun. Mich für mein Heimatland einzusetzen. Vielleicht ist dieser Wunsch damals in Amerika gewachsen. Mein Vater hat in Harvard ein Stipendium gekriegt für seine Doktorarbeit. Ich war neun Jahre alt, als wir in die USA zogen und in der Highschool, als meine Eltern wieder nach Indonesien zurückkehrten. Sie haben mir und meinen drei Brüdern freigestellt, ob wir sie begleiten oder unsere Ausbildung lieber in den Staaten fertigmachen wollten. Wir sind geblieben, alle vier. Meine Brüder wohl für immer.
Mich zog es vor zehn Jahren in meine Heimat zurück. Ich hatte in der Zwischenzeit Russisch und Chemie an der Cornell Universität studiert und mich danach Richtung Volksgesundheit weitergebildet. Der Umzug um die halbe Weltkugel war ein Herzenswunsch, aber härter als ich dachte. Obwohl ich zu meinen Landsleuten zurückkehrte und fliessend Indonesisch sprach, brauchte ich über ein Jahr, um mich kulturell wieder anzugleichen. Die Menschen hier arbeiten und kommunizieren ganz anders als in Amerika. Ein «Ja» ist nicht einfach ein «Ja», es ist manchmal ein «Nein» und oft ein «Vielleicht». Doch wenn mich heute jemand fragte, ob es der richtige Schritt gewesen sei, würde ich klar sagen: «Yes!»