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Baby am Berg

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Die Kinder wollen wandern gehen in die österreichischen Berge. Eigentlich eine schöne Idee. Das haben wir vor 3 Jahren schon einmal gemacht, ist Tradition in der Familie und war ein voller Erfolg. Wir sind mit der Seilbahn in die Nähe der Gipfel gefahren und dort von Hütte zu Hütte gezogen, die ganze Bande - Oma, Tante, Tralala. Dass das stellenweise nicht ganz einfach war und manchmal, geben wir es ruhig zu, durchaus gefährlich, macht im Nachhinein einen grossen Teil des Erinnerungswertes aus. Für Emil und Emma war das ein Heidenspass. Sie haben erst viel später verstanden, warum ihre Eltern an einer besonders schwierigen Stelle schwitzend in den Abgrund geblickt und andauernd «Fuck!» vor sich hin gemurmelt haben. Das war nämlich ziemlich anstrengend. Und ausserdem, auch wenn die Kinder wie Berggämsen an den Hängen entlanggelaufen sind, zum Teil echt beängstigend. Vor allem war das so nicht geplant. Eine nette, mit Kindern entspannt zu bewältigende Hüttentour war angedacht. Karten und Erfahrungswerte wurden zu Rate gezogen. Beides hat seinen Teil dazu beigetragen, dass es hauptsächlich genau so gekommen ist. Aber dann eben doch auch ein bisschen anders.
Urlaub mit Kindern besteht immer auch aus Scheitern und dem eigenen Umgang damit. So auch Theos erste Hüttentour.
- Es war genau EINE Hütte. Weil alle anderen Hütten ausgebucht waren, man nichts Genaues sagen konnte oder merkwürdig maulfaul war. Also Aufstieg zu einer Hütte und am nächsten Tag wieder absteigen. Nicht hochfahren und oben nett rumlaufen. Es gilt 900 Höhenmeter zu überwinden. Rückblickend hätte einem das mehr zu denken geben sollen.
- Ja, Babys können in so einer schicken Rückenkiepe schlafen und verteilen dabei angenehm ihr Gewicht auf dem Rücken. Nein, das machen sie nicht die ganze Zeit. Und ja, wenn einer das Baby trägt, dann müssen die anderen mehr Gepäck schleppen.
- Stimmt, in den Bergen ist der Massentourismus ausgebrochen. Dazu trägt man ja gerade selber sein Scherflein bei. Und die nehmen es wirklich von den Lebenden. Man darf sich also getrost auf das maliziöse Lächeln eines Hüttenwirtes freuen, der genau weiss, dass er eine saftigere Rechnung präsentieren kann, als sein Gegenüber erwartet hat.
- Das liegt natürlich daran, dass alles erst umständlich dort nach oben geschafft werden muss. Essen. Ausrüstung. Trinkwasser. Halt nein, das stimmt ja gar nicht. Trinkwasser wird einem absichtlich vorenthalten, damit man sich nicht klammheimlich ohne zu bezahlen des Hitzetods erwehrt oder versucht, die Milchflaschen für das Baby auch nur einer «Art» Reinigung zu unterziehen. Wo kämen wir denn da hin?! Nachher wäre die unfassbar enorm hohe derbe überteuerte Rechnung nur noch unfassbar enorm hoch überteuert. Muss das den Wirt irgendwie anfechten? Dass mein Baby Durchfall kriegt, weil wir seine Flaschen nicht sauber kriegen oder wir ihn extra darauf hingewiesen haben, dass wir mit einem kleinen Schreihals reisen und er uns doch bitte nicht in einem Gemeinschaftsraum mit anderen unterbringen sollte, es dann aber trotzdem tut? Weil is halt so? Nein, muss es nicht. Wir sind ja nicht bei «Reib die Wunderlampe!» Muss er sich wie ein Arsch aufführen? Auch nicht.
- Niemand, der nicht schon in einem Gemeinschaftsschlafraum genächtigt hat, ist auf die mannigfachen Geräusche, die seiner dort harren gefasst. Vom Zersägen ganzer Wälder bis zum einsamen Fiepen trockengelegter Apnoetaucher ist alles dabei. Und einer redet immer. Dieses Mal hat er gestanden «Ich war’s. ICH war’s!!» Und niemand weiss wie sehr er seine Frau wirklich liebt, bevor er nicht erlebt hat, wie sie sich nachts um 3 mit dem fiebernden Quengel in den menschenleeren Aufenthaltsraum zurückzieht, um ihn dort zu betüddeln und ab und an ein paar Minütchen im Sitzen zu dämmern.
- Ja, es hat auch Spass gemacht. Die Grossen fanden es super. Keine Ahnung, was mit denen los war. Vielleicht die Bergluft.
Hätte man diese Probleme alle vorher wissen können? Selbstverständlich! Es scheint nur so zu sein, dass einem dafür dann im Gegenzug andere aus der Wahrnehmung gefallen wären. Die Möglichkeit, in seinen Plänen zu scheitern, besteht immer. Daher sollte man ein paar Alternativpläne in Reserve haben: Wasserbombenschlacht. Käsemuseum, Flussbaden. Sowas. Und sich darüber hinaus in der Einsicht üben, dass manche Dinge, komme was da wolle, einfach schief gehen werden.
Ich war’s!

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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.