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Friede, Freude und kein Eierkuchen

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«Lio, nimm dem Enyo doch nicht immer die Spielsachen weg.»
«Ich weiss», sagt er kleinlaut.
Aber da ist es längst passiert. Er hat den Kleinen nicht einfach spielen lassen, sondern hat sich immer wieder vor ihn gesetzt, ihn weg gedrängt, ihm das genommen, mit dem er beschäftig war. Was der Kleine will, das will der Grosse auch. Auch wenn er selber viele Spielsachen hat. Und vor allem natürlich will er die uneingeschränkte Aufmerksamkeit von Opi. Wenn er die nicht hat, dann spürt man ihm so etwas wie Eifersucht an. Bemerkenswert dabei: Wenn Enyo schläft, dann spielt Lio ganz allein für sich. Sobald der Kleine wach ist und Opi sich um ihn kümmert, ist es vorbei mit diesem Frieden. Lio will auch, will Mittelpunkt in Opis Gunst sein. Für sich selber spielen geht da nicht mehr.
Wer nicht als Einzelkind aufgewachsen ist, kennt das wohl: Das ständige Gefühl, von Eltern und Grosseltern nicht dasselbe zu erhalten wie der Bruder, die Schwester. Sei es bei Geschenken, sei es bei der Aufmerksamkeit. Mit mangelnder Liebe hat das wenig zu tun. Natürlich hat man sich gern. Aber wenn es um das Verhältnis zu und mit den andern geht, mit jenen, die einem am nächsten sind, dann schwingt da jeweils auch so etwas wie das Gefühl des nicht gleich behandelt Werdens mit. Das führt dann zu Streit – und das ziemlich häufig. Geschwisterliebe ist zuweilen eine Gratwanderung. Es gibt gar Studien, die besagen, dass die Geburtenfolge unseren Charakter stärker beeinflusst als die Erziehung.
Und Opi ist in solchen Situationen, die mit fortschreitendem Alter der beiden zunehmen, hin und her gerissen: Mit dem Grossen spielen und den Kleinen daneben jammern lassen – denn das ist dessen Reaktion – oder den Kleinen umsorgen und den Grossen immer wieder zurecht weisen, dass er den Kleinen jetzt in Ruhe lassen sollen. Ein Generalrezept gibt es nicht. Opi hat ja beide gleich gern und will eigentlich beide gleich behandeln. Aber das geht halt nicht immer. Damit muss Opi leben, wenn er zu den beiden schaut. Beiden kann er es nicht immer recht machen – aber er kann zumindest versuchen, einen kühlen Kopf zu bewahren und dafür zu sorgen, dass die gefühlte Ungerechtigkeit einigermassen gerecht verteilt wird.

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Martin Moser (1959), Produktionschef Tageszeitungen der AZ Medien, ist seit 30 Jahren verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern. Er hat zwei Enkel (Lionel, 2011, und Enyo, 2014) und legt auch mal einen Opi-Tag ein. Bloggt für «wir eltern» über Opi-Kinder-Enkel-Erlebnisse und -Beziehungen und kramt auch mal in seinen eigenen Erinnerungen.