Dagegen können wir uns nicht wehren: Wer ein Baby hat, wird zwangsläufig zum Foto-Fanatiker.
Ich habe mich immer gefragt, warum einige werdende Väter mit der Video-Kamera im Kreisssaal stehen und die Geburt des eigenen Kindes filmen. Ist das nicht ein Anblick, den man lieber wieder vergisst? Und reicht es nicht, das Baby zu filmen, nachdem es abgewischt und eingewickelt wurde? Seit ich selber Vater bin, empfinde ich noch stärker, dass jeder so machen soll, wie er will. Seitdem kenne ich aber auch diesen Drang, festzuhalten, wie klein und schön das eigene Baby ist. Es ist ein Drang, der schnell zur Sucht wird. Da, es setzt zum Lächeln an, schnell, die Kamera! Jöö, es schläft, das muss ich für die Nachwelt dokumentieren. Immer wenn ich die Fotos betrachte, die auf meinem Handy gespeichert sind, trifft mich fast der Schlag: Gab es vor der Geburt noch Motive wie Ferien, Garten und Freundin, sieht man seit Juli 2014 nur noch unser Baby. Baby in der Badewanne, Baby in der Wiege, Baby auf den Armen, Baby auf dem Boden, lachendes Baby, glucksendes Baby, weinendes Baby, schlafendes Baby, Baby mit Mütze, Baby in der Decke, Baby mit Mama, Baby mit Papa, Mama-Selfie mit Baby, Papa-Selfie mit Baby und so weiter. Ich habe im vergangenen Jahr kaum ein Foto gemacht, auf dem nicht mein Baby drauf ist. Ich bin ohne es zu merken ein Baby-Knipser geworden, einer jener Väter, die jeden Entwicklungsschritt ihres Kindes dokumentieren müssen. Die Verbreitung der Smartphones hat das natürlich verstärkt. Dank Foto-Handys fotografieren Millionen Menschen ihr Essen, bevor sie es essen. Das nennt man im Volksmund Food Porn. Und bei den Kindern? Irgendwie scheint es nicht richtig, von Baby Porn zu sprechen. Aber das Suchtpotential ist dasselbe. Immerhin, ich halte mich noch zurück. Ich könnte ja alle Bilder auch noch auf Facebook posten und um schmeichelnde Kommentare buhlen. Oder die Fotos allen unter die Nase halten, die es eigentlich gar nicht interessiert. Nein, das dann doch nicht. Muss ja auch nicht jeder wissen, dass ich das süsseste, hübscheste, klügste, beste Baby der Welt habe.
Bild
Mitdiskutieren
Dein Kommentar
Bist du einverstanden oder hast du dich über den Blog geärgert? Kommentier den Blogbeitrag im «wir eltern»-Forum und teile deine Meinung mit der Forums-Community.
Blogger Reto Hunziker
Reto Hunziker ist 1981 im Aargau geboren, aber das muss noch nichts heissen. Er hat Publizistik, Filmwissenschaft und Philosophie studiert und auch das muss noch nichts heissen. Er arbeitet als freier Journalist und als Erwachsenenbildner und versucht daneben, dem ganz normalen Wahnsinn in einer Patchwork-Familie (Frau, Tochter und Stiefsohn) mit Leichtigkeit und gesundem Menschenverstand zu begegnen – das will was heissen.
Alle Blog-Beiträge von Reto Hunziker finden Sie hier.