Reto Hunziker weiss, dass früher nicht alles besser war. Die Kindergeburtstagspartys allerdings schon. Und billiger noch dazu.
Manchmal ist es schwierig, sich gegen diesen Gedanken zu wehren, der einen überkommt wie einen Würgereflex: Früher war alles besser. Man versucht, ihn herunterzuschlucken – wer will schon so spiessig sein und von den guten alten Zeiten schwärmen? Aber eben, es gibt sie doch, jene Situationen, in denen man nicht umhin kommt, sich genau das zu denken. Zum Beispiel am Kindergeburtstag meines Stiefsohnes. Schon stürmen die Knirpse das Treppenhaus herauf, voller Aufregung und Vorfreude. Dass sie vor allem das Geburtstagskind herzlich begrüssen und die Gastgeber-Eltern nur mit einem Schulterzucken würdigen – es sei ihnen heute verziehen. Sie können ja nicht ahnen, dass alles nicht nur ein grosser Plausch ist. Logisch, dass das Popcorn nach wenigen Minuten bereits in allen Winkeln der Wohnung liegt. Klar, dass die Racker die Geschenkeübergabe kaum erwarten können – ist es doch die Hauptsache des Tages.
Doch genau dann, als Ben ungeduldig das Franz Carl Weber-Papier aufreisst, müssen wir Erwachsenen leer schlucken. «Lego Star Wars BARC Speeder» kommt zum Vorschein. Dann: «Lego Star Wars A-Wing Starfighter». Und so weiter. Mein Stiefsohn, das Geburtstagskind, jauchzt: Jeee! Wow! So cool! Wir murmeln: krass! Mensch! Wahnsinn! Denn wir kennen den Preis dieser Geschenke: Fr. 44.90, Fr. 42.90 und so weiter.
Damit wir uns richtig verstehen: Auch ich habe mich als Kind genervt, als mein Vater jeweils anfing, darüber zu referieren, dass er und seine Geschwister als Kinder zu Weihnachten je nur eine Orange geschenkt bekommen hatten. Sein Vortrag gab mir das Gefühl, ich sei verwöhnt. Er vermittelte mir, dass ich gar nicht zu schätzen wusste, was ich habe und das war mir – bei allem Respekt – in diesem Moment herzlich egal.
Dass Kinder von den Schulkollegen, respektive von den Eltern ihrer Schulkollegen, Geschenke bekommen, die im Preis ebenbürtig sind mit jenen, die sie von Mami und Papi kriegen, scheint mir aber doch leicht pervers. Wo soll das denn hinführen? Dass sich die Kinder via Eltern bald iPads und Smartphones schenken? Das ist doch eine Teufelsspirale.
Natürlich wollen sich Kinder mit ihren Geschenken eine möglichst grosse Freude machen. Aber müssen die Eltern da mitspielen? Ist es nicht auch eine pädagogische Massnahme, nicht alles zu geben – selbst wenn man könnte?
Denn so ist es, was eigentlich eine freundliche Geste sein soll, keine Geste mehr, sondern ein Statement. Genauer: ein Status-Statement. «Ja, wir können es uns leisten. Nein, Geld spielt keine Rolle», lautet es.
Und dieses Statement entwickelt eine ganz eigene Dynamik: Wollen sich die Kinder dabei übertreffen, wer das bessere Geschenk macht, schenken automatisch auch die Eltern um die Wette.
Und dabei bleibt es nicht. Die ganze Geburtstagsfeier muss ein Event sein. Als wir zum «Kino-Nachmittag» luden, kam postwendend zurück: In welches Kino geht ihr denn? Antwort: in keines. Gemeint war ein Kino-Nachmittag zu Hause, mit Blu Ray, Sirup und Popcorn. Offenbar für viele Eltern kaum mehr vorstellbar, da zu wenig aufregend. Heute sind Kindergeburtstage durchorchestrierte Events, Ganztagesausflüge, Themen-Partys.
Wer da nicht mithält, muss damit leben können, dass er die lahmste Geburtstagsfeier von allen zu verantworten hat. Weil er eben nicht ins Technorama oder in den Europapark gefahren ist. Ich fühle mich selbst in die Schulzeit zurückversetzt: Scheiss Gruppenzwang!
Der Film hat übrigens allen gefallen. Und nach der Vorstellung gabs noch einen Tanzwettbewerb (Musik eingeschoben, ab und an Pause gedrückt, worauf sich die Kinder hinsetzen mussten). Die Buben haben gezappelt und gehoppelt, dass die Wände wackelten. So muss es früher an Kindergeburtstagen gewesen sein, in den guten alten Zeiten.
Reto Hunziker
Reto Hunziker (Jahrgang 1981) ist Text-Coach und Journalist und wohnt mit seiner Freundin, ihrem Sohn (10) und der gemeinsamen Tochter (1) in Zürich.