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Deine Probleme möchte ich haben

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zvg
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Lieber «Meine Fresse, darüber regst du dich echt auf?» Mensch, wir müssen reden. Im Gespräch mit mir und anderen sagst du gerne Dinge wie: «Kümmere dich lieber mal um die wichtigen Dinge.» Unter meine Texte postest du schon mal Kommentare vom Kaliber «Weisst du eigentlich, dass Kinder woanders geschlagen und Frauen zwangsverschleiert werden? Und das regt dich jetzt nicht auf, oder was?!»
Und ganz besonders häufig lässt du mich wissen, dass du gerne, aber sowas von liebend gerne, meine Probleme haben möchtest. Weisst du was: Nimm sie dir doch einfach. Ich hab 99 Probleme und die Tatsache, dass du meine gerne hättest, ist sicher keines davon. Also nur zu: Bedien dich! Mit vier Kindern am Rockzipfel (Jap, hast dich nicht verlesen) und vier Jahren politischem Aktivismus für eine feministische Organisation auf dem Buckel ist mir nicht entgangen, wie sehr dich der Hinweis aus der Fassung bringt, dass du dich um diese ganzen viel schwerwiegenden Probleme (ebenfalls liebend gerne) selbst kümmern kannst. Einen Verein gründen, Missstände benennen, konkrete Dinge anschieben, um Unterstützung werben und um Spenden bitten – freu ich mich schon drauf. Wird bestimmt super. Zeit hast du ja. Zumindest gehe ich davon aus. Immerhin betreibst du die ausgesprochen sinnlose Zeitverschwendung, andere Menschen darüber zu informieren, für was für eine sinnlose Zeitverschwendung du ihr Engagement hältst.
An diesem Punkt angelangt, pflaumen wir uns zumeist noch ein bisschen an und gehen dann auseinander. Aber heute nicht. Heute würde ich gern noch wissen, ob dir klar ist, in welche Kette du dich da einreihst. Nämlich in die obligatorische «Hab dich nicht so, könnte schlimmer sein» Kette. Insbesondere für Frauen, die sich dem Feminismus zuwenden, ist diese Kette ein alter Hut:
«Du bist ja nicht unterdrückt.»
«Immerhin wirst du nicht zwangsverheiratet.»
«Zumindest schlägt er dich nicht.»
«Sei froh, dass er dich nicht vergewaltigt»
«Was hast du, du lebst doch noch.»
«…»
Wenn an jedem Punkt dieser Kette die jeweiligen Probleme nicht ernst genommen werden, dann geht es nicht darum, wie schwerwiegend sie sind, sondern darum, grundsätzlich nicht hinsehen zu wollen.
Also ja:
Ich habe mich so. Wenn mein Kleiner bei irgendwelchen Einstufungstests «schlechter» abschneidet, weil er die langhaarige Person auf dem Zettel nicht als Mutti und die kurzhaarige Person nicht als Vati einordnen mag, dann ist das ein Problem. Wenn man meiner Tochter Hotpants verbietet, weil das sonst «für Unruhe sorgt», dann ist das ein Problem. Wenn man meinen Sohn Schwuchtel nennt, weil er mit seinen kleinen Geschwistern spielt, dann ist das ein Problem. Wenn wir unsere Kinder in rosa-hellblaue Geschlechtercamps zwangsverfrachten und ihnen damit drohen, dass sie sich ja nicht wegbewegen dürfen, dann ist das ein Problem.
Meine Probleme möchtest du haben?
Greif zu!
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Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.