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Mamaversum
Wie ich zum Quartiergespräch wurde
Unsere Kolumnistin hat sich während Wochen geschämt, mit ihrem Kind spazieren zu gehen. Wie es so weit kommen konnte und warum sie in der Utopie lebt, dass das Kind mit Youtube abgeschlossen hat.
«Grüezi mitenand, mein Name ist Maja Zivadinovic. Ich habe in der Erziehung meines Sohnes einen grossen Fehler gemacht.» So würde es klingen, gäbe es die «Anonymen Eltern».
Natürlich haben mein Partner und ich viel mehr als nur einen Fehler in unserem Leben mit einem Dreijährigen gemacht. Die meisten sind, da bin ich grosszügig, total verzeihbar. Könnte ich aber die Zeit zurückdrehen, wäre es besagter Fauxpas, den ich nicht mehr machen würde. Vor ein paar Monaten hatte mein Sohn Fieber und deswegen überaus schlechte Laune. Auf den Besuch beim Kinderarzt hatte das Hüfeli Elend verständlicherweise null Bock. Im Buggy sitzen ? Mission Impossible. Der Junge wand sich, schrie, streckte sich durch. Im Gegenzug spielte die Zeit gegen uns. Ich zückte Plan Z. Mein Handy. Noch nie war das Kind so schnell im Kinderwagen. Während es Youtube Kids schaute, spazierte ich entspannt zur Bushaltestelle. Die Busfahrt ? Kein Problem ! Das Warten beim Kinderarzt ? Ein Kinderspiel ! Mein Gewissen war okay. Ist das Kind krank, sind wir grosszügig !
Diese Rechnung habe ich aber ohne den Bub gemacht. Ein paar Tage später freuten wir uns wieder über beste Gesundheit. Und schlechteste Allüren, die man sich vorstellen kann. Ohne Handy kein Buggy ! Wir waren chancenlos. Der Sohn alt genug, um sich loszuschnallen und aus dem Wagen zu klettern. Gehen wollte er auch nicht. Trotti oder Velofahren ? Nope ! Maximal getragen werden. Das wollten wir nicht (liebe Grüsse vom Ü40-Rücken). Wir schmorten in der Erziehungshölle!
Irgendwann resignierten wir. Und liessen dem Kind das Telefon. Unser Radius war winzig, unser Frust riesig ! Ich war mir sicher, «Talk of Quartier» zu sein. Wir waren die, deren Goof IMMER am Handy ist. Während ich mich schämte und Hilfe bei Fachpersonen suchte, nahms mein Freund gelassener : Er spielte auf Überdosis. Irgendwann, war er sich sicher, wird das Kind keinen Bock mehr haben.
Mein Freund behielt recht. Es dauerte allerdings sehr lange Wochen. Der XL-Fauxpas hatte aber etwas Gutes : Der Junge hat so viel Youtube Kids geschaut, dass er damit durch ist. Zumindest für den Moment. Fragt mich in ein paar Wochen wieder. Oder, nein, fragt nicht. Ihr wisst ja, wie das mit alten Wunden ist, die man nicht aufreissen soll.
Über Umwege, die sie als Reiseleiterin in die Türkei und an den Empfang von «Tele Züri» führten, landete Maja Zivadinovic im Journalismus. Zusammen mit Yvonne Eisenring und Gülsha Adilji machte sie seit 2021 den Podcast Zivadiliring. Ihr Lieblingsjob ist aber ein anderer: Seit Juni 2020 ist sie Mami eines Buben.
