Interview mit Väterforscherin Claudia Zerle
«Es gibt eine Diskrepanz»

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wir eltern: Väter würden das Männerbild im neuen Jahrtausend prägen, behauptete die amerikanische «Newsweek». Bestätigt das Ihre Studie?
Claudia Zerle: Väter werden sowohl in der Familie wie auch in der Gesellschaft präsenter. Das zeigt sich schon heute. Unsere Daten beweisen, dass junge Männer einen ausgeprägten Kinderwunsch haben. Und im Leben des Nachwuchses auch eine aktive Rolle spielen wollen. Vaterschaft erledigt sich heute nicht mehr einfach in der Ernährerrolle. Insofern wird Väterlichkeit im Männerbild künftig sicher einen weit wichtigeren Stellenwert einnehmen als bisher. Die Zeiten jedenfalls, in denen ein fürsorglicher Mann kein richtiger Mann war, sind vorbei.
Vorab die neuen aktiven Väter gelten als sexy, sie werden von den Medien gern auf ein Podest gehoben. Trotzdem steigt die Anzahl kinderloser Männer. Warum?
Zwischen Vaterbild und Vateralltag gibt es tatsächlich eine Diskrepanz: Im Vergleich zu ihren Vätern und Grossvätern gründen heute Männer seltener und später eine Familie. Unsere Studie hat gezeigt, dass das nicht immer freiwillig geschieht. Viele Männer bleiben unfreiwillig kinderlos oder werden später Vater als sie es sich gewünscht haben. Gründe dafür gibt es viele: Einerseits sind da die langen Ausbildungswege und Praktikajahre mitschuldig, andererseits wollen viele Männer erst Kinder, wenn sie auch eine Familie ernähren können. Sie halten ökonomische Sicherheit für die Voraussetzung für Vaterschaft.
Wann gilt heute ein Mann als guter Vater?
Das männliche Rollenbild steht in einer Phase enormen Umbruchs: Es geistern momentan diverse Männer- und Vaterbilder umher. Die Rolle des Ernährers etwa ist noch immer sehr präsent, erhält aber Konkurrenz vom aktiven Vater, der sich kümmert. Männer, die Vater werden, müssen sich aus diesen Bildern eine Identität basteln. Nur um dann festzustellen, dass ihnen die Strukturen im Weg stehen, um etwa die Rolle des aktiven Vaters auch richtig zu leben. Denn sämtliche Vereinbarkeitsbemühungen der Wirtschaft sind heute auf Frauen und Mütter zugeschneidert. Teilzeitstellen meist auch. Für den neuen Vater bleibt wenig Spielraum. Und so ist der aktive Vater, so häufig er in den Medien auch herumgereicht wird, noch immer ein Pionier. Pioniersarbeit aber ist anstrengend und anspruchsvoll. Da ist es doch tröstend, dass die neuen Väter in der Öffentlichkeit wenigstens als sexy gelten!
Welche Wünsche haben junge Männer und Väter?
In unserer quantitativen Umfrage waren die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, die eine aktive Vaterschaft erst möglich machen, einer der Schwerpunkte. Das Verständnis seitens der Arbeitgeber, wenn ein frischgebackener Vater für das Baby zurückstecken will, stand zuoberst auf der Wunschliste. Auch Väter haben Angst, ihr Engagement zu Hause mit Einbussen bei der Karriere zu bezahlen.
Stecken die Väter heute im selben Dilemma wie die Mütter?
Ja, diesen Eindruck habe ich ganz stark. Was Frauen seit Jahrzehnten thematisieren und problematisieren, gilt in zunehmendem Masse auch für Männer: Karriere und Kinder sind ganz schlecht zu vereinbaren. Das führt bei viel zu vielen Paaren zu einem Retraditionalisierungsschub, sobald das erste Kind zur Welt kommt. Neue Geschlechterrollen scheitern längst nicht immer nur am Willen der Väter, sondern immer noch zu oft an den Strukturen.
Fehlen den Männern Partnerinnen, die sich stärker als Ernährerinnen verstehen?
Neue Väter brauchen auf jeden Fall die Unterstützung ihrer Partnerinnen. Sie können ihren Einfluss im erzieherischen und häuslichen Bereich nur erweitern, wenn die Mütter das auch zulassen und nicht ständig als «maternal Gatekeeper» fungieren, das heisst Kontrollorgan spielen. Allerdings wissen wir noch sehr wenig über die Bedürfnisse und Anliegen von Vätern. Während man mit Studien über Mütter ganze Bibliotheken füllen könnte, wurden die Männer und Väter lange vernachlässigt. Wir bereiten zurzeit eine Studie vor, die der Frage nachgehen will, wie der Aushandlungsprozess innerhalb der Paarbeziehung aussieht, wenn ein Kind auf die Welt kommt. Die Ergebnisse könnten für die Rollendiskussion sehr aufschlussreich sein.
Zur Person
Claudia Zerle ist Soziologin und wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut. Sie arbeitet im Bereich der quantitativen Familienforschung vor allem zu den Themen Vaterschaft, Familiengründung sowie dem Alltag und Freizeitverhalten von Kindern und Jugendlichen.
Buch
Isabelle Krok, Claudia Zerle: «Null Bock auf Familie?»
Der schwierige Weg junger Männer in die Vaterschaft.
Hrsg.: Bertelsmann Stiftung, 2008, Fr. 32.90