
Interview
«Habt den Mut schlechte Mütter zu sein»
Perfekt? Bloss nicht! Dass Mütter-Ehrgeiz nicht einmal die Kinder glücklich macht, weiss Silke Schröckert aus eigener Erfahrung. Heute ist sie eine stolze und vor allem glückliche «Bad Mum».
«wir eltern»: Frau Schröckert, ich gestehe: Bei mir ging dieser Mama-Ehrgeiz schon in der Schwangerschaft los: Ich habe gleich drei Geburtsvorbereitungskurse belegt. Sicher ist sicher.
Silke Schröckert: (lacht) Meinen Respekt haben Sie jedenfalls. Ja, so ist das leider. Man will es von Anfang an flächendeckend perfekt machen.
Wo, in drei Teufels Namen, kommen diese Bilder im Kopf von der Supermutter her – im Kontrast zur Bad Mom?
Das sind nicht nur Bilder im Kopf, das ist nicht nur reine Fantasie. Wir haben diese perfekten Mütter ja schon Millionen Mal gesehen. Überall in der Werbung und in Filmen lächeln sie einem entgegen. Pastellfarben. Überglücklich. Die sozialen Medien wie Instagram, Tiktok, Facebook befeuern das zusätzlich. Doch Erwartungen, wie eine Mutter zu sein hat, gab es lange vorher. Mein Bild der perfekten Mutter hat sich schon herausgebildet, als ich in den 80erund 90er-Jahren ein kleines Mädchen war. Damals erlebten die meisten Kinder ihre Mutter meist noch als Hausfrau und Mutter oder zumindest als nur mit einem kleinen Pensum beschäftigt. Dadurch hatten die Mütter mehr Zeit für ihre Kinder. Meine Mutter hatte jedenfalls immer viel Zeit für mich.
Hausfrau und Mutter? Das ist aber heutzutage nicht mehr das Ideal, nach dem die meisten streben…
Nein, das nicht. Wir sind heute viel weiter und glücklicherweise in einer ganz anderen Position als noch unsere Mütter und Grossmütter. Und doch: Wir wissen zwar in der Theorie, dass wer arbeitet, weniger Zeit hat, um allen Ansprüchen gerecht zu werden. Aber dennoch spukt in unseren Köpfen herum, dass wir Superwoman sein sollen. Working Mom und trotzdem daheim basteln und kochen und dekorieren… Und dabei natürlich stets entspannt und gut gelaunt sein. In Sachen Ansprüche haben wir einfach draufgesattelt.
Apropos Basteln und Backen: ein besonders grosses Ding – Berufstätigkeit hin oder her. Meine Nachbarin hat ihrer Tochter mal zum Geburtstag eine spektakuläre BarbieTorte gebacken. Der Gugelhupf war der rosa überzogene Rock, oben im Loch steckte der Rumpf der Barbie. Ohne Beine allerdings, weil die zu lang gewesen wären. Was gab es für einen Entsetzensschrei, als ihre Tochter die Barbie aus dem Kuchen gerupft hat und die beinlos war… Freude hat der aufwendige Kuchen eher nicht gemacht.
(lacht) Ja, die Kuchentraumata. Da kann ich mitreden. Am ersten Geburtstag meines Sohnes habe ich auch ein Riesentrara veranstaltet. Mit Meeresmotto, Pappfischchen, Krebsen, einer tollen Schwarzwälder Kirschtorte. Also einer Torte, in die ganz viel hochprozentiges Kirschwasser hineinkommt… Kurz: Das Geburtstagskind durfte von der Torte überhaupt nichts essen. Ich habe mich so schlecht gefühlt. Und noch schlechter habe ich mich gefühlt, als ich später gemerkt habe, dass ich Hunderte von Fotos von der Deko und dem Kuchen gemacht hatte, aber keines vom Geburtstagskind.
Ja, nachher fasst man sich an den Kopf. Aber währenddessen, puh! Wieso sind Mütter so sehr auf dieses Drumherum fixiert?
Man kann die Bilder davon auf Instagram stellen und sich wunderbar daran messen lassen. Mein Gott, ich bin damals echt wegen der Torte und dem Motto-Stress wie eine Furie durchs Haus gesaust, um alles zu schaffen.
Eine Furiengeschichte habe ich auch beizusteuern. Ebenfalls weil ich eine besonders gute Mutter sein wollte. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, mit meiner Tochter zu basteln, obwohl ich basteln hasse. Mein Plan: Gemeinsam Blumentöpfe zu bemalen und es dabei total gemütlich zu haben. Nur – hatte sie überhaupt keine Lust dazu. Ich habe sie mit den Worten «Wir sind jetzt gefälligst gemütlich» zum Basteln gezwungen…
(lacht). Ja, was gut fürs Kind ist oder was das Kind gut findet, ist offenbar kein Kriterium dafür, was vermeintlich eine gute Mutter ist. Man denkt als Mutter einfach, man müsste das machen. Ich bastle ebenfalls ungern. Dafür lese ich aber jeden Abend mindestens eine halbe Stunde vor. Das liebe ich. Es ist doch für alle besser, wenn man etwas gerne tut, als sich zu etwas zu zwingen, nur weil man meint, eine gute Mutter hätte das zu tun.
Wieso eigentlich sind gestandene Frauen plötzlich so verunsichert, hilflos und klein, wenn sie Mutter werden? Ich habe nach der Geburt meiner Tochter tatsächlich beim Wickeln nach der Schwester geklingelt, nur weil meinem Töchterchen das Pippi den Rücken heruntergelaufen ist…
Ach. Ich habe nämlich auch nach der Schwester geklingelt. Beim zweiten Kind! Das war nämlich, anders als das erste, ein Mädchen und ich wusste nicht, wo ich da genau wischen soll. Ich habe zu der Schwester gesagt: «Mein Sohn sah aber ganz anders aus.» Entspannte Antwort der Schwester: «Ja, richtig, Frau Schröckert. Das ist so, dass Jungen und Mädchen anders aussehen.» Ich denke, sobald man schwanger ist, verspürt man einen Riesendruck. Diese enorme Verantwortung für diesen kleinen Menschen. Da will man unbedingt alles richtig machen. Gut, besser, am besten.
Bei der Verantwortung kann man es ja noch verstehen. Aber dieses Streben nach Besonderem, das fängt schon in der Schwangerschaft an. Sie schildern in Ihrem Buch, wie eine Frau das angepinkelte Schwangerschafts-Test-Stäbchen in ein Eis einfriert, damit ihr Mann das freileckt und den Befund sieht: Tatataa!
Man meint, man müsste alles an der Mutterschaft inszenieren. Bei Hochzeiten ist das ähnlich. Weil wir es aus Hollywoodfilmen kennen. Bei mir war das allerdings so: Ich bin morgens verschlafen mit dem Test aus dem Bad geschlurft und hab meinem Mann gesagt: «Schatz, ich bin schwanger.» Mehr nicht. Bei Millionen von Menschen ist das vermutlich genauso unspektakulär gelaufen. Aber davon sieht und hört man nichts.

Silke Schröckert ist Autorin, Journalistin, Moderatorin, ehrenamtliche Kassenwärtin im Fussballverein ihres Sohnes (wie konnte das passieren?) und Mutter zweier Kinder im Grundschulalter. Das lässt sich alles unter einen Hut bringen – irgendwie. Nur eben nicht so, wie sie es sich selbst einst vorgestellt hatte. Nämlich perfekt. Oder wie die Instagram-Moms dieser Welt es einem vorleben. Ob sie das nun zu einer schlechten oder guten Mutter macht, darum geht es in ihrem neusten Buch Bad Mom – Happy Family. Denn erstaunlicherweise sind es oft genau die Dinge, die angeblich nur schlechte Mütter tun, die nicht nur die Kinder kurzfristig glücklich machen – sondern langfristig auch die Eltern.
Es scheint einen Kitschdruck zu geben.
Schönes Wort: «Kitschdruck». Jedenfalls erzeugt diese blöde Vergleicherei ganz viel unnötigen Stress. Ich arbeite daran, dabei nicht länger mitzumachen und auch nicht mehr über andere zu urteilen, nur um mich selbst besser zu fühlen. Ich übe mich jetzt in der Königsdisziplin.
Königsdisziplin?
Statt mich «erhaben» zu fühlen, wenn eine andere Mutter irgendwas vermeintlich falsch macht oder nicht im Griff hat, spreche ich jetzt die Frau an und sage etwas Nettes. Neulich im Schwimmbad beispielsweise hatte ein fremdes Kind so einen richtigen Wutanfall vom Feinsten. Ich habe die Mutter angesprochen und ihr gesagt, wie super ich finde, dass sie so ruhig bleibt und dass meine Kinder solche Wutanfälle auch hatten. Die Frau war richtig happy. Und es kommen so tolle Gespräche zustande. Wir Mütter sollten uns austauschen über die Sachen, die schiefgehen, dann denkt nicht jede, sie sei die einzige «Bad Mom».
Okay, dann oute ich mich. Als meine Tochter mal mit einer Teetasse in der Hand die Treppe heruntergefallen ist, hatte ich als erstes Angst um die Wand.
Und mein erster Gedanke, als mein Sohn mit seinem Pogostick, dieser Hüpfspirale, im Garten gefallen ist: «Bitte kein grosses Loch im Rasen» (lacht).
Sind wir deshalb «Bad Moms»?
Nein, sind wir nicht. Wir sind eben nur Menschen.
Sind Väter relaxter?
Das kann ich pauschal nicht sagen. Mein Mann allerdings ist es. Er regt sich nicht schnell auf und erdet mich. Deshalb muss er jetzt immer zum Elternabend und nicht ich. Ich finde aber, wir Mütter sollten versuchen, ebenfalls entspannter und nachsichtiger mit uns selbst zu werden. Dabei kann schon helfen, den richtigen, den «normalen» Müttern auf Instagram zu folgen. Neulich hat da eine Mutter bekannt, dass sie sich jahrelang den falschen Tag als Geburtstag ihres Kindes gemerkt und auch jahrelang am falschen Tag gefeiert hat. Das ist doch wahnsinnig entlastend! Plötzlich fand ich es gleich nicht mehr so fürchterlich, den Schulbesuchsmorgen meines Sohnes vergessen zu haben. Da hat man doch gleich weniger Angst, selbst schlecht dazustehen, wenn was schief geht.
Und das, wo Angst eigentlich gar nicht ihr Ding ist. Sie waren Kandidatin bei «Wer wird Millionär», ich hätte den Mut nicht.
Stimmt, eigentlich habe ich, als das Selbstbewusstsein verteilt wurde, in der ersten Reihe gestanden. Rede halten? Kein Problem. Wichtige berufliche Entscheidungen treffen? Kein Problem. Nur sobald es um die Kinder geht, sieht es bei mir, wie bei vielen Müttern, plötzlich anders aus.
Was hilft?
Eben: Austausch. Mit anderen Müttern darüber reden, wie oft man im ersten Jahr des Babys geweint hat, wie überfordert man war, wie ratlos, was in der Erziehung nicht rund läuft... Bitte nicht immer diese Strahlefassade zeigen! Das war auch der tiefere Sinn meines Buches. Ich habe es zwar lustig geschrieben, damit es viele lesen, aber es hat einen ernsten Kern. Frauen sollen beim Lesen merken: Den anderen geht’s genauso, die anderen fühlen sich auch als Bad Moms, obwohl sie es sicher nicht sind. Schon mal gar nicht für die Kinder. Die lieben uns trotzdem. Und das ist es doch, was zählt.