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Papacode
iPad ja, Handy nein. Logisch?
Unser Kolumnist Reto tut sich schwer mit der Medienvermittlung in der Schule: Einerseits wird die digitale Welt aus dem Schulhaus verbannt, andererseits wird sie den Kindern ohne Anleitung in die Hände gedrückt.
Für den Schulweg die neuste Scheibe der Toten Hosen in den Discman legen, in der grossen Pause Snake auf dem Nokia 3210 spielen und während dem Unterricht unter dem Pult noch rasch das Tamagotchi füttern, weil es sonst verhungert. Elektronische Geräte waren auch schon in den 90er und Nullerjahren omnipräsent in der Schule und manchmal sogar spannender als der Französischlehrer oder die Mathelehrerin (also nur bei anderen Kindern, natürlich).
Trotzdem kam damals niemand auf die Idee, Schulen zu elektronikfreien Zonen zu erklären und sämtliche Gerätschaften vom Gelände zu verbannen. Heute ist das anders: Die Kantone Aargau, Nidwalden und Wallis verbieten Handys sowie andere private Geräte an Schulen. Und ich frage mich: Wann hat man dort aufgehört zu differenzieren? Ein absolutes Verbot bedeutet, die Augen vor Problemen zu verschliessen.
Dabei sind die Probleme real: Social Media ist gefährlich, Algorithmen machen abhängig, Künstliche Intelligenz wird zum Lebensberater und die Unterscheidung zwischen seriösen Quellen und Fake News immer schwieriger. Aber all das verschwindet nicht, wenn Politikerinnen und Politiker Handys vom Schulgelände verbannen. Das zu glauben, ist blauäugig. Mehr noch: Es nimmt Kindern die Chance, den Umgang damit zu lernen – und genau das wäre heute wichtiger denn je.
Ein Beispiel aus der Erwachsenenwelt: Eine neue WhatsApp-Nachricht, ein Push von LinkedIn oder noch rasch eine Geschäftsmail tippen. Das Handy lenkt ab, klar. Aber das ist kein Problem, solange man dabei nicht Auto fährt. Deshalb ist das verboten – und kostet mindestens 100 Franken, wenn man erwischt wird. Hält es Erwachsene davon ab, trotzdem hin und wieder das Handy während der Autofahrt in die Hand zu nehmen? Eben (also nur bei anderen Erwachsenen, natürlich).
Wenn bei Erwachsenen das Handyverbot in bestimmten Situationen nichts bringt, weshalb soll es dann bei Schülerinnen und Schülern das Allheilmittel sein? Versteht mich nicht falsch: Natürlich braucht es handyfreie Zeiten im Unterricht. Und selbstverständlich sollen sich Kinder in der Pause bewegen, statt nur auf Bildschirme zu starren. Aber ein komplettes Verbot ist trotzdem der falsche Weg. Weil es eine verpasste Chance ist, die nötigen Kompetenzen für den Umgang mit der digitalen Welt zu vermitteln.
Aber an manchen Schulen (räusper) wird die Vermittlung des nötigen Know-hows auch dann vermasselt, wenn es solche Geräte gibt (beziehungsweise: man verzichtet einfach darauf, dies zu tun). In Winterthur erhalten alle Schülerinnen und Schüler ab der vierten Klasse jeweils ein iPad, um darauf Mathe- oder Deutschaufgaben zu lösen oder Texte zu schreiben. Soweit, so sinnvoll. Doch dabei bleibt es nicht: Die Kinder dürfen die Geräte mit nach Hause nehmen – und dort auch Youtube-Videos schauen oder Games zocken (also nur die anderen Kinder, natürlich). Unkontrolliert, notabene.
Damit delegiert die Schule die Verantwortung elegant an uns Eltern, ohne uns aber irgendein technisches Werkzeug an die Hand zu geben, um zum Beispiel die Bildschirmzeit zu begrenzen oder Inhalte zu sperren. Gleichzeitig verpassen es die Lehrkräfte, mit den Schülerinnen und Schülern den verantwortungsvollen Umgang mit den Geräten im Unterricht zu thematisieren. Die Schulen sagen damit indirekt: «Hier, liebe Kinder, habt ein iPad – macht damit, was ihr wollt.» Und gleichzeitig heisst es politisch: «Handys sind gefährlich, die müssen vom Pausenplatz verbannt werden.»
Dieser Widerspruch ist schwer zu übersehen. Einerseits wird die digitale Welt aus dem Schulhaus verbannt, andererseits wird sie den Kindern ohne Anleitung in die Hände gedrückt. Wenn das der Plan für die Medienkompetenz der nächsten Generation ist, dann sage ich: Viel Glück. Oder wir lassen es gleich bleiben – und hoffen, dass Google, Tiktok und ChatGPT den Job für uns übernehmen.
