Frühe Wechseljahre
Jetzt schon Wechseljahre?
Wechseljahre betreffen nicht nur ältere Frauen. Das erste Auf und Ab der Hormone geht oft schon mit Ende 30 los und verändert bei Frauen viel mehr als nur den Zyklus. Allerdings muss frau da erst mal drauf kommen.
Jetzt fällt der Vorhang, jetzt muss ich sterben, denkt Stephanie Kiss an diesem Tag. Ihre Kinder sind da vier und acht Jahre alt. Diese Atemnot! Dieses Herzrasen! Stephanies Mann ruft den Notarzt. Entwarnung:nur Panikattacken, lautet der Befund. Die 39-Jährige geht zu einem Psychologen, zu einem zweiten, zu einer Ärztin, die ihr «Erschöpfung» bescheinigt. Doch keine Diagnose fühlt sich richtig an. Bis zu der, die ihre Mutter irgendwann am Telefon stellt: «Kindchen, du bist in den Wechseljahren», sagt die. Und: «Bei mir war das mit den Ängsten genauso.» Ein Bluttest bestätigt Mamas Ferndiagnose. «Was? Kann nicht sein! Ich habe meine Mens, ich bin zu jung, war der erste Gedanke», erzählt Stephanie. «Später kam die Erleichterung, weil ich endlich Bescheid wusste.» Und noch später kam die Wut: auf sich selbst, weil sie ihren eigenen Körper nicht besser kennt. Und auf die Ärzte: Warum sind die denn nicht auf die Idee gekommen? Warum brauchte es erst Mama und eine neue Gynäkologin mit einem Rezept für bioidentische Hormone?
Selbst unter Gynäkolog:innen fehlt Wissen
«Weil das Wissen über die frühen Wechseljahre – nett formuliert – höchst überschaubar ist. Auch unter Mediziner:innen», sagt Petra Stute, Professorin für gynäkologische Endokrinologie am Inselspital Bern. «Sogar in der Gynäkolog:innen-Ausbildung wird das Thema nur gestreift. Je nach Wahl des Schwerpunkts.» Die meisten, Laien wie Profis, gehen davon aus, Wechseljahre – das sei was für ältere Frauen in den 50ern, vielleicht noch ab Mitte vierzig. Aber gewiss nicht in den 30ern. «Ein Irrtum», sagt Petra Stute. Denn schon deutlich vor dem 40. Geburtstag beginne sich der weibliche Zyklus zu ändern, werde erst kürzer, später dann länger. Die Eisprünge seien unzuverlässiger, die Periode stärker. Und irgendwann, wenn sämtliche von Geburt an fix angelegten Eizellenreserven aufgebraucht sind, ist sie da, die Menopause, die allerletzte Regelblutung. Unwiderruflich. Doch bevor es so weit ist – im Schnitt mit 51 Jahren – warten auf Frauen rund 10 Jahre hormonelle Achterbahnfahrt.
Die Symptome des Wechsels sind so unterschiedlich wie die Frauen selbst. Mögliche Begleiterscheinungen der Perimenopause sind:
• Allgemeine Leistungsminderung, schnell erschöpft
• Vergesslichkeit, Konzentrationsstörungen, Brain Fog
• Verrückte Zyklen: zu kurz, zu lang, sehr starke Blutung
• Trockenheit der Scheide
• Häufiger Harndrang, unwillkürlicher Harnabgang
• Wiederholte Blasenentzündung
• Beschwerden beim Geschlechtsverkehr
• Schlaflosigkeit, nächtliches Grübeln, zu frühes Aufwachen
• Kopfschmerzen
• Gewichtszunahme ohne Änderung der Ernährung
• Übermässiges Schwitzen
• Haarausfall
• Übelkeit, ähnlich wie in der Schwangerschaft
• Herzklopfen, Herzrasen
• Stimmungsschwankungen, Aggressivität, Reizbarkeit
• Antrieblosigkeit und Weinerlichkeit
• Schmerzende Muskeln und Gelenke, rheumaähnliche Beschwerden
• Depressive Verstimmung
• Ängstlichkeit und Panik
• Sexuelle Lustlosigkeit
Umgekehrte Pubertät
Prä- und später Perimenopause heissen diese ineinanderfliessenden Phasen. Der Eisprung stolpert, es sinkt das Hormon Progesteron – zuständig für Gelassenheit und Schlaf. Östrogen (Aufgabengebiet: Harmonie, Fürsorglichkeit, Knochenstärkung, vaginale Feuchtigkeit, dichte Haare) dagegen baut unverdrossen die Schleimhaut der Gebärmutter auf. Bis es dann ebenfalls ins Tal rauscht. Nur eben passiert all das chaotisch. Mal ist zu wenig eines Hormons da, dann zu viel, wieder zu wenig. Der Körper legt sich so richtig ins Zeug, um möglichst mit den letzten verbleibenden Eizellen doch noch schwanger zu werden. Vorstellen kann man sich das wie eine umgekehrte Pubertät. Wer seine Teenagerzeit nicht vollständig verdrängt hat, weiss, wozu Hormone im Ausnahmezustand fähig sind und dass im Kielwasser strudelnder Hormone auch mal die Gefühle in Seenot geraten.
Doch während die Pubertät bis zum letzten Pickel erforscht wird, ist das wissenschaftliche Interesse an der frühen Menopause mau. Vielleicht, weil 80 Prozent der Frauen ihre Beschwerden als erträglich einstufen, während die anderen 20 Prozent sich für wehleidig halten und schämen. Vielleicht liegt es daran, dass Alterserscheinungen und Achselzucken von je her befreundete Nachbarn sind. Vielleicht auch harzt der Forscherdrang, weil die Medizin über Dekaden hinweg männlich geprägt war mit entsprechendem Fluchtreflex vor «Frauenkram». Genauer: Alte-Frauen-Kram. Oder es spielt eine Rolle, dass erst vor etwa 10 Jahren die Spätfolgen des Hormonmangels herausgefunden wurden. Und möglicherweise ist es so, dass Probleme mit dem Wechsel eher zum Problem werden, wenn Frauen perfekt performen müssen. Öffentlich. Klar, Hitzewallungen etwa waren nie angenehm. Aber sie sind leichter wegzustecken, rührt man daheim in einem Kuchenteig, als wenn man im Job vor Kunden eine Präsentation halten muss. Rund 20 Jahre Berufstätigkeit bleiben von der Perimenopause bis zur Rente. Beschwerden hin oder her. Geschätzt wird, dass 10 Prozent der Frauen deshalb in den Vorruhestand gehen: still, ohne gross über die Gründe zu sprechen. Vergesslichkeit, wilde Wut oder Inkontinenz eignen sich schlecht zum Kantinenschwatz. Menopause macht einsam.
Claudia Schwingruber
Auch Frauen unter 30
Frauen, die es schon in den 30ern trifft besonders. Denn während die gleichaltrigen Freundinnen überlegen, ob sie sich doch noch ein drittes Kind zulegen sollen, caramelfarbene Mèches für 400 Franken oder das Geld besser in ein Fortbildungsseminar investieren, hat man selbst plötzlich ganz andere Fragen im Kopf. Riechen die Kolleg:innen wohl die Schweiss-Ströme? Wird dieser scheiss Haarausfall so weitergehen und sich damit das Thema Mèches ohnehin bald erledigen? Hatte Simone de Beauvoir recht oder doch einen Aussetzer, als sie schrieb, mit dem Ende der Fruchtbarkeit «wird der Frau ihre Weiblichkeit schlagartig genommen»? Das sind so Gedanken. Aber keine zum Aussprechen.
Sarina Gatti* ist 27, als sie von ihrem Gynäkologen hört: «Oh, Frau Gatti, das wird aber schwierig werden bei Ihnen mit Kinderkriegen. Sie sind im Wechsel.» Ihr Anti-Müller-Hormon-Wert, der anzeigt, wie viele Eizellen der Körper noch in petto hat, ist unterirdisch. «Ich habe den lediglich deshalb testen lassen, weil meine ältere Schwester Schwierigkeiten mit dem Schwangerwerden hatte», erzählt die Bernerin. Und jetzt dieser Befund. Mit unter 30 ! Nie hätte sie daran gedacht. Sie nahm die Pille, der Zyklus ist regelmässig wie ein Metronom. Beschwerden? Keine. «Ich musste sofort eine Hormonersatztherapie beginnen. Die Gefahr späterer Osteoporose, von Herz-Kreislauf-Problemen und anderen Erkrankungen ist bei derart frühen Wechseljahren zu hoch», erzählt sie. Sarina fühlt sich mit ihrer Diagnose POI «Prämature Ovarialinsuffizienz», als schwebe sie im luftleeren Raum. Bislang war Zukunft für sie immer planbar gewesen. Eine Frage von Willen und Organisation. Und jetzt plötzlich – grätscht da frech der Körper rein. Von jetzt auf gleich stellt sich die Kinderfrage nicht mehr. Zumindest nicht auf natürlichem Weg. «Und andere kann ich mir für mich nicht vorstellen», sagt sie. «Aber vielleicht hätte ich meine Eizellen einfrieren lassen, wenn ich das früher gewusst hätte.» Früher gewusst. Genau gewusst. Überhaupt was gewusst. Wissen über frühe Wechseljahre ist Mangelware.
Sogar bei Frauen wie Claudia Schwingruber, die sich als Fachperson sexuelle Gesundheit an einer Berufsschule bestens auskennt, ist das mit dem Wissen so eine Sache. Theoretisch, klar, da ist die 39-Jährige im Bild: Eisprung, Follikel, Östrogene, Progesteron, Testosteron, Klimakterium – alles aus dem Effeff. «Nur – wenn es einen selbst betrifft, dann ist es etwas anderes. Damals – mit Mitte 30 – habe ich die Infos zur Menopause und den Begleiterscheinungen einfach nicht auf mich bezogen», sagt die Luzernerin.
Das Gedankenkarussell in schlaflosen Nächten, die Dünnhäutigkeit, die Tränen. Zu der Zeit ist Claudia sich selbst fremd. Lachen hatte ihr eigentlich immer näher gelegen als Weinen. «Rückblickend hätte ich natürlich auf die Idee ‹Perimenopause› kommen können. Bin ich aber nicht. Ich war nur ständig völlig fertig. Gleich beim Frühstück bin ich mit meiner Tochter zusammengerasselt. Hatte sie auch nur die falschen Socken an, war ich, zack, auf 180.» Job + Care-Arbeit = Stress, macht sie im Kopf die Gleichung auf. Lange reicht ihr das als Erklärung.
Heulen und Null Bock auf Sex
Bis sie an drei von sieben Tagen schon vor dem Mittag völlig verweint ist. An einem dieser Tage geht sie zu ihrem Gynäkologen, zählt ihre Symptome auf und «tätscht ihm anne», dass sie auch null Bock auf Sex mehr habe. Null. Doch der Mediziner findet: «Wechseljahre? Nö. Zu früh» Erst die Phytotherapeutin, bei der Claudia Rat sucht, macht einen grossen Bluttest. Ergebnis: Hormone im Sinkflug, Perimenopause. «Hat mich zwar 400 Franken gekostet, aber das wars wert.» Mit dem Befund geht sie zum Hausarzt. Neue Kontrolle und endlich – ein Rezept. Seitdem wird das niedrige Progesteron ersetzt und Claudia ist wieder die alte. Heulattacken, Lustlosigkeit und Reizbarkeit sind Vergangenheit. «Inzwischen lese ich alles, was ich über die Perimenopause in die Finger kriege und bin eine richtige Expertin für mich selbst geworden.» Hilfreich dabei ist, dass das Thema Wechseljahre – egal ob früh, vorzeitig oder spät – endlich anfängt zu brummen. Galt das bis vor Kurzem noch als Tabu und «Altweiberkram», ändert sich das gerade.
Menopausen-Aktivistinnen
Bücher wie «Woman on Fire» der Gynäkologin Sheila de Liz werden Bestseller, zahllose Blogs, Instagramposts und Podcasts spriessen im Netz. Menopausen-Content ist derzeit fast fancy: selbstbewusst, fröhlich, informativ, manchmal schrill. Und – politisch. Unter dem Hashtag «Wir sind 9 Millionen» beispielsweise vernetzen sich in Deutschland Frauen zwischen 40 und 55. Sie kleben Plakate, bedrucken T-Shirts mit dem Slogan, verteilen Flyer, machen sich selbst sichtbar und machen auch sichtbar, wie ungerecht es ist, dass Männer – Viagra sei Dank – trotz abnehmender Hormone vergnügt altern können und an Ansehen gewinnen wie ein gut gereifter Wein. Frauen dagegen die Wahl haben zwischen den Kategorien «vertrocknete Ziege», «welke Omi» oder «Furie». Und sie tun verdammt gut daran, körperliche Beeinträchtigungen zu kaschieren. Wer will schliesslich am Arbeitsmarkt einmal mehr als unsichere Jobkandidatin dastehen? Kinderkriegen, Periodenschmerzen und PMS – werden wirklich schon oft genug bemüht, um Frauen im Beruf auszuhebeln.
Eine gute Lösung
Aber wäre es da nicht am einfachsten, dem allen ein Schnippchen zu schlagen, Hormone zu schlucken, den Mangel auszugleichen und fertig? Das zumindest legt das Buch von Sheila de Liz nahe. Und sie hat gute Argumente. Fehlt das Östrogen, werden Knochen brüchig, Gehirne mürbe. Taucht der Hormonspiegel dauerhaft, haben Alterserkrankungen leichtes Spiel. Ersetze man die Hormone nicht rechtzeitig, so de Liz, schlösse sich auf ewig ein Zeitfenster. Überhaupt sei moderner Hormonersatz in keiner Weise mehr mit den alten, als Brustkrebs-Booster verschrienen Therapien vergleichbar. Und keine Frau, wirklich keine, müsse und solle sich noch anhören: «Fiep nicht, da musst du halt durch.» Da hat sie recht.
Nahezu alle Gynäkolog:innen sind sich einig, dass Hormone hochpotente Stoffe sind, deren Fehlen nicht ohne negative Wirkung bleibt. Auch stimmen ihr die meisten zu, dass bei schweren Symptomen individuell abgestimmte, von Ärzt:innen begleitete Ersatztherapien ein Segen sein können. Mönchspfeffer, Traubensilberkerze oder anderes Pflanzliches aus der Drogerie verursachen zumindest keinen Schaden. Und doch...
Ist das wirklich die Universal-Lösung in dieser für die Frau verunsichernden Umbruchszeit: Hormone aufkleben, cremen, schlucken, wahlweise im Netz irgendwas phytobiologisch Energetisches bestellen und mit Yoga dem neuen Bauchfett zu Leibe rücken? Muss jede mittun, weil es viele tun? Und ist überhaupt das Ziel richtig: Sein wie vorher?
Silke Burmester
Nicht nur Mangel, Abstieg und Trauer
«Ich finde nicht», sagt die ehemalige Journalistin Silke Burmester und Gründerin der Onlineplattform «Palais F*luxx». «Ich verteufle keine Hormontabletten. Aber für mich bedeutet der Wechsel mehr: eine Metamorphose, die zum Leben gehört. Kein Mensch käme auf die Idee, Jugendlichen Hormone zu geben, damit sie ewig Kinder bleiben. Warum ist das andersherum so?» Massiv stört Silke Burmester dieser Makel, der Perimenopause und Menopause anhaftet. Das Defizitäre, Mangelhafte. Als sei von Stund an alles nur noch Verlust, Abstieg, weniger, trauriger – schlechter. Neulich, erzählt sie am Telefon, habe sie auf Netflix «Ein neuer Sommer» mit Nicole Kidman gesehen. Zwei Folgen lang habe sie gedacht, das Ganze sei eine lustige Persiflage. Sieht doch Nicole Kidman, die die Mutter spielt, mit ihrem zurechtgespritzten Gesicht jünger aus als ihre Filmtochter. «Aber die meinen das tatsächlich ernst. Das finde ich schlimm. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der man in Würde altern kann», sagt Silke Burmester. Und eine, in der Frauen altern dürften wie Frauen und nicht wie Männer. Denn das unterscheidet sich. Deshalb bietet die Hamburgerin für Firmen jetzt Vorträge an über die besonderen Bedürfnisse der Arbeitnehmerinnen im Wechsel. Arbeitnehmerinnen, ausgestattet mit viel Erfahrung und jahrzehntelangem wertvollem Know-how. «Darauf zu verzichten, kann sich heutzutage eigentlich kein Unternehmen leisten.»
Dumm wäre das zudem. Denn mit dem dauerhaften Sinken des Östrogens hat jetzt auf einmal das Testosteron ein lauteres Wörtchen mitzureden. Und das sorgt für Energie, Durchsetzungsstärke und einen sehr klaren Kopf. Schwertwale wissen das schon länger. Ihre Rudel leiten: Weibchen in der Menopause.
Bücher
• Sheila de Liz: «Woman on Fire – alles über die fabelhaften Wechseljahre», Rowohlt, Fr.26.–
• Miriam Stein: «Die gereizte Frau», Goldmann, Fr.29.–
• Serena Lozza-Fiacco: «Ratgeber Wechseljahre», Hogrefe, Fr.15.–
Filme
• «Ohne Tabu durch die Wechseljahre» Youtube.com/@nzz/videos
• «Was Sie schon immer über Frauen wissen wollten» ardmediathek.de
Podcasts
• «Meno an mich». Mehr als 40 Podcastfolgen
• «50 über 50». Persönliches und Nachdenkliches
Online
• Webseite: «Palais F*luxx Leuchten für Fortgeschrittene», Kluges für Frauen in der Lebensmitte palais-fluxx.de
• Magazin und Shop für natürliche Nahrungsmittelergänzungen und viel weibliches Körperwissen xbyx.ch
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