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Fasnacht
Kostüme für die Kinderfasnacht - politisch korrekt
Fasnacht ist lustig? Na, geht so. Denn schon die Kostümauswahl birgt Fallstricke ohne Zahl. Glauben Sie nicht? Lesen Sie weiter!
Konfetti! Und rein ins Kostüm. So einfach war es ehedem mit dem närrischen Frohsinn. Lang ists her. Denn eine Verkleidung fürs Kind zu finden, erfordert inzwischen eine Recherche und Einarbeitungszeit, in etwa vergleichbar mit einer Promotion in Astrophysik. Ja, aber, mag ein argloses Naturell einwenden: Wie wärs schlicht mit der guten alten Pappnase? Dem Krönchen? Dem Cowboyhut? Wenn das so einfach wäre! Ist doch der Weg zum Fasnachtskostüm mit Fettnäpfchen gepflastert. Eine Auswahl:

Rotkäppchen
Erster Gedanke der Eltern: die überteuerte rote Mütze aus dem Skiurlaub liegt ohnehin nur rum. Gedanke 2: Märchen sind wertvolles Kulturgut. Vergessen Sies. Denn: Rotkäppchen geht gar nicht.
Nur zur Erinnerung: «Komm, Rotkäppchen, da hast du ein Stück Kuchen und eine Flasche Wein, bring das der Grossmutter hinaus; sie ist krank und schwach und wird sich daran erfreuen.»
Erfreuen? An einer ganzen Pulle Wein, wo sie doch ohnehin schon krank ist? Ja, soll der Alkoholismus der Seniorin etwa noch weiter gefördert werden? Durchs eigene Enkelkind? Und: Wolf erschiessen? Wo 51,9 Prozent des Schweizer Stimmvolks gegen das Jagdgesetz gestimmt hat?
Also: kein Rotkäppchen

Prinzessin
Bietet sich ja immer an. Derzeit meist trendbewusst im blau-weissen Dress, dann sind die Prinzessinnen Elsas.
Nur: Prinzessin geht gar nicht. Schliesslich sind wir waschechte Demokraten. Monarchie in die Mottenkiste! Allein das ganze royale Heckmeck mit Harry und Meghan. Nein, alle Macht dem Volk.
Also: keine Prinzessin

Cowboy
Der Klassiker. Das nutzt ihm aber nichts. Denn: Cowboy geht gar nicht. Man beachte die blutige Geschichte Nordamerikas, das Leid der Kühe wegen all der Brandzeichen. Die Verherrlichung von Waffen und lachhaften Hüten.
Überhaupt Viehwirtschaft. 300 Milliarden Liter Methanausstoss durch Rinder pro Tag; pupsen glatt die Gletscher weg, die Viecher. Dazu Lagerfeuer: fossile Brennstoffe. Und Bohnen in Dosen statt frisch gekochte. Manche Cowboys haben sogar mal Werbung für Zigaretten gemacht oder sind von John Wayne verkörpert worden. Ja, will man das für sein Kind? Entschieden: Nein.
Also: kein Cowboy.

Indianer
Als Verkleidung noch schlimmer als Cowboy und ausserdem gibt es die ganze Bezeichnung nicht mehr. «Native Americans» sagt man heute korrekt. Daher: Indianer geht gar nicht.
Weil: Federhaube fiele unter «kulturelle Aneignung». Vermeintlich passend geschminkte Haut wäre «Blackfacing» in rotbraun. Und historisches Gemetzel verharmlosen will man sowieso genauso wenig wie sein Kind qua Friedenspfeife an den Nikotinmissbrauch heranführen.
Ausserdem ist in dem Kostüm ohnehin niemand so schön wie einst Pierre Brice.
Also: kein Indianer

Krankenschwester
Nein, da gilt es hart zu bleiben, wenn das Kleinkind einem den Puls messen und das Herz abhören möchte. Denn: Krankenschwester geht gar nicht.
Schon allein deshalb nicht, weil die inzwischen «Fachfrau/mann Gesundheit» heissen, was ein Kind erst ab drei Jahren zumindest in etwa korrekt aussprechen kann.
Ausserdem: Wer möchte während einer Kinder-Fasnachtsparty an Corona, unterbezahlte Fachkräfte oder weisse Lackkostüme aus dem Fetischshop denken? Eben.
Also: keine Krankenschwester

Hexe
Super, dann rentiert sich endlich das schweineteure Kostüm von Halloween, wenn es noch mal zum Einsatz kommt, ist vielleicht die ökonomische Erwägung hinter dieser Wahl. Nur: Hexe geht gar nicht.
Noch nie was vom Hexenhammer gehört, von Hexenprozessen. Hexentaufen und Scheiterhaufen? Nein? Ähm, ja. Dann weiter zum nächsten Argument: die obligatorische Warze auf der Nase.
Klarer Fall von Bodyshaming. Und wäre ausserdem mit Lichtschutzfaktor 50, den man ja niemals vergessen soll, nicht passiert. Hier wird was verwechselt? Egal.
Also: Keine Hexe

Teddy-Bär
Funktional, so ein wärmend puscheliges Ganzkörperfell, mag so manches Elternteil denken. Auch prima genderneutral das Kostüm. Wie blauäugig! Denn: Teddy-Bär geht gar nicht.
Schliesslich ist der Name «Teddy-Bär» Theodor Roosevelt geschuldet, der bei der Bärenjagd ein Bärenkind verschont haben soll, welches dann eben jenen unnachahmlichen Siegeszug in Plüsch antrat.
Bärenjagd? Wie bitte? Der braune Bär wird auf der Liste der bedrohten Tierarten geführt. Das Abschiessen eines Elefanten – deutlich weniger niedlich als ein Bärenkind – hat sogar den spanischen König Juan Carlos weltweit in Ungnade fallen lassen. Überhaupt lebt der jetzt in Abu Dhabi statt in Spanien, weil das Gericht gegen ihn wegen Korruption ermittelt. Aber das ist eine andere Geschichte.
Also: kein Teddy

Pippi
In Sachen Originalität lässt sich mit Pippi Langstrumpf ohnehin nicht punkten, stehen doch am Rand eines jeden Fasnachtsumzugs gefühlt 4000 davon. Warum eigentlich? Denn: Pippi geht gar nicht.
Stichwort: N* prinzessin. Und dann die Sache mit dem Pferd. Das ist doch für so ein Tier keine artgerechte Haltung, auf zwei Mädchenarmen herumgetragen zu werden. Auch Meerkatzen, wie Herr Nilsson, sollen gemäss der schweizerischen Tierschutzverordnung (TSchV) 455.1 für Wirbeltiere, Kopffüsser (Cephalopoda) und Panzerkrebsen (Reptantia) anders aufbewahrt werden.
Schliesslich heisst es in Artikel 11: «In Räumen und Innengehegen muss ein den Tieren angepasstes Klima herrschen.» Ja, wie soll das denn für einen Affen in Schweden, so weit im Norden, gehen? Da hätte der WWF aber keine Freude.
Also: keine Pippi

Biene
Kommt wirklich in Zeiten, in denen Menschen ein Bienenhäuschen akribischer planen als Lord Nelson die Schlacht bei Trafalgar, noch jemand auf die Idee, das Kind in ein geringeltes Bienenkostüm zu stecken? Denn: Biene geht gar nicht.
50 Prozent der Wildbienen sind vom Aussterben bedroht. Jährlich sterben allein in den USA 44 Menschen an einem Wespen- oder Bienenstich. Biene Maja in der bekannten Zeichentrickversion war zu fett, wurde deshalb verschlankt und ist jetzt ein Bienenstachel im Fleisch der Body-Positivity-Bewegung.
Also: keine Biene

Gärtner* in
Ja, das ist aber doch mal ein schönes Kostüm. So ökologisch, so achtsam, so die Natur wertschätzend, so preisgünstig. Eine rustikale Schürze, zwei Rüebli. Fertig. Denken die Eltern. Jedoch: Gärtner* in geht gar nicht.
Wie viele Jungs unter schweren psychischen Mobbingfolgen leiden, weil sie mit zwei Karotten vom Biolieferdienst zur Schulfasnacht erschienen sind, während sich die Klassenkameraden als Luke Skywalker verkleidet mit ihren Leuchtschwertern duelliert haben, ist bislang nicht erfasst.
Genauso wenig wie die anhaltend belastete Elternbeziehung von Mädchen, die ausstaffiert mit Kleidung aus Sackleinen, Giesskanne und – eben Rüebli vom Bio-Lieferdienst all den glitzernden Elsas und Lillifees gegenübertreten mussten.
Also: kein Gärtner, keine Gärtnerin

Clown
Coulrophobie muss als Stichwort reichen. Die krankhafte Angst vor Clowns.
Denn: Clown geht gar nicht.
Schon allein deshalb nicht, weil der US-Psychologe Frank McAndrews anhand von 1341 Probanden Eigenschaften herausforschte, die Menschen als gruselig empfinden.
Das Ergebnis: Menschen haben Angst vor Wesen, die sich ungelenk bewegen, blasse Haut haben, dunkle Augenringe und ein nicht nachvollziehbares Lachen.
Wer andere nicht nachhaltig traumatisieren möchte, lässt das Spassmacher-Kostüm daher besser im Schrank.
Also: kein Clown

Spiderman
Kann ja sein, dass der Bub das cool findet und auch schon über einige Unterhosen mit dem entsprechenden Emblem drauf verfügt. Trotzdem: Superman/Batman/Spiderman geht gar nicht.
Erinnert viel zu sehr an Mansplaining oder so was in der Art mit all der Frauen-Retterei. Ausserdem – fliegen (oder, okay, ganz weit hüpfen) tun die auch.
Da stellt sich doch Flugscham ein und vermiest einem gleich jedes fasnächtliche Anstossen mit dem Appenzeller Alpenbitter.
Also: Kein…man irgendeiner Art

Einhorn
Herrje, als irgendwas muss man ja gehen. Deshalb gibt es Einhörner – anders als in der Mär – heute stets in Herden.
Caren Battaglia hat Germanistik, Pädagogik und Publizistik studiert. Und genau das interessiert sie bis heute: Literatur, Geschichten, wie Menschen und Gesellschaften funktionieren – und wie man am besten davon erzählt. Für «wir eltern» schreibt sie über Partnerschaft und Patchwork, Bildung, Bindung, Erziehung, Erziehungsversuche und alles andere, was mit Familie zu tun hat. Mit ihrer eigenen lebt sie in der Nähe von Zürich.