Kinder zu rühmen ist wichtig für deren Selbstwertgefühl. Lob und Lüge liegen aber meist zu nah beieinander, findet unser Blogger Reto Hunziker.
Zugegeben, ich war noch nie gut darin. Und ich werde wohl auch nie gut darin sein, Komplimente zu verteilen. Oder Lob auszusprechen. Wird wohl mit meiner selbstkritischen Art und meiner eigenen Erziehung zusammenhängen. Wie dem auch sei, kürzlich bin ich über diesen Tweet hier von @42Farbstifte gestolpert:
«Irgendwann kam das in Mode, Kinder für jede Scheisse zu loben. Und jetzt denken 20-Jährige, sie seien die Geilsten, weil sie kacken können.»
Ich dachte mir: absolute Zustimmung.
Nicht, dass ich denke, die heutigen Kinder seien alles selbstverliebte Egomanen. Aber... doch, eigentlich schon. Das ist ja nur meine Beobachtung, aber was Kinder heute für jeden Pups über den grünen Klee gelobt werden. Ist das wirklich nötig? Und bringt das noch etwas?
«Wow, wie du jetzt deinen Teller abgeräumt hast – super.» «Jee, du hast den Lichtschalter selbst gefunden.» «Prima, wie du die Katze nicht mit Steinen beworfen hast.» Echt jetzt? Loben wir die Kleinen heutzutage für jeden Pipifax?
Da glauben die doch später, sie hätten einen Orden verdient, wenn sie sich mal selbst die Schuhe binden. Und sind entsprechend frustriert, wenn dem nicht so ist. Werden daraus nicht Teenager, die denken, man müsse für einen Monatslohn nur mal kurz den kleinen Finger heben?
Die Pädagogen sind sich wohl einig, dass ein gewisses Mass an Lob wichtig ist für die Entwicklung eines Kindes. Wie soll es sonst auch ein Selbstwertgefühl entwickeln? Wir müssen den Kindern sagen, was sie gut machen. Meiner Ansicht nach ist dabei aber Authentizität enorm wichtig. Ein Lob ist nur konstruktiv, wenn es auch ehrlich gemeint ist. Deswegen sage ich auch nur, dass mein Stiefsohn etwas gut gemacht hat, wenn ich finde, er habe etwas gut gemacht. Und das kommt leider nicht so oft vor. Weil ich schlicht nicht so leicht zu beeindrucken bin.
Sollte ich deswegen öfter Lob heucheln? Nein, finde ich. Erstens ist ein unaufrichtiges Lob nichts wert. Und zweitens haben Kinder sowieso einen guten Sensor dafür, was die Erwachsenen wirklich so meinen, wie sie es sagen.
In einem Eltern-Ratgeber habe ich mal gelesen, dass man bei Lob/Kritik differenzieren und die Kinder auch anspornen soll. Etwa so: «Aha, das ist ein Wal?! Du hast aber auch schon schönere Wale gezeichnet.» Das entspricht mir ziemlich gut. Vielleicht muss ich auch mal meine Erwartungen herunterschrauben und zwischendurch sagen: «Bravo. Das war jetzt ganz passabel.»
Blogger Reto Hunziker
Reto Hunziker ist 1981 im Aargau geboren, aber das muss noch nichts heissen. Er hat Publizistik, Filmwissenschaft und Philosophie studiert und auch das muss noch nichts heissen. Er arbeitet als freier Journalist und als Erwachsenenbildner und versucht daneben, dem ganz normalen Wahnsinn in einer Patchwork-Familie (Frau, Tochter und Stiefsohn) mit Leichtigkeit und gesundem Menschenverstand zu begegnen – das will was heissen.
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