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Paarbeziehung
«Mann und Frau trotz Kind»
Von Veronica Bonilla Gurzeler
Schlafmangel, Überforderung, Entfremdung: Die erste Zeit mit Baby stellt Paare auf eine harte Probe. So meistert man die Herausforderung.
Die Geburt eines Kindes stellt das ganze Leben auf den Kopf. Richtig?
Valentina Anderegg: Genau. So ist das.
Das ist hinlänglich bekannt. Trotzdem ist niemand darauf vorbereitet.
Tatsache ist, dass es wenige Erfahrungen im Leben gibt, die in ihrer Intensität an die Veränderungen herankommen, die ein Baby verursacht. Hätten wir diese Erfahrung bbereits gemacht, wäre es einfacher, uns darauf vorzubereiten. Dazu kommt, dass sich die Partner oft kaum darüber austauschen, welche Vorstellungen oder Erwartungen sie bezüglich Familienleben haben.
Wie verändert das Baby die Partnerschaft?
Am intensivsten empfinden Paare, wie sich die Aufteilung der Zeit verschiebt. Neu ist da ein Kind, das versorgt werden will und eigentlich pausenlos die Aufmerksamkeit mindestens einer Person auf sich zieht. Jedenfalls wenn es wach ist. Entweder ist also die Mutter mit dem Kind beschäftigt oder der Vater. Das Paar alleine, das gibt es fast nicht mehr. Insofern ist das Kind für die Partnerschaft eine Konkurrenz. Auch Schlafmangel ist ein grosses Thema in den ersten Monaten und Jahren. Zudem verursachen die zahlreichen Anforderungen, die die neue Aufgabe mit sich bringt, oft Stress. Dieser wiederum führt negative Charaktereigenschaften der einzelnen Personen deutlicher zutage.
Bei vier von fünf Paaren nimmt die Partnerschaftszufriedenheit nach der Geburt des ersten Kindes ab. Eigentlich traurig.
Anfügen könnte man noch: Und dies, obwohl sich das Bild vom Kind als «Krönung der Liebe, der Beziehung» standhaft hält.
Was können wir vom fünften, zufriedenen Paar lernen?
Zufriedene Eltern und zufriedene Paare nehmen sich Zeit für die Beziehung. Sie tauschen sich aus, reden, unternehmen etwas ohne Kind, haben Interesse aneinander und bleiben füreinander interessant.
Wieso ist gemeinsame Zeit so wichtig?
Weil ganz anderes möglich ist, wenn man Zeit nur zu zweit verbringt, ohne das Kind. Man kann sich wieder als Paar erleben, als Mann und Frau, und nicht nur als Mami und Papi.
Also so früh wie möglich das Baby ein paar Stunden weggeben?
Es muss natürlich für beide stimmen und von beiden gewollt sein, sonst bringt es nichts. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es Paaren einfacher fällt, daraus eine Gewohnheit zu machen, je früher sie damit beginnen. Am einfachsten ist es, wenn die Gotte, der Opa oder eine Freundin möglichst bald auf Besuch kommen und sich dabei um das Baby kümmern. Haben sich die beiden aneinander gewöhnt, können die Eltern für ein paar Stunden ausgehen.
Und reden dann nur über das Kind.
Vielleicht. Dieses Thema kann jedoch auch bewusst eingeschränkt werden. Wichtig ist, dass man keine zu grossen Erwartungen hat an die gemeinsame Zeit. Ein Spaziergang ist oft dem Edelrestaurant vorzuziehen.
Was tun, wenn sich niemand findet, der sich regelmässig um das Kind kümmert?
Man kann sich auch im Alltag gemeinsame Inseln schaffen. Zum Beispiel abends, wenn das Kind schläft. Wichtig ist, dass man in dieser Zeit nicht am Computer sitzt, das Handy weglegt und sich einander zuwendet, sich austauscht, auch wenn es nur eine halbe Stunde ist. Die Pflege, die eine Partnerschaft braucht, wird unterschätzt.
Wie sehen die Stolpersteine aus, die in den ersten Monaten im Familienleben auftauchen?
Viele Paare nehmen sich heute vor, nicht die klassische Rollenverteilung zu leben. Ist das Kind da, geht der Mann jedoch trotzdem erst mal weiter arbeiten wie vorher. Die Frau hat Mutterschaftsurlaub, ist den ganzen Tag mit dem Säugling zu Hause und der Haushalt fällt wie automatisch in ihren Aufgabenbereich. Beim Mann verändert sich also vordergründig wenig, bei der Frau alles. Dies wird von den Frauen als sehr enttäuschend erlebt, sie werden unzufrieden.
Geht die Frau auch wieder arbeiten, wird der Stress noch grösser.
Ja, weil wir den Anspruch haben, unsere verschiedenen Rollen perfekt zu erfüllen: Wir erwarten von uns, umsorgende Eltern, erfolgreiche Berufsleute, attraktive Partner und perfekte Hausfrauen oder Hausmänner zu sein. Das überfordert, ganz besonders weil die familiäre Unterstützung, die frühere Generationen hatten, heute häufig fehlt. Wir sollten nicht zu stolz sein und jede mögliche Hilfe von aussen annehmen.
Was hilft sonst noch?
Reden! Die Probleme offen ansprechen und nicht erwarten, dass der andere von selbst merkt, was los ist. Verhandeln, wie die Alltagsaufgaben verteilt werden sollen. Lösungen oder Kompromisse suchen. Den Alltagsstress möglichst tief halten. Aus Studien weiss man, dass dieser der Beziehung mehr schadet als grosse Stressoren wie ein Umzug. Alltagsstress zermürbt und führt zu Streit, was grosse Auswirkungen hat auf die Beziehungszufriedenheit, aufs Erziehungsverhalten und schliesslich auf das Kind.
Wieso ist Reden so wichtig?
Wenn man sich dem andern öffnet, gibt man einander die Gelegenheit, sich besser zu kennen. Wer versteht, wieso etwas für den andern so wichtig ist, kann den anderen besser unterstützen. Es kann gemeinsam eine Lösung oder ein Kompromiss gesucht werden. Dies stärkt das Wir-Gefühl, sodass die Partnerschaft als Kraft erlebt wird.
Das Klischee besagt, dass Frauen die Beziehungspflege in die Wiege gelegt ist, bei Männern ist Reden jedoch nicht so beliebt.
Frauen fällt es vielleicht leichter, zu sagen, was sie ärgert. Etwa, dass er die Tasse nie in die Spüle stellt. Sobald es um tiefe Gefühle geht, tun sich Männer und Frauen gleichermassen schwer. Über Ängste zu reden, wie zum Beispiel ihm nicht mehr zu genügen, für ihn nicht mehr attraktiv zu sein, fällt den wenigsten Frauen leicht. Redet man aber nicht zusammen, hat man keine Ahnung, wo der andere steht; man entfremdet sich. Konflikte gedeihen dann einfacher.
Und wenn dann doch mal die Fetzen fliegen, es zum Streit kommt?
In jeder Beziehung wird gestritten. Streit vemeiden ist nicht der Königsweg zu einer glücklichen Partnerschaft. Der Schlüssel liegt in der Art und Weise, wie man streitet.
Wie streitet man konstruktiv?
Verallgemeinerungen im Stil von «du machst nie ...» sind zu vermeiden. Ebenso Sarkasmus oder Zynismus. Am besten bleibt man sachlich bei einer konkreten Situation und sagt, wie man sich dabei fühlt. Wichtig sind auch aktives und interessiertes Zuhören, wobei man kurz zusammenfassen kann, was der andere gesagt hat. Das wirkt manchmal etwas künstlich, aber so wird klar, ob man einander richtig verstanden hat. Werden die Gefühle zu intensiv, soll die Diskussion nicht auf Biegen und Brechen weitergeführt, sondern auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.
Man, oder müsste man sagen «frau»?, hat manchmal die Angewohnheit, alles zu zerreden. Doch lange und sich wiederholende Dramen zermürben. Taten statt Worte wären oft hilfreicher.
Hier müssen sich die Frauen etwas an der Nase nehmen: Es hilft, auf den Punkt zu kommen und nicht alles immer breitzutreten. Vielleicht merkt man am nächsten Tag, dass es gar nicht mehr so wichtig ist. Sich den tieferen Konflikten zu entziehen, ist allerdings längerfristig schädlich für die Partnerschaft.
Zur Person
Die Psychologin Valentina Anderegg unterstützt im Spital Affoltern am Albis Frauen und Paare vor und nach der Geburt. An der Uni Zürich schreibt sie eine Doktorarbeit zum Thema «Paare im Übergang zur Elternschaft».