Generationen
Oma und Opa machen das so!
Oma und Opa haben anders erzogen als heutige Eltern – das erzeugt mitunter Reibung in der Familie. So gelingt das Miteinander der Generationen.
An diesem Klassentreffen sitzen 15 knapp 60-jährige Männer und Frauen zusammen, schwelgen in Erinnerungen und diskutieren über Politik. Eine kleine Gruppe davon rühmt sich, bereits Oma oder Opa zu sein. Doch nach der kurzen Schwärmerei über den süssen Nachwuchs werden schnell Voten über heutige Erziehungsstile und Ansprüche an die Grosseltern laut: Es werde erwartet, für Hütedienst jederzeit auf der Matte zu stehen und Wochenenddienst zu übernehmen – Nutellabrote für die Enkel zu streichen aber sei verboten. Weil: Zucker böse. Oder: Hallo, bei uns wird noch immer mit Löffel, Messer, Gabel gegessen, hippe Fingerfood-Methode hin oder her.
Corinne Hafner Wilson, Psychologin
Mit 63 Jahren Grosseltern
Die Rolle der Grosseltern hat sich gewandelt. Das Bild vom Grossvater, der über die Zeitung gebeugt schnarcht und der Grossmutter mit grauem Dutt, die nebenan strickt, schimmelt allenfalls noch in Märchenbüchern vor sich hin. Heutige Grosseltern sind oft fit, bereisen die Welt, arbeiten oder wollen nach der Pensionierung ihre Freiheit auskosten. Laut Bundesamt für Statistik werden Schweizerinnen heute zwar erst mit ungefähr 63, Schweizer mit 67 Grosseltern – Tendenz steigend – doch gesundheitlich sind sie viel besser auf Zack als noch vor einem halben Jahrhundert.
Ganz ausklinken aus der Verantwortung wolle sich die ältere Generation aber auf keinen Fall, sagt Corinne Hafner Wilson: «Grosseltern engagieren sich gerne für die Enkel – aber sie wollen sich nicht einzig darauf festlegen lassen.» Die Psychologin arbeitet bei Pro Senectute und begleitet das Projekt Generationen im Klassenzimmer. Sie hat also Einblick in intergenerationale Beziehungen. Und hier prallen manchmal halt auch unterschiedliche Erwartungen aufeinander.
Zwar seien die Ansichten über Erziehung heute oft ähnlicher als noch vor einigen Jahrzehnten. Während in den 1950er-Jahren konservative Erziehungsstile mit den liberalen Ansichten der 68er-Generation kollidierten, unterscheide sich das erzieherische Regelwerk heute weniger stark. Dennoch gibt es Spannungsfelder: «Grosseltern sehen ihre Beziehung zu den Enkeln als gegenseitigen Austausch, aber sie wollen nicht wie früher selbstverständlich in die Betreuung eingebunden werden.» Vor allem die Grossmütter. Denn vor 50 Jahren waren fast ausschliesslich die Frauen mit dem Enkelhüten beauftragt. Ihr Leben glitt nahtlos aus der moralischen Verpflichtung, als Mutter für die Kinder da zu sein, in die von der Gesellschaft erwartete Rolle als Grossmutter. Bis sie sich im Stöckli endlich selber umsorgen lassen durften.
Heutige Grossmütter begehren gegen die Erwartung der Dauerfürsorge auf. Dafür mischen die Grossväter – zum Glück! – bei der Grosskinderbetreuung so richtig mit. Auch sie wollen mit den Enkelinnen und Enkeln Legotürme bauen, über dem Feuer Schlangenbrot rösten und Fussball spielen. Oder Windeln wechseln, nachts Schoppen verabreichen, Franzwörtchen abfragen. Laut der letzten Erhebung 2020 des Bundesamtes für Statistik wenden Grosseltern zusammen pro Jahr 157 000 000 Stunden für die Betreuung ihrer Enkel auf – gratis und franko. Würde man sie entgelten, würde dies einem monetären Wert von 7 700 000 000 Franken entsprechen.
Reibungswärme
Familie zu sein, bedeutet Reibung. Fast immer. Gemäss einer kürzlich erschienenen Umfrage des Gottlieb Duttweiler Institutes zum Thema Familie gehören bei immerhin 74 Prozent der befragten Personen Grosseltern mit zum Familienkonstrukt. Im schwierigeren Fall herrscht intergenerationale Funkstille, im besten Fall Nest-, oft aber auch Reibungswärme. Vor allem, wenn es um Erziehungsstile geht. Es gibt jene Grosseltern, bei denen die Kinderzimmertüre abends zugezogen wird, weil die Erwachsenen ihre Ruhe wollen. Bei der Generation junger Eltern löst so viel Distanz mitunter Entsetzen aus. So heisst es immer wieder: Kompromisse suchen. Warum nicht ein Nachtlicht installieren und die Türe wenigstens einen Spalt breit offen halten?
Überhaupt: Kompromisse und Kommunikation seien die Basis für konstruktives Miteinander, sagt Corinne Hafner Wilson: «Auch die Elternteile müssen sich schliesslich im Erziehungsstil finden – und umso mehr die Generationen.» Aus psychologischer Warte sei es wichtig, dass Vorstellungen und Wünsche angesprochen werden. Denn die Vereinbarungen für Betreuung und Erziehungsprinzipien müssen für alle Beteiligten stimmen. Was nicht drin liege, sei, die Kinder für Geheimnisse zu missbrauchen.
Knirscht es allzu sehr im Familiengebälke, könnten beide Seiten von einer Beratung profitieren. Schliesslich gibt es heute Schlafcoaches für Hunde und Katzen und Pflanzenflüsterer-Coaching – umso sinnvoller ist es, für punktuelle Konflikte ein Generationen-Coaching zu buchen.
Austausch zwischen den Generationen Denn grundsätzlich bereichert der Austausch zwischen Grosseltern und Enkeln beide Seiten. Die Silberhaargeneration kann Geschichten, Werte und Lebenserfahrung vermitteln, während ihre Enkel das Leben ganz im Moment und die neusten Funktionen auf Insta und TikTok beherrschen. Da viele Familien heute räumlich getrennt leben, müssten es aber nicht zwingend die leiblichen Grosseltern sein, sagt Corinne Hafner Wilson: «Auch Wahlgrosseltern oder ältere Mentoren können diese Lücke füllen.» Organisationen wie Pro Senectute oder das Rote Kreuz vermitteln entsprechende Generationen-Kontakte. Mit den eigenen Grosseltern wiederum lässt es sich unabhängig von geografischen Grenzen über Whatsapp, Skype und Co. trefflich quatschen, Geschichten erzählen oder Hausaufgaben besprechen. Am Klassentreffen der 60-Jährigen ist das Thema Grosselternschaft bald abgehakt. Viel wichtiger ist für die Boomers jetzt, noch einmal die Heldentaten der Jugend zu durchleben – und die Vorsorgeplanung zu diskutieren.
Markus, Opa
Markus, 70, 3 Kinder, 3 Grosskinder, ein Urenkel, Bern
«Als ich frisch Opa wurde, war ich 47 Jahre alt und noch voll berufstätig. Trotzdem wollte ich mitanpacken beim Enkelhüten und schaute, dass ich als Anästhesiepfleger meine Schichten auf die Nacht oder aufs Wochenende legen konnte. So hatte ich tagsüber und unter der Woche Zeit, um einzuspringen.
Leider beschied uns unser Sohn dann, dass wir keinen Kontakt haben dürfen zu unserem ältesten Grosskind. Seine Frau lehnt uns aus für uns unerfindlichen Gründen ab respektive unterstellte uns, wir würden dem Kleinen schaden. Wir setzten alle Hebel in Bewegung, doch wir fanden den Rank zusammen nicht mehr. Meine Frau und ich litten sehr. Zu den jüngeren beiden Enkeln hingegen haben wir eine super Beziehung. Wir besitzen ganz in der Nähe von ihnen eine Ferienwohnung und unternehmen viel mit den beiden oder sind einfach da, wenn sie uns brauchen.
Betreuen wir, setzen wir die Regeln
Ich bin ein Bergbauernsohn, meine Frau war ein Verdingkind. Wir haben extrem jung geheiratet, wir waren noch keine 20 Jahre alt. Obwohl unsere Kinder im Nachgang der 68er-Jahre zur Welt kamen, war antiautoritäre Erziehung kein Thema. Kinder brauchen Leitplanken. Meine Kinder sagen mir, ich sei ein sackstrenger Vater gewesen. Aber ich war vor allem konsequent. Und das sind unsere Kinder den Enkeln gegenüber auch. So konsequent, dass die Lehrer den Eltern nahelegen, doch etwas weniger streng mit den Kindern zu sein!
Was Konflikte angeht, war immer allen Beteiligten klar: Wenn die Eltern vor Ort sind, haben sie das Sagen. Wenn wir betreuen, setzen wir die Regeln. Das akzeptieren die Grosskinder problemlos. Meistens. Für uns war bei der Erziehung unserer Kinder damals klar, dass sie die Teller leer essen müssen. Bei der heutigen Elterngeneration aber wird das nicht mehr verlangt. Ehrlich, da muss ich mich manchmal zurücknehmen. Anfänglich nervte ich mich, wenn ich für den Jüngsten ein Confi-Brötli streiche und er dann nur einen Bissen davon isst. Aber unterdessen ist das für mich in Ordnung. Dafür stecke ich unseren Enkeln ab und zu Süssigkeiten zu – das ist für die Eltern dann auch okay.»
Anita,62, 3 Kinder, 3 Grosskinder, Zürich
«Ein Enkel wohnt in den USA, da erübrigt sich das Thema Hüten. Aber meine Schweizer Grosskinder, 1- und 3-jährig, wohnen in der Nähe und ich besuche sie einmal pro Woche. Mit Betonung auf «besuchen». Wir spielen ein bisschen zusammen, essen Znacht, das wars. Ich will sie nicht betreuen. Die Eltern hätten mich zwar gerne als Betreuungsdienst, aber dafür bin ich nicht zu haben. Ich habe zwei Hunde, arbeite 70 Prozent und als Lehrerin habe ich genug Kinder um die Ohren. Ich will abends meine Ruhe. Und am Wochenende geniesse ich Outdoor-Actions mit meinem Partner. Ich bin ein unruhiger Typ, muss mich bewegen. Diese Freiheit ist mir wichtig.
Mein Sohn moniert das natürlich. Er hätte gerne Grosseltern, die ab und zu einen Tag übernehmen. Zum Glück gibt es Grossväter, die hin und wieder einspringen.
Auch wenn die Begegnungen mit der Familie meines Sohnes friedlich sind – wir haben nicht wirklich dieselbe Weltanschauung. Er verwöhnt seine Kinder materiell, mag Luxus. Ich bin völlig anders gewickelt: Ich habe meine Kinder auch verwöhnt – aber mit Zeit, Natur und Freiheit. Aber ich mische mich nicht ein. Mein Sohn ist Fachangestellter Betreuung, er ist der Erziehungschef zu Hause. Daher habe ich schon das Vertrauen, dass die Enkel behütet aufwachsen.
Anita, Oma
Kinder dominieren
Klar gibt es Momente, in denen ich die Augen verdrehe: Heutige Eltern lassen ihren Nachwuchs das Essen buchstäblich «begreifen». Dann patschen die Kleinen mit den Händen in den vollen Teller herum und verteilen alles in den Haaren und auf dem Boden. Ich finde das grusig und schade um das Essen. Aber eben: Ich halte meinen Mund. Ich bin ja auch nicht bereit, die Eltern zu entlasten – also sollen sie erziehen, wie sie wollen. Mir fällt einfach auf, dass Kinder heute oft alles dominieren.
Ich kenne nur Grosseltern, deren Augen leuchten, wenn sie von ihren Enkelchen schwärmen. Es ist vielleicht komisch, dass ich nicht mehr Bindungswünsche habe. Aber ich habe zwei anstrengende Ehen hinter mir und das Aufziehen von drei nicht immer einfachen Kindern kostete mich Kraft. Ich habe genug geleistet und keine Lust mehr, dauernd für andere da zu sein. Ich will jetzt einfach mein eigenes Leben leben.»
Valentin, 69, 3 Kinder, 7 Enkel:innen,Aargau
«Meine Frau und ich hüten montags und dienstags einen Teil unserer Grosskinder. Das sind schöne, aber zugegeben auch anstrengende Tage. Die Kinder kommen von der Schule heim, jedes will erzählen, sein Instrument üben und Hausaufgaben machen.
Unser Sohn hat ein 60-Prozent-Pensum, seine Frau 70 Prozent. Junge Eltern arbeiten heute zwar beide Teilzeit, damit müssen sie den Alltag mit den Kids aber stets um ihre Arbeitspläne und Agenden herum organisieren. Ein Zeitpuzzle – das wiederum Zeit beansprucht. Am Sonntagabend muss die ganze Folgewoche wie ein Kochplan erstellt werden: Mamatag, Papatag, Grosselterntag. Wird ein Teilchen falsch gesetzt oder fehlt, funktioniert das ganze Puzzle nicht mehr. Die moderne Lebensweise tangiert auch uns Grosseltern.
Und vordergründig ist die autoritäre Erziehung zwar verschwunden, aber durch die Verplanung der ganzen Zeit schleicht sich diese hintenherum umso autoritärer wieder ein. Alles ist hochgetaktet, selbst die Schule ist komplett verplant. Schon die Zweitklässler haben einen Wochenplan und müssen selbstorganisiert arbeiten. Da unsere Enkel öfters gestresst wirken, unternehmen wir wenig mit ihnen und lassen sie bei uns einfach frei spielen und verweilen.
Valentin, Opa
Gutes überträgt sich
Wir lebten noch die traditionelle Rollenteilung: Ich war Lehrer, meine Frau – ebenfalls Lehrerin – blieb zu Hause bei den Kindern. Erst mit dem Lehrermangel arbeitete sie wieder in einem kleinen Pensum. Unsere Kinder haben wir partizipativ erzogen, aber auch konsequent. Die Eckpfeiler waren gegeben. Damit wir Erwachsenen abends noch etwas Freizeit hatten, mussten die Kinder zur gegebenen Zeit ins Bett und schlafen. Unsere Kinder machen es gleich. So haben wir mit den Enkeln nie ein Gestürm mit dem Ins-Bett-Gehen, wenn sie bei uns übernachten.
Vieles, das wir gut gemacht haben in der Erziehung, überträgt sich auch auf die nächste Generation. Unsere Enkel sind ebenso wenig anfällig für den Dauerkonsum von Spielzeug, Süssigkeiten oder Bildschirm wie unsere Kinder.
Klar gibt es Meinungsverschiedenheiten bezüglich Erziehung oder Elternsein heute überhaupt. Ich fände es beispielsweise schön, wenn die Kinder über Mittag zu Hause essen könnten. Diese Haltung kennen meine Kinder. Aber ich halte mich dem Frieden zuliebe zurück.»