Scheisse sagt man nicht?

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- Das eigene Fluchvokabular überdenken und entrümpeln.
- Bei Streitereien mit dem Partner keine groben Beschimpfungen à la «du Arschloch» verwenden.
- Mit den Kindern familieneigene Fluch- und Schimpfwörter erfinden.
- Besonders oft und deftig fluchenden Kindern kann man eine Schachtel zur Verfügung stellen, in der sie die gröbsten Ausdrücke aufbewahren.
- Erklären, warum manche Ausdrücke richtig wehtun und warum man sie nicht verwenden sollte (rassistische, sexistische etc.). Auf eine angemessene Ausdrucksweise zu Hause bestehen.
- Üble Beschimpfungen auf keinen Fall tolerieren.
«Fluchen kommt in den besten Familien vor», meint der Sprachwissenschaftler Roland Ris. «Ich kenne keine Kultur, in der es keine [Fluch- und Schimpfworte](http://www.srf.ch/play/tv/mtw/video/malediktologie-wie-flucht-die-schweiz?id=524ab650-52d2-40c6-b592-7cec335b2a89/"Fluch- und Schimpfworte") gibt», sagt der 71-jährige emeritierte ETH-Professor, der sich jahrelang mit dem Fluchen und Schimpfen beschäftigte. Auf altägyptischen Tontäfelchen werde ebenso wüst gezetert wie einst in Indien auf Sanskrit. Egal, wo und wann, die Sprache werde überall und in allen Völkern als Ventil benutzt. Wut und Aggression ständig unter dem Deckel zu halten, findet der Experte geradezu ungesund: «In einem Milieu aufzuwachsen, in dem die Eltern nie ein böses oder lautes Wort von sich geben, ist ja unglaublich drückend.» Selbstbeherrschung bis ins Letzte hält er nicht für ein erstrebenswertes Erziehungsideal.
Ob die Schimpftiraden gotteslästerlich sind, sich aus dem Fäkalwortschatz bedienen oder die Mutter beleidigen, sei, so der Fluchexperte, eine Frage der jeweils herrschenden Tabus. Denn das verschafft offenbar besonders effizient Erleichterung: Tabus verbal zu attackieren. Und wenn Kinder damit anfangen, so beschwichtigen auch die Kinder- und Jugendärzte im Netz auf ihrer Site, sei das zunächst nicht weiter schlimm. Eher ein Zeichen dafür, dass das Kind lernt, kreativ mit den Möglichkeiten und der Macht der Sprache umzugehen.
Doch wie kreativ dürfen Kinder (und Erwachsene) beim Fluchen sein? Gibt es da wirklich keine Grenzen? Und ist es immer nur Psychohygiene, wenn ich einen Verkehrstrottel gleich lauthals zum Arschloch befördere? «Die Motive sind entscheidend», sagt die Kinderpsychologin Colette Heinemann. «Geht es darum, negative Emotionen über die Sprache zu kanalisieren, ist das nicht nur in Ordnung, sondern verhindert, dass Wut und Ärger körperlich ausgedrückt werden.» Kracht zum Beispiel der Legoturm zusammen, darf also die Ruine ruhig beschimpft werden. Trotzdem müsse jede Familie für sich definieren, welche Fluch- und Schimpfworte zu Hause erlaubt sind. Wenn auf jedes Missgeschick gleich ein sprachliches Kanonenfeuer folgt, sollten die Eltern Möglichkeiten zum massvollen Umgang mit dem Fluchen aufzeigen (siehe Tipps). Denn auch wenn sie selbst ihrer Wut jeweils auf salonfähige Weise Luft machen, können sie ihre Kinder von den richtig derben Ausdrücken nicht abschirmen. «Die schwule Sau» und «der blöde Wichser» lauern überall: auf der Strasse, im Chindsgi, in der Schule oder im Sportverein. Spätestens ab Kindergartenalter sei es denn auch vorbei mit der gepflegten Ausdrucksweise.
Regeln fürs richtige Schimpfen
«Ein ganz anderes und zugleich problematischeres Motiv als die Wutabfuhr ist die verbale Verletzung eines Menschen», sagt Colette Heinemann. «Mama, du bist eine blöde Fotze», sei nicht kreativer Umgang mit der Sprache, sondern klar eine Provokation und ein Austesten der Grenzen. «Da muss man sofort einen Riegel schieben und seinem Kind vermitteln, dass es dieses Wort nicht mehr gebrauchen darf», sagt die Kinderpsychologin. Denn derartige Entgleisungen seien nichts anderes als ein Tritt gegen das Schienbein.
Auch Sprachwissenschaftler Roland Ris unterscheidet zwischen Ärgerloslassen und gemeinen Beleidigungen. «Jugo», «Möngi», «Kopftuchschlampe» gehörten heute bei vielen Kindern zwar zum gängigen Repertoire, sagt er, doch man müsse mit ihnen über die Wirkung solcher rassistischen und religiösen Ausdrücke diskutieren. Von Political Correctness für Kinder oder gar Verboten wie auf manchen Pausenplätzen üblich, hält er indes nichts. «Es ist schlicht unrealistisch, ein bestimmtes Vokabular zu verbieten», sagt der Malediktologe. «Denn sobald die Kinder wieder unter sich sind, fallen die Ausdrücke wieder.» Es bringe viel mehr, wenn man erklärt, was wehtut, was unter die Gürtellinie zielt und letztlich auch, welche Ausdrücke einen selbst ins Abseits stellen. Grundsätzlich, so findet Ris, soll man den Kindern ihren eigenen Wortschatz lassen und ihnen gleichzeitig erklären, was wo geht und was nicht: «Weisst du, wir Erwachsene mögen Ausdrücke wie Fotze nicht und möchten darum zu Hause eher in unserer Sprache sprechen. Unter euch ist das was anderes, aber wenn Tante Elsi zu Besuch ist, passt das nicht.»