Kinderwunsch
Tagebuch einer Kinderwunsch-Reise - ohne Happy End
Von Dina Zurbriggen
Dina Zurbriggen wünscht sich sehnlichst ein Kind, doch schwanger wird sie nicht. Ein Auszug aus ihrem Tagebuch, das von Hoffnung, Verzweiflung und Trauer erzählt.
Auf dem Dampfer – Spätsommer, im zweiten Kinderwunschjahr
Die Welt steht still. Hier im Keller bei all den Rollstühlen, Stehgeräten, dem Desinfektionsmittel, den Gehstöcken, Ersatzteilen. Die Stirne ans kühle Eisen der Gestelle gelehnt, befinde ich mich im grossen Warenlager der Physiotherapie im Kinderspital. Ich floate irgendwie durch meinen nebeldicken Arbeitstag, bin zum Umfallen erschöpft und weiss nicht, wie ich die Kraft für die letzten zwei Physiobehandlungen aufbringen soll. Lächeln. Den Eltern und Kindern in liebevoller Aufmerksamkeit begegnen. Wo ich doch nur weinen möchte. Unter meine Bettdecke kriechen. Oder in den kalten Fluss steigen und gegen die Strömung schwimmen, nichts als die Kälte des Wassers spüren.
Ich bin nun schon seit bald zwei Jahren auf Kinderwunschreise. Wieder hat es nicht geklappt. Die kleine befruchtete Eizelle hat sich nicht eingenistet. Ich bin nicht schwanger. Meine Ärztin meinte in ihrem E-Mail, man habe leider gesehen, dass meine Eizellen wohl qualitativ eingeschränkt seien. Es klingt nicht so sehr danach, als sähe sie Behandlungsalternativen. Habe gerade gehörig Angst um mich angesichts des wartenden Winters.
Drei Uhr nachts– Mitte November
Ich liege wach, schon wieder. Die letzten Nächte war ich untröstlich, habe geweint, geschluchzt, mich verzweifelt unter der Decke zusammengekringelt, darum bemüht, meinen Mann nicht aufzuwecken. Er macht sich doch so schon Sorgen um mich.
Ich kann momentan kein Fünkchen Mut und Zuversicht finden. Das Vertrauen, das Leben meine es gut mit mir, ist mir abhandengekommen. Im Frühling hatte ich akzeptiert, dass wir Hilfe brauchen. Ich war zuversichtlich, habe darauf vertraut, dass ich auf irgendeine Art Mama werden könnte. Wenn vielleicht halt nicht auf altbekanntem Weg, dann eben mit IVF oder Adoption. Mit diesem E-Mail meiner Ärztin und dem Wissen darum, dass der Weg der Adoption ein um ein Vielfaches schwierigerer und unsicherer Prozess ist, als wir ihn uns zu Beginn vorgestellt hatten, ist es schwierig, Trost zu finden. Dieses endlose Scheitern zermürbt. Es sind nun schon 22 Male, 22 Monate, in denen wir die grosse Prüfung nicht bestanden haben. Es verletzt, und jeden Monat braucht das Heilen wieder Kraft.
Lichtschiffli – Ende November
Heute haben wir etwas so Schönes gemacht, mein lieber Mann und ich. Ich wusste wieder nicht, wohin mit mir und der Trauer. Da haben wir ein paar Nussschalen mit Kerzenwachs und einem Docht gefüllt. Wir sind dem Wasser entlanggelaufen und haben an einer schönen Stelle für das kleine Krümelchen die Kerzenschiffli ziehen lassen. Der Fluss hat sie mitgenommen, bis wir die Lichttüpfli nur noch erahnen konnten. Es tut gut, Abschied zu nehmen.
Nur Zuschauerin – Februar
Manchmal fühle ich mich wie ein Zaungast, der das Leben anderer betrachtet, begehrend. Dann wünsche ich mir so sehr, selbst für ein eigenes Kind emotional und physisch an mein Limit zu gehen und täglich gebraucht zu werden.
Lebe ich das richtige Leben für mich? Warum bin ich nicht einfach so glücklich? Warum brauche ich unbedingt ein Kind? Entspringt meine Motivation, ein Kind zu haben, der Tatsache, dass ich meinem Leben selbst keinen tieferen Sinn zu geben vermag? Diese und ähnliche Gedanken ploppen manchmal wie unter Wasser gehaltene Bojen an die Oberfläche, man liest sie auch oft in Zusammenhang mit Kinderlosigkeit. Sie schmerzen stachelig. Wenn es stimmt, bedeutet es, dass mein Wunsch und meine Trauer nicht legitim sind?
Die lieben Ratschläge – Frühling
Die Tipps im Internet, von Freunden, Bekannten und Fachpersonen könnten unterschiedlicher nicht sein. Wie bloss umgehen mit diesen Widersprüchen?
Es gab eine Zeit, wo wir wirklich alles versucht haben. Jeden Fruchtbarkeitstee und jedes Nahrungsergänzungsmittel, die der Markt hergibt, fand den Weg zu uns. Podcasts, Instagram und E-Books waren meine Selbsthilfegruppe, immer auf der Suche nach dem fehlenden Puzzlestück. Natürlich habe ich meinen Zyklus stets mit Argusaugen und einem Zyklustracker überwacht. Positive Affirmationen, Meditationen und Dankbarkeitstagebuch habe ich ausprobiert. Ich habe mich immer mal wieder auch paramedizinisch behandeln lassen. Wir haben zudem die Ernährung umgestellt und uns mit dem mediterranen Ernährungsstil angefreundet. Für meinen Mann waren Saunagänge tabu, für uns beide Nikotin und zeitweise Alkohol. Schweren Herzens habe ich mich nun heute gegen Akupunktur entschieden. Schweren Herzens daher, weil auch diese Methode mit grossen Versprechen daherkommt. Und Nein zu sagen, braucht so unfassbar viel Mut. Denn was, wenn dies das fehlende Puzzlestück ist?
Ein kleines bisschen schwanger – August, drittes Kinderwunschjahr
Ich liege auf dem Schragen im Kinderwunschzentrum und meine Blase platzt beinahe! Endlich ist die Viertelstunde um – ab aufs Klo, aber schön süferli.
Mir wurde heute das kleine Krümelchen zurückgegeben, liebes Tagebuch! Dazu muss die Blase schön voll sein und danach darf man nicht sofort wieder aufstehen, damit das Kleine kurz Zeit hat, anzukommen. Wie schön das ist, ich fühle mich so, als würde ich etwas Wertvolles in mir tragen, dem ich wahnsinnig fest Sorge tragen muss. Ja, fast so, als wenn ich schwanger wäre.
Dieser Transfer der befruchteten Eizelle ist der ersehnte Höhepunkt einer langen Odyssee! Meine Ärztin hat sich nach dem ersten missglückten IVF-Versuch etwas Neues einfallen lassen. Begonnen hatte alles vor zwei Monaten, als mein Körper medikamentös in die Wechseljahre versetzt wurde, damit die Eizellen danach hoffentlich gleichmässiger reifen als beim letzten Stimulationszyklus. Dann musste ich mir täglich Hormone in den Bauch spritzen, damit möglichst viele Eizellen gebildet werden. Ich konnte dank der Wechseljahrspritze über einen längeren Zeitraum spritzen, was gut ist, damit sie schön regelmässig reifen, meine Eizellen. Irgendwann fand ich kaum noch freie Stellen ohne Bläuelä. Aber die Spritzerei hat sich gelohnt! 15 Eizellen sind das wunderbare Ergebnis, davon haben sich acht befruchten lassen! Und nun wurde mir eine davon zurückgegeben. Also meiner Gebärmutter. Und sieben Eisbärchen schlummern im flüssigen Stickstoff, bis die Laborprinzessin sie eines Tages wachküsst.
Die ganze Anspannung fällt nun von mir. Jetzt ist alles gut. Ich freue mich jetzt einfach, darf ich ein kleines bisschen schwanger sein.
Nachmittag am Fluss – September
Nicht schwanger. Wir verbringen den Nachmittag am Fluss und schauen unserem kleinen leuchtenden Nussschalenschifflein nach.
Ganz Frau – Ende November
Also etwas Gutes hat diese assistierte Befruchtung ja. Wir hatten gerade einfach so Sex. Nicht nach Zeitplan, sondern aus Lust aufeinander. Richtig schön war das. Ich habe mich gefühlt wie eine begehrenswerte, lebenshungrige Frau.
Kindergeburtstag – Mai
Als mein Mann von seinem unbekümmerten verlängerten Männerwochenende nach Hause kommt, findet er mich eingemummelt in meiner Verzweiflung, geplagt von der bohrenden Eifersucht und eingenommen von der Hoffnungslosigkeit.
«Ach, du meine Liebste, was ist mit dir? War es schwierig auf dem Kindergeburtstag?», fragt er sorgenvoll. Ja, das wars. Die Männer waren zusammen in den Bergen, tranken Bier und hatten es lustig, die Frauen schauten auf die Kids, und eins davon hatte Geburtstag, sie haben auch an mich gedacht, und ich dachte, na komm, stoss doch kurz dazu, ist doch nett. Da gehörst du doch auch dazu. Aber ich fühlte mich wie ein Fremdkörper, eine Ausserirdische von einem fernen Planeten in dieser Kinderwelt. Ich habe den Muttis unter die Arme gegriffen, wo ich konnte. Bin ganz die liebe Tante, Au-pair-Mädchen, Nanny gewesen. Es drehte sich alles, verständlicherweise, um das Befriedigen der Kinderbedürfnisse. Und abends, wenn die Kleinen schliefen, ging es wieder um Kinder, die eigenen oder die der anderen, der Schwester, der Cousine, der Nachbarin von gegenüber. Nur. Mich. Fragt. Keine.
Ja, genau, ich würde von meinen Freundinnen gerne gefragt werden. Ein simples: Wie geht es dir? Oder sogar: Wie ist es denn bei dir mit Kindern? Möchtet ihr keine Kinder haben? Oder klappt es nicht? Du machst doch so Behandlungen, stimmts? Was macht ihr da? Wie geht es dir damit?
Wenn es um Kinder geht, dann steht mir nun mal sofort die bergseeklare Tatsache, dass mein Mann und ich vielleicht nie eigene Kinder haben werden können, vor Augen. Sie schwebt über jedem Kinderlachen, Kinderweinen, über jeder Kinderbegegnung. Ja, das Interagieren mit den kleinen süssen Menschlein schmerzt mich häufig. Eine Tatsache, die mir schlechtes Gewissen bereitet. Sollte ich mich nicht einfach uneigennützig freuen können über die tollen Geschöpfe? Stattdessen ziehen komplizierte, chaotisch-düstere Gedanken und Gefühlswolken durch meinen Kopf – und mein Herz.
Wir kinderlosen Frauen – Juni
Es ist nicht einfach mit uns kinderlosen Frauen. Ich habe vielerorts gelesen, dass Frauen extrem Mühe haben, wenn sie nach dem eigenen Kinderwunsch gefragt werden. Aber ich nicht, ich sehne mich danach, wahrgenommen zu werden, Interesse zu spüren. Von einem empathischen Gegenüber, das ein wenig Zeit zum Zuhören mitbringt und ein wenig Sitzfleisch, um hochkommende Gefühle mit mir zusammen auszuhalten. Doch sie trauen sich nicht zu fragen. Das macht mich einsam inmitten mir lieben Menschen. Aber warum kann ich nicht einfach von mir aus erzählen? Warum bin ich angewiesen darauf, dass man mir den Ball zuspielt? Die Wahrheit ist: Ich mag nicht die Miesepetra sein. Ich mag es nicht komplizierter machen, als es eh schon ist mit mir.
Als ich nun so auf dem Sofa lieg, meint mein Mann, aber du, es ist doch noch lange nicht alles verloren. Wir haben doch noch viel Grund zum Hoffen, nicht?
Und wie recht er hat! Sechs eingefrorene Eisbärchen haben wir, sie warten geduldig, bis mein Körper sein Bettchen vorbereitet hat, in das sich bitte eine unserer unbezahlbaren, befruchteten, vorsichtig aufgetauten Eizellen niederlassen mag. Aber ich habe grosse Ängste. Was, wenn der Storch den Weg zu uns nie finden wird?
Bei meinen Recherchen habe ich auch viele tolle kinderlose Frauen kennengelernt, die mir imponieren mit ihrer selbstbestimmten, sinnhaften und erfüllten Lebensweise. Könnte auch ich eine von ihnen werden?
Die Wartemusik – Juli
Ich merke, dass ich bald die Notbremse ziehen werde. Ziehen muss. Ich verliere mich sonst im ewigen Hoffen und Trauern. Mein Mann ist noch nicht so weit. Wir haben doch noch Eisbärchen, die darauf warten ...
Im Moment kann ich nicht mehr. Obwohl mein Mann jetzt zu jedem Termin mitkommt. Nachdem ich einmal einen Nervenzusammenbruch hatte und weinend aus dem Zentrum gelaufen bin. Ich hätte mein Leben einmal mehr auf den Kopf stellen müssen, um einen weiteren kurzfristigen Behandlungstermin wahrnehmen zu können. Er macht nun auch die Telefonanrufe in die Klinik, das schaffe ich auch nicht mehr. Wenn ich nur schon die Wartemusik höre, kriege ich rote Flecken am Hals, werde zittrig und bin den Tränen nahe.
Umzug auf den Mond – Hochsommer
Mein Entschluss, mit der Traurigkeit zu brechen, verlangt nach einem Plan B. Plan A war Kinder, der wird nun ersetzt. Mein lieber Mann sagt mir: «Wenn es denn unbedingt sein muss und es mir mein fröhliches Mädchen wieder zurückbringt, dann bin ich mit allem einverstanden. Einem Umzug auf den Mond, einer Weltreise, und ja, auch einem Hund.» Es tut mir gut, mich um meinen Hund zu kümmern. Warum meine Mütterlichkeit nicht da hinein und in meinen Garten stecken, in meine Arbeit als Physiotherapeutin, in die Beziehungen zu meinen Freunden, deren Kindern und meiner Ursprungsfamilie? Ich bin Menschen wichtig auf dieser Welt. Ich fühle mich weiblich und ganz. Und gleichzeitig diese Erkenntnis: Meine Traurigkeit wird mich, eine Mutter, die ihre Kinder nie kennenlernen durfte, durchs Leben begleiten. Aber ich werde lernen, mit ihr zu leben.
*Der Name wurde zum Schutz der Privatsphäre geändert.