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Gesellschaft / Väter
Wollen Väter wirklich Teilzeitarbeit?
Von Text: Manuela von Ah / Fotos: Anne Gabriel-Jürgens, Désirée Good
Väter würden gerne Teilzeit arbeiten, heisst es. Wirklich? Die Statistik erzählt eine andere Geschichte: Die meisten Papas arbeiten Vollzeit – und finden das gut so. Warum punkto Rollenmodell bis auf Weiteres alles beim Alten bleibt.





«Da ich mehr verdiene als meine Frau, war es naheliegend, dass ich erwerbstätig bleibe und Natascha die Familienarbeit übernimmt. Sie macht ihren Job als Hausfrau und Mama mit Leib und Seele. Für uns war klar, dass meine Frau ganz für die Kinder da sein soll. Wir wollten nicht, dass sie zur Arbeit fährt, während die Kleinen in eine Kita gehen.
Abends lege ich aber nicht einfach die Füsse hoch, wenn ich von der Arbeit komme. Denn ich will zumindest die Randzeiten und das Wochenende dazu nutzen, die Beziehung zu meinen Kindern zu pflegen. Klar könnte ich mir vorstellen, irgendwann Teilzeit zu arbeiten, um Natascha die Möglichkeit zu geben, wieder einen Tag im Service etwas hinzuzuverdienen. Die nächsten Jahre wird das aber kein Thema sein – wir haben vier Kinder, das fünfte ist unterwegs.
Es ist eine grosse Verantwortung zu wissen, dass alles von meinem Einkommen abhängt. Aber es ist auch ein starkes Gefühl, eine bald siebenköpfige Familie zu ernähren. Ich weiss, warum ich morgens aufstehe. Das motiviert!»

«Als Inhaber eines Herrenbekleidungsgeschäfts arbeite ich am Samstag. Den freien Montag verbringe ich genauso mit der Familie wie die fünf Wochen Ferien pro Jahr.
Die Rolle als Ernährer befriedigt mich sehr.
Als Hausmann würde ich mir seltsam vorkommen – ich brauche den Job draussen. Ich glaube, ich wäre auch nicht so belastbar wie meine Frau. Ich bewundere Nicole, wie sie alles schmeisst – zwei kleine Kinder brauchen starke Nerven!
Bei unserer Familienplanung war klar, dass wir die Rollen klassisch aufteilen wollen. Nicole sagte, sie möchte den Kindern so nahe wie möglich sein, um die vielen wertvollen Momente nicht zu verpassen. Nichtsdestotrotz ist sie eine emanzipierte Frau. Sie wolle keine «Mutti aus 1940» sein und mich wöchentlich um Haushaltsgeld anbetteln müssen, betonte sie immer. Sie hat ihr Geld, ihre Altersvorsorge und ist kein abhängiges Huscheli am Herd.
Manchmal stosse ich mich daran, dass Hausfrauen und Mütter belächelt werden. Die Gesellschaft scheint heute von einer Mutter zu erwarten, dass sie wenigstens 40 Prozent erwerbstätig ist. Solange eine Frau ihre Rolle als sogenannte Nur Hausfrau gut und mit Überzeugung macht, ist sie auch erfüllt.
Auch auf uns Väter wird ja Druck ausgeübt, das Pensum für die Familie zu reduzieren – ich lasse mich davon nicht beeindrucken. Wir leben unser Modell nach unserem Gutdünken, und mir ist wohl dabei.»

«Für mich als Rechtsanwalt wäre es schwierig, mein Vollzeitpensum zu reduzieren. Da ich mit meinem Vater eine Anwaltskanzlei führe, kann ich mir aber gewisse Freiheiten herausnehmen. Ich wohne und arbeite in Küssnacht am Rigi und gehe zum Mittagessen oft nach Hause. Abends schaue ich, dass ich noch mindestens eine Stunde mit den Kindern verbringe, bevor sie schlafen gehen.
Es ist nicht so, dass ich mir nicht vorstellen könnte, vermehrt Hausarbeit zu leisten und Kinderbetreuung zu übernehmen, aber als Hausmann würde ich meinen Job doch arg vermissen. Die Herausforderungen in meinem Beruf, sogar der Stress ab und zu, gefallen mir. Ich empfinde meine Lebenssituation als extrem komfortabel.
Für meine Frau war von Anfang an klar, dass sie für die Kinder da sein will. Ich überliess die Entscheidung ihr. Zuvor arbeitete sie als Medizinische Praxisassistentin. Nach einer Pause stieg Ramona nun wieder zu 20 Prozent ein. Sie will wenigstens einen Tag pro Woche in der «Erwachsenenwelt» zubringen. Das verstehe ich. Würde sie zu 50 oder 60 Prozent wieder einsteigen wollen in ihren Beruf, wäre das etwas schwierig zu vereinbaren mit meinem Job. Zum Glück stellt sich die Diskussion im Moment nicht.
Wir Männer haben es einfach: Das Kind kommt zur Welt, wir sind eine kurze Zeit zu Hause, dann beginnt der Arbeitsalltag wieder. Wenn eine Frau eine Managerfunktion ausübt, muss ein Paar schon am klassischen Rollenmodell rütteln. Auch wenn es heisst, die Frau gehöre zum Kind, kann meiner Meinung nach genauso gut der Mann kürzertreten. Dennoch arbeiten in meinem Umfeld fast alle Väter Vollzeit.
Da ich auf Familienrecht spezialisiert bin, weiss ich um die Sorgen von Familien – vor allem, wenn sich die Eltern trennen. Um Konflikte zu vermeiden, muss sich ein Paar wirklich vor den Kindern überlegen, wie ihr Rollenmodell dereinst aussehen soll.»

«Für meine Partnerin Annika war klar, dass sie nach Ronjas Geburt ein Jahr lang zu Hause bleiben und für unsere Tochter da sein möchte. Damit war ich mehr als einverstanden. Hätte Annika nach drei Monaten wieder arbeiten wollen, hätte mir das Mühe gemacht. Sich für ein Kind zu entscheiden, beinhaltet die Verpflichtung, zurückzustehen, egal ob Job oder Hobbys. Damit meine ich nicht nur die Frau, sondern auch den Mann. Ich wäre bereit gewesen, die Familienarbeit zu übernehmen – vorausgesetzt, die finanziellen Rahmenbedingungen hätten sich nicht geändert. Mit diesem Familienmodell wären wir wohl in der Minderheit gewesen, denn ich kenne keine Familie, die dem traditionellen Rollenmodell abgeschworen hat.
Nach Hunderten von Jahren im klassischen Modell kann man auch nicht erwarten, dass sich das System innerhalb von 20 Jahren komplett ändert. Auf Biegen und Brechen von heute auf morgen ein neues Rollenverständnis herbeireden zu wollen, ist unsinnig. In der Arbeitswelt hat sich etwa mit flexiblen Arbeitszeiten und Homeoffice einiges getan zugunsten der Familienfreundlichkeit. Meiner Meinung nach gibt es jedoch noch immer zu wenig Teilzeitstellen. Klar, nicht in allen Positionen ist eine Teilzeitbeschäftigung überhaupt möglich oder sinnvoll. Dennoch wäre arbeitgeberseitig mehr herauszuholen.
Die Schweiz hinkt bei der Kombination Kind/Job im Vergleich mit anderen Ländern deutlich hinterher. Der Job wird häufig höher bewertet als die Familie. So wird bei Diskussionen in Runden mit berufstätigen Männern oft die Leistung im Job verglichen: Wer hat den höheren Lohn, wer hat mehr Mitarbeitende unter sich … Dass ein Mann damit angibt, mit seinem Kind ein tolles Lego-Schiff oder eine abenteuerliche Hütte gebaut zu haben, habe ich selten erlebt. Würden wir die Kinder nach ihren Wünschen fragen, bin ich sicher: Sie würden nicht fünf Tage pro Woche zur Krippe gehen wollen, sondern lieber mit Mutter oder Vater zu Hause sein. Das heisst aber nicht, dass ich gegen die Krippe bin. Unsere Tochter besucht sie an 1,5 Tagen pro Woche und freut sich immer darauf. Dennoch brauchen Kinder Nestwärme, und die kriegen sie nun mal nur von den Eltern.»
Freitagnachmittag auf einem Spielplatz im hippen Zürcher Stadtkreis Wiedikon: Auf dem Piratenschiff hangeln Jungs in Kapuzenpullis und Sneakers die Strickleiter hoch, Mädchen in Animal- Print-Röcken jagen hinterher. Klein-Emma und Klein Paul wuseln von der Schaukel zum Sandkasten, wo sich Mia und Liam mit dem Schüfeli gegenseitig Sand in die Augen katapultieren.
Dazwischen plaudern, ermuntern, schimpfen und trösten – Mütter. Junge Mamas, ältere Mütter, Schweizer, deutsche, schwedische, französische, russische Mütter. «Mami!», «Mom!», «Mor!» «Maman!» und «Mat!» schreit, lacht und quengelt es kreuz und quer durch die Szenerie. Väter stehen so spärlich in der Kulisse, als hätte Pro Specie Rara sich ihrer erbarmt.
Zufall? Nein. Der Geschlechterschlüssel auf dem Zürcher Spielplatz ist täglich derselbe. 1 zu 10 zugunsten der Mamas. Die Väter fehlen. Auch am Freitag. Ausgerechnet am Freitag, dem bevorzugten «Papatag». Vermutlich sorgen die Väter auch heute fürs Einkommen.
Seit 20 Jahren weht der «Neue Vater» gleichsam als Zielfahne egalitärer Partnerschaft, hochgehalten von Gleichstellungsbüros, Medien, Sozial- und Genderforschung. Auf der Agenda des modernen Papas sollte auch Teilzeitarbeit stehen, um mehr Puste für die Familie zu haben. Stattdessen arbeiten die meisten Väter Vollzeit – und wollen ihr Pensum auch gar nicht zugunsten der Familie reduzieren.
Dies zeigt eine im letzten Herbst veröffentlichte Studie der Forschungsstelle Sotomo zum Thema «Wunsch und Wirklichkeit». Der Politgeograf Michael Hermann wollte von 16 600 Schweizerinnen und Schweizern wissen, wie sie sich im Spannungsfeld von Familie und Beruf bewegen. Dabei stellte er fest, dass 87 Prozent aller Väter Vollzeit erwerbstätig sind. Bei den gleichaltrigen Männern ohne Kinder sind es nur acht von zehn.
Dass sich das Arbeitspensum bei den Männern erhöht, sobald Kinder da sind, zeigten schon frühere Studien. Neu und verblüffend aber ist, dass viele Väter ihr Pensum gar nicht kürzen wollen.
Jetzt sitzt Michael Hermann auf einem Vintage-Sofa im Café des Amis in Zürich, draussen schaukeln – ausschliesslich –Mamas ihre Kinderwagen und nippen an Lattes. Dann ist die Familie der männlichen Hälfte der Bevölkerung also gar nicht so wichtig?
Eingeimpftes Ideal
«Falsch!», sagt Michael Hermann. Die meisten jungen Männer wünschen sich Familie und knapp die Hälfte stellt die geplante Familie über die berufliche Karriere. «Aber ist der Nachwuchs erst einmal da», schiebt der Forscher nüchtern nach, «setzen die Männer die Prioritäten eben anders.»
Zwar hebt eine Umfrage von Pro Familia aus 2011 hervor, dass 9 von 10 Männern Teilzeit arbeiten möchten. Und diese Zahl wurde in den letzten Jahren medial auch wie ein Mantra nachgebetet. Doch kann sie angesichts der hohen Vollzeitarbeit von Vätern wirklich stimmen? Oder widerspiegelt die Studie blosse Lippenbekenntnisse? Michael Hermann zögert: «Auch in unserer Studie sagen Männer, dass es toll wäre, mehr Zeit für die Familie zu haben. Aber sich so zu äussern, wird von ihnen heute erwartet».
Michael Hermann spricht von einem «Ideal, das den Männern gesellschaftlich eingeimpft wurde». Diese äussern sich rhetorisch zwar modern; ernsthafte Absichten, das Vollzeitpensum zu reduzieren, sind aber nicht auszumachen. Nur 18 Prozent der Väter im Alter zwischen 35 und 54 Jahren erachten laut Hermanns Studie Teilzeitarbeit und flexible Arbeitszeiten als wichtig. Nicht einmal 2 von 10 Vätern – eine Schrumpfmenge.
Väter wollen Erfolg
Auch die Zahlen des Bundesamts für Statistik (BfS) kippen kein Wasser auf die Mühlen des «Neuen Vaters»: Der Anteil der Teilzeitler ist in etwa so zaghaft gewachsen wie Bergpflänzchen nach einem harten Winter, von 7,3 Prozent im Jahre 2010 auf 10, 9 Prozent im Jahre 2015.
Ist also der «Neue Mann» ein Konstrukt, das die Realität aussen vor lässt? Wollen Männer noch immer lieber Jagen und Tiere erlegen? «Nein», sagt Jürg Wiler (56), «aber viele Väter sind hin- und hergerissen». Jürg Wiler ist so etwas wie der Schweizer Vorzeige- Teilzeitmann. Der Vater zweier fast erwachsener Kinder arbeitet seit 26 Jahren Teilzeit und setzte sich unermüdlich für ein egalitäres Rollenmodell ein. In Kursen, firmeninternen Weiterbildungen und unzähligen Gesprächen für sein Buch «Der Teilzeitmann», nahm er sich Hunderte von Männern zur Brust, sprach ihnen Mut zu, die traditionelle Ernährerrolle aufzubrechen und ihr Pensum zugunsten der Familienarbeit zu reduzieren.
Was also läuft schief in der Bemühung, mehr Männer zu Teilzeit zu bewegen? Jürg Wiler ortet die Zögerlichkeit darin, dass Karriere, Geld und Identifikation über den Job für Männer noch immer Virilität verkörpere. Der Stolz, eine Familie ernähren zu können, setzt genauso Kräfte frei, wie die Angst vor Statusverlust lähmen kann: «Es ist ein anderes Männlichkeitsgefühl, ob man mit den Kindern am Sandkasten sitzt oder abends im Anzug zur Firma hinausläuft», verbildlicht Jürg Wiler die Befindlichkeit vieler Männer. «Väter wollen Erfolg und Bestätigung – das erhalten sie vom Arbeitgeber und kaum von den Kindern.» Einerseits.
Jobsharing, Kita & Co
Andererseits übernähmen junge Männer heute sehr viel mehr familiäre Verantwortung und entdeckten den Wert, eigene Kinder im Alltag zu begleiten. Es sei eine Generationenfrage, bis Teilzeit für Väter selbstverständlicher würde: «Im Moment haben in den Unternehmen noch die 60plus das Sagen, und für die meisten ist reduzierte Arbeitzeit für männliche Mitarbeitende des Teufels. Doch das wird sich bald ändern.»
Zementiert wird das konservative Rollenmodell sicher auch strukturell: Hierzulande gehören 99 Prozent aller Firmen zuden kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), diese stellen zwei Drittel der Arbeitsplätze. Kleinere Buden fühlen sich von der Forderung nach Teilzeitstellen bedroht: «Väter, die um Punkt 17 Uhr nach Hause oder zur Krippe abhauen? Geht bei mir gar nicht», schreibt der Geschäftsführer eines kleinen Unternehmens gar grantig in einem Forum. Roland Rupp vom Schweizerischen KMU Verband erläutert: «Zwei Teilzeitpensen statt eines Vollzeitpensums bedeuten für den Arbeitgeber mehr Arbeit und höhere Kosten.» Doppelter Personalaufwand, doppelte Administration, doppelte Kommunikation – das geht ins Geld.
Grosskonzerne hingegen investierten in den vergangnen Jahren – auch zwecks Image – viel in die Vereinbarkeit von Karriere und Familie. Sie bieten Vätern (und Müttern) eine ganze Reihe an Entlastungsmöglichkeiten: Vaterschaftsurlaub, Teilzeit auch für Kaderpositionen, Jobsharing, Homeoffice, Kitas.
Die Männer aber, so scheint es, übersehen das Teilzeitangebot geflissentlich. Laut einer Recherche der «Handelszeitung» arbeiten bei der UBS 8 Prozent, bei Roche 5 Prozent, bei Julius Bär 4 Prozent, bei Nestlé Schweiz 1,8 Prozent der Männer Teilzeit. Bei Adecco sind bei 32 000 Angestellten alle Männer Vollzeit angestellt.
Paternalistisches Rollenbild
Die Schuld für das Festhalten an konservativen Strukturen allein den Arbeitgebern zuzuschieben, wäre also unfair. Es sind die Väter, die sich gegen Teilzeitarbeit entscheiden. Aber weshalb? Wagen sie es nicht, nach einer Reduzierung des Pensums zu fragen? Haben sie Angst, die Karriere zu vermasseln? Fehlen die Vorbilder? Oder hat man als Mann noch immer Beschützer und Ernährer zu sein?
Die paternalistischen Rollenbilder stecken tief in den Köpfen. Aber nicht nur in jenen der Männer. Denn auch die Frauen bleiben gerne an alten Rollenmustern haften. Und schwindeln sich mitunter etwas vor: Zwar stieg die Teilzeitquote der Mütter deutlich, doch die Gründe, die dafür vorgebracht werden, widerspiegeln oft Halbherzigkeit.
Denn die einen wollen «mit einem Fuss in der Arbeitswelt bleiben, um später wieder aufzustocken», die anderen «bei einer allfälligen Trennung nicht mit abgesägten Hosen dastehen». Zwar arbeiten laut BfS in der Schweiz mittlerweile zwei Drittel der Mütter Teilzeit – generieren mit den kleinen Pensen aber bloss 24 Prozent des Haushalteinkommens.
Damit mangelt es für junge Mütter an Vorbildern, an Frauen, welche die Verantwortung für das Familieneinkommen zumindest partnerschaftlich mittragen. Womöglich aber empfinden viele Eltern das traditionelle Rollenmodell gar nicht als Hindernis, das es zu überwinden gilt. So fühlen sich viele Väter wohl in ihrer Rolle als (Fast-)Alleinernährer. Sie lassen sich nicht einschüchtern von gesellschaftlichen Erwartungen und Idealen. Und sie vermögen das Bild von neuer Männlichkeit, zu der längst auch Engagement und Fürsorglichkeit für die Familie gehören, gut zu vereinbaren mit einem Vollzeitjob.
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