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Kindergarten – Erziehung
Was das Kindergartenkind können soll
Welche Kompetenzen braucht ein Kind, um das erste und zweite Kindergartenjahr befriedigend abzuschliessen? Das sind die Vorgaben.
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Kindergarten – Erziehung
Welche Kompetenzen braucht ein Kind, um das erste und zweite Kindergartenjahr befriedigend abzuschliessen? Das sind die Vorgaben.
Hier eine gekürzte Übersicht der geforderten Basiskompetenzen, die im Lehrplan für das 1. und 2. Kindergartenjahr festgelegt sind:
«Also, bei uns läufts bestens», sagt Sandra. «Die Kleine ist ein wahrer Sonnenschein, ja geradezu eine Bereicherung für die Chindsgiklasse!» – «Und wie liefs bei euch?» – «Der Gian braucht noch etwas lange, um sich fürs Turnen umzuziehen, aber sonst macht er seine Sache ganz gut», entgegnet Bettina. «Mia kann gemäss Frau Käser nicht geradeaus schneiden, ist dafür aber ein sehr kommunikatives Mädchen», sagt Peter.
Rebecca ist froh, als die Kindergartenklingel zur Mittagspause läutet und die Kids auf den Pausenhof stürmen. Sie hätte nichts erzählen wollen vom Gespräch mit Frau Käser. Der Schock sitzt noch zu tief. Während einer Stunde hatte die Kindergärtnerin ihr beim sogenannten «Zeugnisgespräch» der ersten Kindergartenstufe erläutert, dass es nicht gut bestellt sei um Oskar. Er könne weder für lange Zeit still im Kreis sitzen noch mit der Schere umgehen. Er könne höchstens bis sieben zählen, und wenn die Kinder ein Lied sängen, mache er ständig Faxen. Die Wörter «ADS» und «Abklärung» fielen bereits in den ersten fünf Minuten des Gesprächs. Was hätte sie der Kindergärtnerin daraufhin entgegnen sollen? Dass Oskar zu Hause für sein Leben gern bastle, dass sie seine Papiergebilde und Kartonkonstruktionen eigentlich für äusserst fantasievoll halte, auch wenn sie nicht exakt ausgeschnitten sind? Hätte sie vielleicht sagen sollen, dass Oskar seit seinem dritten Lebensjahr alle vierzehn Strophen vom «Vreneli ab em Guggisberg» singen könne, sie selber hingegen es nur bis zur fünften schaffe? Was hätte das gebracht? Frau Käser hält sich schliesslich nur an die Vorgaben. Und die sind klar definiert.
Die Vorgaben, an die sich die Kindergärtnerinnen in der Schweiz zu halten haben, sind in einem Lehrplan verankert. Zumindest in den Kantonen, die sich für die obligatorische Kindergartenpflicht aufgrund der Bildungsharmonisierung (HarmoS) ausgesprochen haben (Ausnahmen gelten also nur in den Kantonen TG, AR, ZG, GR, UR, NW und LU). Um diesen Lehrplan auch umsetzen zu können, bekommen die Kindergärtnerinnen folgende Instrumente an die Hand geliefert: eine Übersichtsdarstellung der fünf Bildungsbereiche (siehe Tabelle weiter unten), eine Aufteilung in Basiskompetenzen, ein Beobachtungs- sowie Kontrollraster und ein Ideenkatalog. Kurz: Es geht letztlich darum, die Kids nach einem Grundmuster der Leistungskontrolle zu bewerten und dementsprechend zu fördern. Schliesslich beginnt mit dem Chindsgi ja die obligatorische Schulpflicht. Darum werden die Kinder auch bereits nach ihren Basiskompetenzen beurteilt. Kompetenzen? Jawohl! Klingt etwas befremdlich, man würde den Begriff wohl eher in der Erwachsenenwelt vermuten. Was aber haben damit Kindergartenkids zu schaffen? Wann bitte ist denn ein Kindergärtler kompetent genug, um in der Bäbi-Ecke zu spielen? Oder anders gefragt: Sollte ein Kind, das noch nicht mit einer Schere umgehen kann, vorerst lieber nicht an der nächsten Bastelstunde teilnehmen? Oder gerade erst recht?
Viele Eltern sind deshalb nach der ersten Einschätzung der Kindergartenlehrperson verwirrt – was natürlich unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass man sein eigenes Kind gerne durch eine rosarote Brille betrachtet. Aber mitunter liegt es auch daran, dass Bildung heute nur allzu gerne auf vorzeigbares Können heruntergebrochen wird. Aber ist Können wirklich immer das hier und jetzt Vorgezeigte? Ist es nicht viel eher ein Repertoire, das je nach Situation unterschiedlich genutzt wird? Würde Frau Käser Oskar vielleicht andere Basiskompetenzen zuschreiben, wenn sie hören würde, wie er zu Hause das «Vreneli ab em Guggisberg» singt?
Fassen wir zusammen: Das HarmoS-Konkordat und der leistungsorientierte Lehrplan 21, der voraussichtlich im Frühling 2014 in allen deutsch- und mehrsprachigen Kantonen der Schweiz eingeführt wird, verpflichten zu einer einheitlichen Qualitätssicherung und legt genau fest, was Schüler vom Kindergarten bis zur Oberstufe wissen und können müssen. Bleibt für die Eltern nur zu hoffen, dass die vierjährigen Kindergärtler ihr Repertoire im richtigen Moment gut zu nutzen wissen.