Partnerschaft
Wenn aus Liebe Terror wird - Narzissmus in Beziehungen
Von Julia Panknin
Emotionaler Missbrauch in Familien ist von aussen oft nicht sichtbar, kann aber tiefe, seelische Wunden hinterlassen. Ein Vater und drei Mütter berichten von ihrem Leidensweg mit einem narzisstischen Co-Elternteil.
Am Anfang war es zu schön, um wahr zu sein», sagt Laura*, 47. «Ich war 30, frisch geschieden und suchte auf einer Dating-Plattform ein bisschen Ablenkung. Doch dann kam er und hat mich im Sturm erobert.» Nachdem sie drei Wochen lang nur gechattet hätten, sei er, Daniel, für das erste Date 300 km weit in ihre Stadt gefahren, habe ein Spitzenrestaurant reserviert und Karten für die Oper organisiert. «Auch danach hat er mir ständig grosse Blumensträusse ins Büro geschickt und mir die schönsten Worte dazu geschrieben. Ich weiss noch, dass mich seine Überschwänglichkeit anfangs irritiert hat, aber irgendwann dachte ich: Lass es zu, du hast es verdient!» Nach nur vier Monaten unterschrieben Laura mit Daniel einen Mietvertrag für eine gemeinsame Wohnung in ihrer Stadt. Und das, obwohl es schon nach wenigen Wochen einen Vorfall gab, der sie verletzte und schockierte: «Es war eine Lappalie, die in unserem ersten Streit endete. Daniel sagte jedoch so fiese Sachen zu mir, dass ich heftig zu weinen begann. Dabei sass er mir einfach gegenüber, machte sich über mich lustig und hatte ein kaltes Lächeln im Gesicht. Als würde er sich an meinem Schmerz erfreuen. Erst, als ich meine Sachen packte und gehen wollte, wurde er wieder der Mann, den ich kannte. Er überredete mich zu bleiben und ich redete mir ein, dass das ein Ausrutscher gewesen sein musste. Dass ich ihn mit irgendwas getriggert und verletzt hätte. Ich suchte also schon damals die Schuld bei mir. Dieses Muster zog sich dann die ganzen 15 Jahre durch unsere Beziehung.»
Warum 15 Jahre lang diese Tortur?
Das ist die Geschichte einer Frau aus meinem Umfeld, die ich noch nicht lange kenne, die ich aber inzwischen zu meinen Freundinnen zähle. Von aussen betrachtet ist Laura eine starke, erfolgreiche, bildhübsche Frau, die sich jeden beliebigen Mann aussuchen könnte. «Warum bist du bei Daniel geblieben? Warum 15 Jahre lang diese Tortur?», frage ich sie. «Weil er ein Narzisst ist und damit ein Meister der Manipulation. Ich bin auf ihn reingefallen und habe sehr lange nicht begriffen, was da mit mir geschieht.» Um besser zu verstehen, was Laura passiert ist, fange ich an zu recherchieren. Laut Wikipedia ist Narzissmus eine Persönlichkeitsstörung, bei der Betroffene ein übersteigertes Bedürfnis nach Bewunderung und Anerkennung haben. Sie neigen dazu, sich selbst für aussergewöhnlich wichtig zu halten und zeigen oft wenig Empathie für andere. Ihr Selbstwert ist stark von anderen abhängig. Sie verhalten sich manipulativ und werten ihnen nahestehende Personen ab. Doch die Weltgesundheitsorganisation, nach deren Klassifikation (ICD) sich viele Ärzte und Psychologinnen richten, sieht das anders. Die narzisstische Persönlichkeitsstörung taucht im WHO-Katalog nur in einer Restkategorie unter sonstige spezifische Persönlichkeitsstörungen auf. Ein Grund dafür: Fast alle Menschen haben narzisstische Züge. Wer moderat narzisstisch ist, kommt sogar sehr gut durchs Leben. Weil er oder sie begeisterungsfähig und charismatisch ist, sich und seine Bedürfnisse gut durchsetzen kann und gerne unter Leuten ist. Wenn die negativen Eigenschaften jedoch überhandnehmen und das ganze Leben bestimmen, sprechen Psychiater:innen von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Dieser krankhafte Narzissmus kann zerstörerisch sein – in erster Linie für das Umfeld der Betroffenen. Am meisten leiden Partner und Partnerinnen, so wie Laura.
Der emotionale Missbrauch, der von Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung in Beziehungen verübt wird, erhält auch darum aktuell viel Aufmerksamkeit. Doch selten hört und liest man über Konstellationen, in denen auch Kinder involviert sind. Wie ist es, mit einem oder einer Narzisst:in Kinder zu haben? Wie kann man sich von Narzisst:innen überhaupt trennen? Das Thema lässt mich nicht mehr los, deshalb suche ich in meinem Netzwerken nach weiteren Betroffenen – und finde sie schneller, als mir lieb ist. Drei Mütter und ein Vater haben mir von ihren Erfahrungen erzählt. Sie alle möchten anonym bleiben, weil sie ihre Kinder schützen wollen.
Delia Schreiber, Psychologin
Am Anfang geht alles sehr, sehr schnell
Einige Wochen später spreche ich mit Stefanie, 43. Ihre Geschichte hat Parallelen zu der von Laura. Auch sie war nicht auf der Suche nach einer Beziehung, als sie ihren späteren Ehemann und Vater ihrer zwei Kinder kennenlernte. Während eines Sprachaufenthalts lernte sie an einer Party Emanuele kennen. «Er war sehr charismatisch und hat mich massiv angebaggert. Ich dachte nur: Was für ein Trottel! Aber dann tauchte er am nächsten Tag vor meiner Sprachschule auf. Und am nächsten wieder. Er liess nicht locker, bis ich nachgab. Und was soll ich sagen: Das nächste halbe Jahr waren wir unzertrennlich. Es war wunderschön, ich schwebte auf Wolke sieben. Bis er sich plötzlich aus dem Nichts von mir trennte. Ab da lief ich ihm hinterher und bin ihm letztlich sogar in sein Heimatland gefolgt, wo er mir nur ein halbes Jahr später einen Antrag machte.»
«Typisches Love-Bombing-Verhalten», meint Delia Schreiber, als ich ihr davon erzähle. Die Psychologin mit Praxis in Männedorf hat sich auf die Unterstützung von Personen spezialisiert, die von Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung emotional missbraucht wurden. Sie sagt: «Nicht in allen, aber in den meisten Fällen beginnen Beziehungen mit Narzisst:innen genauso: Sehr intensiv und sehr, sehr schnell.» Ich will wissen, warum. «Weil Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung sich maskieren. Sie spielen ein Schauspiel, um ihre Opfer um den Finger zu wickeln. Das ist anstrengend und nicht ewig durchhaltbar. Irgendwann können sie ihre problematischen Anteile nicht mehr verbergen.»
Ghosting, Trennungen und neue Liebesschwüre
Das Love-Bombing passt allerdings nicht zu den Erzählungen von Jana, 38, die sich auf meinen Aufruf ebenfalls meldete. Mit 30 lernte sie ihren Ex auf einer Dating-Plattform kennen und fühlt sich, retrospektiv gesehen, schon fast um die schöne Anfangszeit betrogen. «Eigentlich war es von Beginn an schwierig. Alex liess durchblicken, dass das Leben ihn gerade sehr beuteln würde. Ich hatte das Gefühl, dass er einen Panzer um sich herum aufgebaut hatte, darunter aber eine sensible und liebevolle Seite hervorschimmerte. Ich fand das spannend, war aber anfangs vorsichtig. Nach dem dritten Date sagte er, dass ich offensichtlich kein Interesse hätte, wenn ich ihm nicht mal meine Nummer geben würde. Also gab ich sie ihm, woraufhin er mich tagelang ghostete. Das fühlte sich schrecklich an. Ich glaube, da hatte er mich. Zwei Wochen später hatte er den Schlüssel zu meiner Wohnung und sprach schon kurze Zeit später davon, dass wir uns gemeinsam eine grössere suchen sollten. Er wollte eine Zukunft mit mir aufbauen, was unglaublich heilsam war nach jahrelangem Online-Dating mit Menschen, die sich nicht fest binden wollten.»
Delia Schreiber, Psychologin
Verdeckte Narzisst:innen sind am gefährlichsten
Psychologin Dalia Schreiber sagt dazu: «Narzissmus ist ein Spektrum. Es gibt ihn in unterschiedlichen Ausprägungen – von mild bis sehr stark.» Je nach Verhalten spreche man in Fachkreisen ausserdem von verdeckten oder grandiosen Narzisst:innen», erklärt sie. «Die grandiosen Narzisst:innen kennen wir alle. Das sind die mit dem Brustgetrommel, die finden, sie seien die oder der Grösste.» Auf die schweren Fälle würde man in der Regel nicht reinfallen, weil man sie schon von weitem erkennen könne. Bei den weniger stark ausgeprägten und vor allem bei den verdeckten Narzisst:innen sei das anders. «Die sind brandgefährlich», sagt Schreiber. «Sie sind anfangs oft unglaublich charmant und verstecken ihren Machtanspruch hinter einer Opferhaltung. Sie geben dem Gegenüber das Gefühl, sich kleiner und minderwertiger als sie zu fühlen, aber nur, weil sie nicht so tolle Chancen und Vorteile hätten wie ihr Gegenüber. Es schwingen also immer unterschwellig Vorwürfe mit.» Darauf anspringen würden insbesondere Menschen mit ausgeprägtem Beschützerinstinkt, die dann das Gefühl haben: «Ich kann ihn oder sie retten!» Jetzt passt das Muster auf die Erzählungen von Jana. Und auch auf die von Christoph, 34. Der Vater eines Sohnes lernte seine Ex-Frau, Ina, als Teenager kennen. «Ihre fröhliche und aufgestellte Art hat mir gefallen. Als wir Anfang 20 ein Paar wurden, realisierte ich, dass sie offenbar Probleme hat. Sie war irgendwie immer wütend und fühlte sich von allem und jedem ungerecht behandelt. Anfangs war es nie gegen mich gerichtet, sondern zum Beispiel gegen ihre Dozent:innen, später gegen ihre Vorgesetzten. Sie hat oft zu Hause rumgeschrien oder Sachen durch die Gegend geworfen. Ich war ständig damit beschäftigt, sie aufzufangen und zu beruhigen. Heute vermute ich, dass sie auch eine Borderline-Störung haben könnte, weil ihre emotionalen Ausbrüche so unberechenbar waren und bis heute sind.»
«Narzissmus kommt selten alleine. Betroffene können zusätzlich ADHS, Borderline, Wahnvorstellungen und alles Mögliche mitbringen», sagt Psychologin Delia Schreiber. «Bei Ina kamen später noch eine Depression und eine Essstörung dazu», erzählt Christoph, und irgendwann richtete sich ihre Wut dann auch gegen ihn: «Plötzlich drehte sich vieles um meine vermeintlichen Fehler und mein Äusseres. Meine Frisur war nicht gut genug, mein Bart ungepflegt und ich war zu dick. So schaffte sie es, dass ich mich irgendwann selbst als unzureichend empfand.» Von solchen Erfahrungen berichtet auch Jana: «Bevor ich Alex kennenlernte, fühlte ich mich hübsch, ich bekam oft Komplimente für mein Aussehen. Er hat mich dann sehr schnell auf optische Makel an mir hingewiesen, die ich vorher gar nicht auf dem Schirm hatte. Nicht nur war ich zu dick, ich hatte auch zu viele Muttermale, die ich dringend entfernen lassen sollte. Genau wie die Haare auf meinen Zehen. Wenn ich ihm sagte, dass mich seine Kommentare verletzen, meinte er, ich solle froh sein, dass er ehrlich zu mir sei. Irgendwann glaubte ich ihm», erzählt Jana.
Das sei das Makabere, erklärt Delia Schreiber. «Narzisst:innen werten nicht nur ab, sondern sind auch Meister:innen der Manipulation. Mal sind sie dein grösster Fan, dann machen sie dich wieder klein. So entsteht emotionale Abhängigkeit. Sie schaffen es, dass ihr Gegenüber irgendwann nicht mehr weiss, was richtig und was falsch ist und die Schuld für das ganze Dilemma bei sich sucht. Das kann so weit gehen, dass Betroffene das Gefühl haben, verrückt zu werden.»
Delia Schreiber, Psychologin
Ein instabiles Selbstwertgefühl
Bei Laura ging es selten um ihr Aussehen, dafür um alles andere: «Daniel war nie zufrieden. Ich war nie gut genug, habe ihn nicht genug unterstützt, nicht genug zu Hause gemacht, mich nicht genug um die Kinder gekümmert, zu wenig Geld verdient, zu viel gearbeitet, ach ja, und im Bett war ich langweilig. Irgendwann wusste ich gar nicht mehr, was ich noch tun soll, wie ich mich verhalten muss, damit er nicht ständig wütend auf mich ist.»
Aber warum werten Narzisst:innen ihre Partner:innen überhaupt ab? «Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung haben ein überhöhtes, aber sehr instabiles Selbstwertgefühl, das durch ständiges Betonen der eigenen Grossartigkeit sowie Anerkennung von aussen gefüttert werden muss. Die erfolgreiche Abwertung anderer gibt ihnen das Gefühl von Macht, das dieses wackelige Selbstgefühl wieder erhöht und stärkt», sagt Delia Schreiber.
Das klingt schrecklich, finde ich, und frage meine Gesprächspartner:innen: «Warum zum Teufel hast du das alles so lange mit dir machen lassen?» Alle antworten, dass sie sich viele Male trennen wollten, es aber einfach nicht schafften. Dass sie sich von ihren Partner:innen immer wieder einlullen liessen, weil diese ja auch richtig schöne Seiten hätten. Und dass sie sich diese Frage hinterher lange selbst gestellt und auch sehr lange dafür geschämt hätten, nicht früher gegangen zu sein. Diese Scham ist auch einer der Gründe, warum niemand von ihnen je mit Aussenstehenden darüber sprach, was in ihren Beziehungen wirklich ablief. Laura hat es mir ganz am Anfang der Recherche schon gesagt: «Jeder hat mitbekommen, wie Daniel mir immer an meinem Geburtstag diese riesigen Blumensträusse ins Büro schickte. Wer soll mir denn da glauben, dass er mich zu Hause kleinhält und ständig demütigt?»
Jana hatte auch noch andere Gründe, zu bleiben. «Ich hatte grosse Angst vor den Konsequenzen. Alex hat mir mein komplettes Selbstvertrauen genommen, bis ich irgendwann das Gefühl hatte, ich könne nicht mehr auf eigenen Füssen stehen. Ausserdem dachte ich wohl bis zum Schluss, ich könnte ihn retten, ihm zeigen, wie schön die Welt ist, wenn man nur positiv darauf schaut.» Christoph meint: «Ich bin ein totaler Beziehungsmensch und habe lange gedacht, dass ich schon zu viel investiert habe, um aufzugeben. Ausserdem kann ich eine Person, die psychische Probleme hat, doch nicht einfach verlassen! Was wäre ich denn für ein Mensch?» Laura: «Unsere Beziehung war eine emotionale Achterbahnfahrt, in der sich wunderschöne Phasen mit schlimmen abwechselten. Daniel war ja nicht immer gemein, sondern auch immer wieder sehr liebevoll. Ich habe wohl bis zum Schluss gehofft, dass die guten Phasen überwiegen würden, am Ende waren es aber leider die schlechten.» Und Stefanie sagt: «Ich habe vieles nicht sehen wollen und sein Verhalten mir gegenüber immer entschuldigt. In meinen Augen war er ein kleiner, verletzter Junge, der es einfach nicht besser wusste. Auch heute, nach 17 Jahren Ehe, denke ich nicht, dass er grundsätzlich ein schlechter Mensch ist.»
Viele Versuche, sich zu trennen
Und wie haben die vier den Absprung dann doch noch geschafft? Christoph lernte eine andere Frau kennen und lieben und realisierte dadurch, dass sich eine Beziehung nicht so anfühlen muss wie die mit Ina. Trotzdem blieb er erst bei ihr, wegen seines Sohnes. Erst als seine engsten Freunde ihm sagten, dass er Ina verlassen müsse, weil er sonst daran kaputtgehen würde, konnte er endlich loslassen. Stefanie beendete es, als sie herausfand, dass Emanuele sie schon länger betrog. Bei Laura war das Fass voll, als sich Daniels Wut anfing, auch gegen die Kinder zu richten: «Eines Abends schrie er sie am Esstisch an, sie seien genauso faule Ar***löcher wie ihre Mutter. Das war der Anfang vom Ende für mich.» Und Jana? «Ich verdanke es der Tatsache, dass unser Sohn nach der Geburt sehr lange keine Nacht richtig schlief. Weil Alex keine einzige Nachtschicht freiwillig übernahm, entschloss ich irgendwann, eine Nacht pro Woche ins Hotel zu gehen. Eigentlich nur, weil ich so erschöpft war und endlich mal wieder schlafen wollte. Doch als ich Abstand hatte, realisierte ich, dass ich mich viel besser und endlich wieder wie ich selbst fühle, wenn ich nicht mit ihm zusammen bin.»
Mit der finalen Entscheidung war es jedoch bei allen nicht getan. Denn von Narzisst:innen trennt man sich nicht einfach, das bestätigt auch die Psychologin. «Wenn Narzisst:innen in ihrem Selbstwert gekränkt werden, weil sie verlassen werden, können sie richtig böse werden. Sie schlagen dann auf viele Arten um sich.»
So suchten sie sich die vier Betroffenen vorab professionelle Hilfe, also Therapeut:innen und Anwält:innen oder Mediator:innen, und öffneten sich endlich ihrem Umfeld. Stefanie suchte sich sogar neue Freund:innen: «Mein Ex ist ein Blender, den man von Anfang an mag. Er ist extrem hilfsbereit und charmant. Ihn muss man einfach lieben. Für viele ist es unvorstellbar, dass so ein Mensch seine Frau emotional und finanziell missbraucht. Ich wusste, dass ich Personen brauche, die mich nicht verurteilen und mir Halt geben, damit ich den Absprung schaffe. Es heisst nicht umsonst, Frauen in missbräuchlichen Beziehungen benötigen rund sieben Anläufe, bis sie sich endgültig trennen.»
Auch nach der Scheidung noch Terror
Auch nach der Trennung ist es für alle bis heute schwierig. Weil ihre Ex-Partner:innen nicht ticken wie andere. Christophs Ex-Frau Ina versucht ihm den gemeinsamen Sohn zu entziehen. Sie streiten bis heute vor Gericht um die Verteilung der Obhut. Janas Schwiegerfamilie hat sich von ihr abgewendet, weil Alex ihnen ständig Lügen über sie erzählt. Auch die gemeinsame Tochter frage sie immer wieder, warum sie den armen Papa verlassen und so die Familie kaputtgemacht habe. «Sie hat auch schon ein paar Mal gesagt: ‹Papa sagt, du könntest jederzeit zurückkommen, willst aber keine richtige Familie mit uns sein.› Es bricht mir jedes Mal fast das Herz», sagt Jana. Daniel versucht Laura bis heute finanziell oder mit der Kinderbetreuung zu erpressen, zum Beispiel wenn sie auf Geschäftsreise muss und er ihr androht, er würde die Kinder dann alleine zu Hause lassen.
Laura
Narzisstische Eltern prägen ihre Kinder
Wie geht man damit um, wenn man weiss, dass man aufgrund der Kinder ein Leben lang mit einer narzisstischen Person verbunden sein wird? «Da hilft nur die Grey-RockMethode», sagt Laura, und meint damit, dass sie sich bei jedem Angriff vorstellt, ein glatter Stein zu sein, an dem jede Beleidigung, jede Provokation einfach herunter rutscht. Delia Schreiber unterstützt diese Herangehensweise: «Um von Narzisst:innen loszukommen, wäre der komplette Kontaktabbruch die beste Lösung. Wer jedoch gemeinsame Kinder hat, sollte bedenken, dass Narzisst:innen provozieren, weil sie Energie daraus ziehen, ihr Gegenüber auf die Palme zu bringen. Wer das Spiel nicht mehr mitspielt, wird irgendwann langweilig.» Und wie schützt man die gemeinsamen Kinder? «Ganz schützen kann man sie nicht, weil sie ja immer wieder Zeit mit dem anderen Elternteil verbringen», sagt Delia Schreiber. «Aber man kann und muss den Kindern Stabilität und Ausgleich bieten, indem man sich nicht auf die Spielchen des anderen einlässt und selbst einen zuverlässigen, klaren, gut strukturierten, wohlwollenden Raum bietet.»
Es gibt keine Check-Liste für Narzisst:innen
Zum Abschluss frage ich die Expertin, ob es eine CheckListe gibt, um zu prüfen, ob man selbst in einer Beziehung mit einem oder einer Narzisst:in steckt. Doch die Psychologin ist kein Fan solcher Listen. Das einzige, was zähle, sei, wie man sich in einer Beziehung fühle. Man müsse in sich hineinhorchen, sich fragen, ob man so wirklich leben möchte. «Denn letztlich ist es egal, ob das Gegenüber eine Diagnose gestellt bekommen hat oder nicht. Wenn man unglücklich ist, sich schlecht behandelt fühlt, muss man der Sache auf den Grund gehen, für sich selbst einstehen und Konsequenzen ziehen. Im Zweifelsfall mit professioneller Hilfe.»
Apropos: Keine:r der Ex-Partner:innen der Betroffenen aus diesem Text hat eine offizielle Diagnose gestellt bekommen. Was nicht verwunderlich sei, meint Delia Schreiber. «Wer nicht fähig zur Selbstreflexion ist und die Schuld immer bei den anderen sucht, geht in der Regel auch nicht zur Therapie. Deshalb wissen wir auch nicht, wie viele krankhafte Narzisst:innen es wirklich gibt. Nach jahrelanger Arbeit mit Opfern kann ich aber mit gutem Gewissen behaupten: Wenige sind es definitiv nicht.»
Diese beiden Organisationen bieten schweizweit Unterstützung und Selbsthilfegruppen für Betroffene an.
→ selbsthilfeschweiz.ch
→ opferhilfe-schweiz.ch
Die Psychologin Delia Schreiber bietet neben Einzeltherapie auch Online-Selbsthilfegruppen an.
→ deliaschreiber.ch
Buchtipps
Turid Müller: «Verdeckter Narzissmus in Beziehungen», Kailash, 2022. Bärbel Wardetzki: «Und das soll Liebe sein?», dtv, 2018.