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Hotpantsverbot

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Im Sommer wird es so weit sein: Ich bekomme nicht nur mein viertes und letztes Kind, sondern meine Tochter ist dann ein Jahr lang auf der weiterführenden Schule und wird sich bei schönem Wetter zwangsläufig mit dem auseinandersetzen müssen, was in Deutschland allgemein als Hotpantsverbot bekannt ist. Falls euch das nichts sagt: Seit mehreren Jahren passiert in der warmen Jahreszeit immer wieder das gleiche. Eine oder mehrere Schulen entscheiden sich dafür, die Kleiderwahl von pubertierenden Mädchen zu problematisieren, erzählen was von Anzüglichkeit, zu kurzen Hosen, zu tiefen Ausschnitten und verbieten kurzerhand die entsprechende Kleidung. Manche gehen sogar so weit, den Schülerinnen sackähnliche T-Shirts überzuhelfen, wenn sie nicht mit dem in die Schule kommen, was andere für angemessene Kleidung halten. Jedes Jahr der gleiche sexistische Unfug. Und jedes Jahr ärgere ich mich darüber. Dieses Jahr, wenn ich den Gerüchten über die Schule meiner Tochter trauen darf, dann wohl noch etwas mehr. Hurra aber auch! Ich hätte ja mehr Lust darauf, meiner Grossen dabei zuzuschauen, wie sie sich mit ihrem heranwachsenden Körper immer mehr Räume erobert und sich auch mithilfe von Mode jeden Tag neu ausprobiert und erfindet. Stattdessen darf ich mich schon mal auf verdruckste Gespräche vorbereiten, in denen mir mitgeteilt wird, dass der Körper meiner Tochter SO nicht geht. Also jedenfalls nicht in diesem Klamotten. Wie soll Mann sich denn da konzentrieren? Schon klar: Jungen können gar nicht anders, weil Mädchen viel zu aufreizend gekleidet sind. Vielleicht schliessen wir nächstens noch Schülerinnen mit grossen Brüsten und/oder langen Beinen aus. Wer weiss, was da alles passieren kann.
Bloss nicht über das eigentliche Problem reden. Also darüber, dass weder Kleidung noch das Fehlen derselben zu irgendeinem Zeitpunkt übergriffiges und abwertenden Verhalten rechtfertigt. Oder darüber, dass wir uns als Gesellschaft geradezu zwanghaft mit dem Verhalten von Opfern beschäftigen statt mit dem von Täterinnen und Tätern.
Ich munitioniere mich also schon einmal für den Sommer. Gegen «Aber wäre es Ihnen nicht auch lieber wenn ihre Tochter …». Gegen «Sie lassen Ihr Kind ja auch nicht nackt herumlaufen». Gegen «Schuluniformen für alle halte ich doch für reichlich übertrieben». Vielleicht laufe ich ja bei der Gelegenheit mit Hotpants und Tanktop auf. Das hat ja so ähnlich schon mal geklappt.
Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.