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Noch schikanieren wir keine Flüchtlinge
Von Bloggerin Nathalie Sassine-Hauptmann

Screenshot der Videosequenz
Clausnitz ist ein Dorf in Sachsen, Deutschland. Mit Menschen, die arbeiten, Kinder, die zur Schule gehen und Polizeibeamten, die ihre Arbeit tun. Bis zu diesem unsäglichen Mittwoch-Abend, bei dem die Ankunft von erwarteten Flüchtlingen ausartet.
Die im Internet kursierende Videosequenz zeigt den Einsatz der Bundespolizei, wie diese Flüchtlinge mit Gewalt aus dem Bus zwingt, um sie in ein Haus zu bringen. Unter dem hasserfüllten Gegröhle und Gejohle der aufgebrachten Menschenmenge. Einer der Beamten fasst einen Jungen brutal an und schleppt ihn regelrecht aus dem Bus. Ein anderer Junge verlässt den Bus weinend, zwei Frauen kollabieren, nachdem sie ebenfalls mit Gewalt aus dem Bus verfrachtet wurden.
Diese Bilder schockieren. Sie treiben mir Tränen in die Augen. Was ist passiert? Wieso glauben Menschen, sie dürften andere Menschen, die vor Krieg und Tod flüchten, so behandeln, sie anschreien, sie sollen abhauen? Und wieso macht die Bundespolizei das mit? Wo sind wir denn? Im dritten Reich?
Nein. Es ist 2016. In vielen Ländern herrscht Krieg, den wir im Westen unter anderem mit Waffenlieferungen unterstützt haben. Nun kommen viele Menschen nach Europa, weil sie in ihrem Land keine Überlebenschance sehen, geschweige denn eine Zukunft. Und was machen die Menschen in Europa, denen es gut geht, die ein Dach über dem Kopf und warme Kleider haben? Sie skandieren total sinnlos „Wir sind das Reich“. Was soll das überhaupt bedeuten?
Wir wollen euch nicht, soll das heissen. Ihr seid uns fremd, ihr nehmt uns etwas weg, wir haben Angst vor euch. Also machen wir euch auch Angst, indem wir eure Kinder anschreien, sie sollen sich verpissen. Indem wir euch nach allen Strapazen, die ihr durchgemacht habt und froh wart, bei uns anzukommen, das Leben erst recht schwer machen.
„Das passiert ja nicht bei uns“ höre ich schon die beschwichtigenden Kommentare. Nicht? Noch nicht. Was würde uns in der Schweiz daran hindern, uns so zu benehmen? Unseren Hass so offen zu zeigen? Unser Anstand? Vielleicht. Noch.
Aber angenommen, eine Initiative, wie die der Durchsetzung, über die wir am 28. Februar abstimmen, kommt durch. Würden wir uns nicht über kurz oder lang legitimiert fühlen, Ausländer, Flüchtlinge so zu behandeln? Sogar Kinder anzupöbeln, die per Definition unschuldig sind? Würden ein solches Gesetz bzw. Artikel in der Bundesverfassung nicht automatisch zur Verrohung von uns Schweizer Bürgern führen? Ich bin davon überzeugt. Warum ich das glaube? Weil die Geschichte es schon mehrmals bewiesen hat. Doch leider «lehrt uns die Geschichte, dass die Geschichte uns nichts lehrt». (Mahatma Ghandi)
Ich habe Angst. Angst für unsere Kinder, für uns als Menschen, für unsere Menschlichkeit. Eltern wollen das Beste für ihre Kinder. Da KANN Fremdenfeindlichkeit doch nicht dazugehören, oder? Also auch von mir der Aufruf: Stimmt am 28. Februar NEIN zur Durchsetzungsinitiative. Denn die ist der Anfang vom Ende.
Nathalie Sassine-Hauptmann (1973) gehört zu den Müttern, die ihr schlechtes Gewissen wie ein Baby mit sich rumtragen. Dennoch würde sie ihren Beruf nie aufgeben. Mit ihrem Buch «Rabenmutter - die ganze Wahrheit über das Mutterwerden und Muttersein» spricht sie vielen berufstätigen Müttern aus der Seele. Denn als Unternehmerin weiss sie, dass ihre Kinder sie zwar glücklich machen, aber erst ihr Job ihr den Ausgleich garantiert, den sie braucht. Sie führt sowohl ihr Familienleben als auch ihre Firma mit viel Leidenschaft und macht sich in diesem Blog Gedanken zur Vereinbarkeit von beidem. Und sie hat keine Angst davor, sich eine Feministin zu schimpfen. Alle Blog-Beiträge von Nathalie Sassine-Hauptmann finden Sie hier.