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Wir elenden Kunstbanausen

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Seit meine beiden Grossen in die Schule gehen, habe ich mir für die dunkle Jahreszeit angewöhnt, mit ihnen ein paar kulturelle Veranstaltungen zu besuchen, damit die Tage sich nicht ganz so zäh gestalten. Denn zäh kann es in der Tat werden. Sie stehen vor der Sonne auf, schleppen sich in absoluter Finsternis in ihre Klassen und falls sie noch eine Nachmittagsveranstaltung haben, erreicht die Finsternis noch vor ihnen das Haus.
Tageslichtlampen und Schokolade können da ein bisschen helfen, ändern aber nichts daran, dass es schwer ist, bei halbwegs anständiger Laune zu bleiben. Ich merke das auch an mir selbst. Falls Captain Short mich nachts noch braucht – mit einem Jahr geschieht das zwar nur noch selten, aber es kommt vor – ist es zum einen arschkalt und zum anderen so düster, dass ich mehr oder weniger besinnungslos im Zimmer herumtapse.
Ich bin häufiger müde, meine Geduld geht lange vor mir ins Bett und ich muss mich stark motivieren, nicht meinem generellen Winterschlafbedürfnis nachzukommen. Weil es nämlich nicht möglich ist, sich drei Monate ganz herauszunehmen, muss ich das genaue Gegenteil tun: Mehr machen! Mehr Programm, mehr Sport, mehr Arbeit, mehr Pläne, mehr Familie. Sonst ist bis nächstes Jahr zu Ostern Murmeltiertag angesagt. Jeden Tag den ganzen Tag. Aufstehen, durchwursteln und immer, wirklich immer bereuen, dass man überhaupt aus dem Bett gekrochen ist.
Aber ach, es gibt ja noch Theater. Kino, Weihnachtsmarkt, Theater, Sendung mit der Maus, Marathons und die paar hellen Tage, an denen man die Kinder einfach wie im Sommer nach draussen jagen kann. Allerdings funktioniert der Spruch «Kommt heim, wenn es dunkel wird» dann nicht mehr. Wenn man den benutzt, sind sie 5 Minuten später zurück. Gestern war es für uns drei wieder einmal so weit. In der Oper lief «Carmen für Kinder» und danach wollte der Nachwuchs «endlich mal wieder zu Ikea». Ein Hoch auf den verkaufsoffenen Sonntag, da kann man zu Ikea essen gehen. Emil und Emma lieben das. Sie schlagen sich preisgünstig die Bäuche voll, treffen fast immer jemanden, den sie kennen und gucken sich ansonsten in aller Seelenruhe die anderen Leute an, die auch zum Essen gekommen sind. Das Stück vorher war auch grossartig. Sehr günstige Karten, trotzdem erste Reihe. «Cooles Orchester, Carmen singt toll und wird dann weggemessert.» (Zusammenfassung Emil).
Nur wenn wir anderen davon erzählen, sind die zumeist irritiert. «Was, ihr geht in die Oper?» oder «Was, ihr esst bei Ikea?» heisst es dann. Beides zusammen scheint unvorstellbar. Warum eigentlich? Was soll dieses dünkelhafte Abwerten angeblicher Hoch- oder Tiefkultur? Sollte man nicht gerade mit Kindern einfach schauen, dass man ihnen so viele unterschiedliche Eindrücke wie möglich anbietet? Einen Theaterbesuch. Lange Nacht der Museen. Rülpswettbewerb bei der örtlichen Pfadfindergruppe. Schickmachen für die Oper und danach aufpassen, dass man sich nicht mit der Preiselbeersosse von den Köttbullar bekleckert. Warum denn nicht? Falls das meine Rasselbande und mich zu Snobs und/oder Kunstbanausen macht, dann bitteschön: Sind wir es eben.
Und haben Spass dabei.
Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.