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Stillen oder nicht Stillen – warum ist das überhaupt die Frage?

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zvg
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Ich bin ziemlich erleichtert, dass sich mit meinem kleinen Töchterchen das Thema Stillen dann auch in absehbarer Zeit erledigt haben wird. Wenn ich es als Vater schon leid bin, kann man sich vorstellen, wie die Chefin von dem Ganzen das sieht. Kurz zu den Fakten: Drei meiner Kinder waren Stillbabys, meine Jüngste ist ein Flaschenkind. Nachdem sie sich knapp zwei Wochen auch nach allen Hinweisen von Hebamme und Kinderärztin mit Händen und Füssen gegen die Brust gewehrt hat und wir ihr dabei zuschauen mussten, wie sie allmählich immer schwächer und dünner wurde, haben wir es gelassen und sind auf Flasche umgestiegen. Abpumpen wurde kurz erwogen, aber meine Liebste will nach den gesetzlich vorgeschriebenen zwei Monaten Mutterschutz gleich wieder arbeiten gehen (für alle «Oh mein Gott, darf sie das? Das arme Kind!» Menschen: Keine Sorge, der Text dazu kommt noch) und es war bislang jedes Mal eine zähe, mühsame Plackerei. Also Flasche. Ja genau Flasche. Guckt ihr ruhig, wenn die Mama ihr Winzbaby aus dem Tragetuch holt und es füttert. Dafür guck ich dann und lache herzlich, wenn ihr «Füttern Sie etwa mit der Flasche?!» fragt und meine Frau tiefenentspannt im mittlerweile laktosefreien Brustton der Überzeugung «Nein, wieso?!» entgegnet. Habt ihr verdient. Nicht etwa für interessiertes Nachfragen, sondern für offenkundige Anfeindungen und sinnbefreites Nachbohren.
Stillen oder nicht, das ist zu einer weltanschaulichen Auseinandersetzung geraten. Genauso wie die Frage danach, wie lange frau zu stillen hat und wo.
Scheinbar müssen wir als Gesellschaft Frauen in dem, was wir als «Kernbereiche der Weiblichkeit» identifizieren, umso stärker bevormunden, je mehr sie sich in vielen anderen Bereichen emanzipieren. Was eine gute Mutter ist, bestimmen ja wohl immer noch wir. Scheinbar «braucht es nicht nur ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen», nein das Dorf will auch unbedingt. Ob das dann angebracht, erwünscht oder übergriffig ist, spielt dabei keine Rolle. Stattdessen wissen es alle am besten. Mindestens 6 Monate voll Stillen, aber keinen Tag länger als ein Jahr. Wer Flasche füttert hat darüber ebenso den Kopf hängen zu lassen wie über einen Kaiserschnitt. Prädikat «Vom Start weg als Mutter versagt». Wer gerne, lange und offensiv stillt bekommt das Prädikat «esoterische Helikoptermutter ohne eigenes Leben». Na ganz toll.
Vielleicht halten wir einfach mal die Klappe und lassen Mütter und Familien ihr Ding machen. Heisst ja auch Stillen.
Nils Pickert (1979), geboren in Ostberlin, nach dem Mauerfall mit einer waschechten Kreuzbergerin angebändelt. Gegenwärtig 4 Kinder: Emma (12), Emil (10), Theo (2½) und Maja (bald 1). Arbeitet als freier Journalist für diverse Medien und als Weltverbesserer bei dem Verein Pinkstinks, der sich unter anderem gegen Sexismus in der Werbung engagiert. Wurde von der «Weltwoche» mal als «maximal emanzipierter Mann» beleidigt, findet aber, dass ihm der Titel steht. Bloggt für «wir eltern» über Alltag mit Kindern, gleichberechtigtes Familienleben, neue Väter, Elternbeziehungen, Erziehungswahnsinn. Alle Blogg-Beiträge von Nils Pickert finden Sie hier.