Abstillen
Abschied von der Brust

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Nach der vierten Brustentzündung in knapp drei Monaten fragte Andrea Iseli ihre Ärztin nach der besten Methode zum Abstillen. Diese gab ihr die sogenannte Abstillpille, deren Wirkstoff die Ausschüttung des milchbildenden Hormons Prolaktin hemmt und Frauen erlaubt, quasi von einem Tag auf den anderen abzustillen. Obwohl ihr Sohn Nathan erst drei Monate alt war, hatte er keine Probleme bei der Umstellung auf die Flasche. Bloss: Bei Andrea Iseli trat die erwartete Erleichterung nicht ein. «Ich hatte zwar keine Brustentzündungen mehr, dafür plagte mich jetzt das schlechte Gewissen.»
Wegen der zahlreichen Vorteile von Muttermilch empfehlen sowohl die Weltgesundheitsorganisation WHO als auch die schweizerische Gesellschaft für Kinderheilkunde, Babys während sechs Monaten ausschliesslich zu stillen. Andrea Iseli hatte sich vor der Geburt fest vorgenommen, sich daran zu halten. Mit Schwierigkeiten oder gar Schmerzen hatte sie nicht gerechnet, und je mehr die Erinnerung daran verblasste, umso schlechter fühlte sie sich. Wirklich hinter ihrem Entschluss stehen konnte sie erst, nachdem sie einige Wochen später von einer Hebamme verständnisvolle Worte hörte und erfuhr, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine war. «Ich hatte um mich herum nur noch stillende Mütter wahrgenommen und konnte das erst gar nicht glauben.»
Die Hebamme kann helfen
Viele junge Mütter scheinen nicht zu wissen, dass sie Hebammen und Stillberaterinnen auch vor dem Abstillen kontaktieren können. Oder sie befürchten, wie Andrea Iseli, dass eine Stillberaterin ihren Wunsch vielleicht kritisieren oder nicht akzeptieren würde. Fühlt sich die Mutter nicht verstanden oder ernst genommen, sucht sie sich am besten eine andere Beraterin.
«Wenn eine Mutter abstillen will, unterstütze ich sie dabei auch dann, wenn das für das Kind nicht optimal ist», sagt die Stillberaterin Monique Demierre. Dass kaum eine Frau die Entscheidung zum Abstillen leichtfertig trifft, weiss Demierre aus langjähriger Berufserfahrungim Spital Bülach und in ihrer Praxis für Frühprävention und psychologische Beratung. «Meistens ist der Schritt mit viel Trauer verbunden.» Am leichtesten falle er Müttern, die ihn nach einer problemlosen Stillzeit wirklich wollen – und sich nicht wie Andrea Iseli aus schierer Verzweiflung dazu entschliessen.
Weil es verschiedene und oft sehr individuelle Lösungen zum Abstillen gibt, findet sich die am besten geeignete Variante häufig erst in einem ausführlichen Gespräch zwischen Mutter und Beraterin. Ist das Kind über sechs Monate alt und isst bereits selbstständig, können Frauen in der Regel auf Medikamente verzichten. Sicher ein Vorteil, da die Abstillpille häufig unerwünschte Nebenwirkungen wie Kreislaufbeschwerden, Übelkeit, Erbrechen oder Kopfschmerzen hervorruft.
Schrittweise Abstillen ist weniger belastend
Trinkt das Baby nur noch unregelmässig an der Brust, lässt sich der Milchfluss auch mit Hausmitteln stoppen. Manchmal genügt ein enganliegender BH, helfen kann auch ein Cold Pack, eingewickelt in ein Tuch, oder ein Quarkwickel. Fühlen sich die Brüste sehr prall an, sollte die Milch ausgestrichen werden, damit es keinen Milchstau gibt.
Gar nichts unternehmen müssen Mütter, die wie Franziska Peter schrittweise abstillen. Dieser Weg ist für den weiblichen Körper weniger belastend als das abrupte Abstillen mit der Pille. Auch für das Baby gestaltet sich der allmähliche Abschied von der Brust sanfter, und sein Magen kann sich langsam an die Flaschenmilch gewöhnen. Monique Demierre empfiehlt, «alle vier Tage auf eine Stillmahlzeit zu verzichten und mit derjenigen Mahlzeit anzufangen, die für das Kind am wenigsten wichtig ist».
Ist das Baby jünger als sechs Monate, wird diese Mahlzeit durch einen Schoppen ersetzt, bei älteren Kindern je nach Tageszeit durch Beikost oder Flaschenmilch. Leichter fällt die Umstellung, wenn in den ersten Tagen der Vater oder eine andere nahe Bezugsperson das Schöppeln übernehmen kann. «Die Mehrheit der Frauen, die zu mir kommen, wählen diese Lösung», sagt die Stillberaterin.
Stillen als Einschlafritual
Der Nachteil davon: Bis das Kind von der Brust entwöhnt ist, vergehen mehrere Wochen. Bei Babys unter sechs Monaten, die bis zu zehnmal täglich gestillt werden, kann sich der Prozess über einen Monat hinziehen.
Dass Kinder bereits in diesem Alter abgestillt werden, ist trotz der WHO-Empfehlung nicht aussergewöhnlich. Eine im Jahr 2003 gemachte Studie des Institutes für Sozial- und Präventivmedizin Basel zeigte: Im Alter von fünf Monaten wird nur noch jedes dritte Kind voll gestillt, und rund 30 Prozent aller Babys erhalten gar keine Muttermilch mehr. Die Gründe dafür sind so verschieden wie die Mütter, doch einer der häufigsten ist die Wiederaufnahme der Berufstätigkeit.
Auch Julia Peter wollte ihre Tochter vor allem deswegen bereits nach drei Monaten abstillen. Die Kleine machte ihr allerdings einen Strich durch die Rechnung. Tagsüber trank sie brav von der Flasche, doch abends akzeptierte sie nur die Brust. «Da ich sie nicht hungrig einschlafen lassen wollte, gab ich nach», erinnert sich die dreifache Mutter, die dieses Einschlafritual fast zwei Jahre weiterpflegte. «Es hat für uns beide so gestimmt.»
Damit gehört Julia Peter nicht zur Mehrheit. Acht von zehn Kindern sind im Alter von zwölf Monaten in der Schweiz ganz abgestillt – und Frauen, die ihrem Kind immer noch ab und zu die Brust gewähren, behalten das meist lieber für sich. Weltweit stellen sie jedoch keine Ausnahme dar, liegt doch die durchschnittliche Stilldauer laut einer Unicef-Studie bei 21 Monaten.
Am liebsten bis zum Kindergarten
Liesse man die Kinder entscheiden, würden viele sogar noch viel länger von der Brust trinken. Laut einer Untersuchung der amerikanischen Anthropologin Katherine A. Dettwyler liegt das natürliche Abstillalter des Menschen irgendwo zwischen drei und sieben Jahren. So lange möchte in unseren Breitengraden kaum eine Frau stillen.
Doch wie macht man das dem Kind am besten klar? Monique Demierre empfiehlt, ihm den Entscheid und die Gründe dafür mitzuteilen, auch wenn es noch sehr klein ist. «Schon Babys verstehen viel mehr, als wir glauben», sagt sie. Ausserdem müsse die Mutter wirklich abstillen wollen. «Gibt sie einem äusseren Druck nach und ist ihre Haltung dementsprechend ambivalent, spürt das Kind diese gemischten Gefühle.» In diesem Fall empfehle sie Müttern, die Entscheidung nochmals zu überdenken.