Immigration
Andere Länder, andere Sitten

«wir eltern»
Mazedonien
Familie Sula Bajrami
Vlora Sula (29), Gezim Sula (28) mit Gjergj Sula (16 M.), aus Mazedonien. Sie ist Deutschlehrerin, er Geschichtslehrer.
Gezim: «Die Infrastruktur in der Schweiz ist super, mit dem Kinderwagen kommt man überall hin. Die Kinderarztpraxen sind kinderfreundlich eingerichtet. Das gibt es in Mazedonien nicht, und die Praxen dort befinden sich in sehr schlechtem Zustand. Ich finde, die Schweizer sollten etwas lockerer mit Kindern umgehen, sie einfach mehr Kind sein lassen. In Mazedonien gibt es nicht so strikte Regeln darüber, was und wie viel Kinder essen sollten und wann sie zu Bett gehen müssen. Die Kinder essen, wann sie Hunger haben. Wenn sie vom vielen Herumtollen draussen müde sind, gehen sie abends freiwillig und selbstständig ins Bett. Sexualkunde ist in Mazedonien tabu, was zu Problemen bei jungen Menschen führt. Ich finde es toll, dass die Kinder hier bereits in der Schule sexuell aufgeklärt werden und auch die Eltern zu Hause dazu beitragen. Weniger gut finde ich, dass berufstätige Schweizer Eltern sehr wenig Freizeit, dafür unglaublich viele Freizeitaktivitäten zur Verfügung haben. In Mazedonien ist es umgekehrt: Die Menschen haben viel Freizeit, aber es gibt keinerlei Freizeitaktivitäten. Dafür haben sie eine viel engere Beziehung zu ihrer Familie. Hier müssen alle so viel arbeiten.»
Familie Sula Bajrami aus Mazedonien

wir eltern: Wie viel Zeit verbringen Sie als Familie unter der Woche gemeinsam?
Familie Sula Bajrami: Momentan sind es täglich zwischen fünf und sechs Stunden, da mein Mann leider keine Arbeit hat.
Wie feiern Sie den nächsten Kindergeburtstag?
Wir laden die Familie, Verwandte, Bekannte und Freunde ein. Es soll einen Kuchen – möglichst in Form eines Autos! – geben und Musik und Luftballons und Geschenke. Vielleicht sogar einen Clown.
Was ist die schlimmste Bestrafung für Ihre Kinder?
Viel zu bestrafen gibt es natürlich noch nicht. Je nachdem sage ich einfach «Nein» und nehme meinem Sohn etwas aus der Hand oder aus dem Mund und sage «kaka», das bedeutet, es ist unappetitlich. Im Notfall muss ich ihn halt ein wenig weinen lassen. Was für mich allerdings sehr schlimm ist ...
Deutschland
Familie Filus

Franziska (33), Sachbearbeiterin, Alexander (35), IT-Spezialist, Merle (5) und Louisa (1).
Eine Frage war es, die «Franzi» in der Schweiz als Erstes auffiel: «Und, was machst du so ...?» Sowas gibts in ihrer Heimat kaum, wenn eine Mutter mit kleinen Kindern auftaucht, denn in Deutschland haben alle Frauen Anrecht auf drei Jahre Erziehungsurlaub. Franzi gab Merle mit 18 Monaten in die Kinderkrippe, weil sie fand, ein bisschen mehr Sozialkontakt könnte ihrer Tochter kaum schaden. Toll findet Franziska Filus, dass in der Schweizer sogar die Kindergartenkinder den Schulweg ganz allein zurücklegen – undenkbar in Deutschland, sogar verboten. «Ich hatte erst auch fürchterlich Angst», sagt sie. Doch Merle belehrte ihre Mutter bald eines besseren. «Dieses ‹Betüdeln› in Deutschland ist doch auch nicht normal», so Filus. Aufgefallen ist ihr auch, dass bei kranken Kindern sehr oft Homoöpathie eingesetzt wird, was sie vorher gar nicht kannte. Dafür ist ihr ein Rätsel, wie sie demnächst arbeiten gehen soll, wenn Merle in den Kindergarten geht. «Wie schaffen es die Schweizer Frauen bloss, arbeiten zu gehen, wenn die Unterrichtszeiten so blöd liegen?»
Familie Filus aus Deutschland

wir eltern: Wie viel Zeit verbringen Sie als Familie unter der Woche gemeinsam?
Familie Filus: Normalerweise sind es zwei bis drei Stunden täglich. Papa bekommt täglich einen Anruf von seiner Tochter, wenn diese vom Kindergarten nach Hause kommt.
Wie feiern Sie den nächsten Kindergeburtstag?
An Merles 5. Geburtstag werden wir einen Zauberer nach Hause bestellen. Das ist aber eine Ausnahme, denn der Freund meiner Mutter macht das. Normalerweise gibts einen Geburtstagstisch und noch vor dem Frühstück die Geschenke.
Was ist die schlimmste Bestrafung für Ihre Kinder?
Wenn Merle das Sandmännchen nicht sehen darf. Selten kommt vor, dass sie aufs Zimmer muss. Zehn Minuten reichen meist aus, anschliessend können wir ganz vernünftig mit ihr reden.
Sizilien
Familie Vella

Masina (32), Salvatore (32), Giorgia (8) und Filippo (1) Vella aus Sizilien leben seit 2012 in Killwangen AG: Salvatore ist Maurer, Masina arbeitete in der Heimat in einem Kindergarten.
Wir finden hier fast alles besser als in Sizilien: Die Schule ist absolut toll. Obwohl Giorgia bei der Einreise kein Wort Deutsch konnte, bringt sie bereits heute super Noten nach Hause, auch dank der Lehrerin, die sie individuell unterstützt. Ziemlich gewöhnen musste ich mich an die Tatsache, dass die Schulkinder in der Schweiz ihren Schulweg selbst bewältigen müssen. In Italien müssen die Eltern ihre Kindern bringen und holen, das Ganze wird durch Polizisten täglich überwacht.
Allerdings ist es in der Schweiz viel schwieriger als in Italien, neue Kontakte zu knüpfen. Die Menschen sind sehr verschlossen. Ich verstehe nicht, weshalb es Schweizer komisch finden, wenn sie spontan mal auf Kaffee und Kuchen eingeladen werden.
Familie Vella aus Sizilien

wir eltern: Wie feiern Sie den nächsten Kindergeburtstag?
Familie Vella: In der Heimat feierten wir wie alle Italiener: grande fiesta, die ganze Schulklasse kam nach Hause. Giorgia hat hier noch keine echte Freundin gefunden. Letztes Mal feierten wir deshalb im Kleinen.
Wie viel Zeit verbringen Sie als Familie unter der Woche gemeinsam?
Knapp drei Stunden täglich.
Was ist die schlimmste Bestrafung für Ihre Kinder?
Die schlimmste Strafe ist, wenn ich Giorgia die Comic-Hefte wegnehme. Ich muss sie aber höchst selten bestrafen. Sie ist in der Schweiz sehr folgsam geworden. In der Heimat war die schlimmste Strafe TV-, Schokolade- und Computer-Entzug.
Tschechien/Deutschland
Familie Greiner

Barbora (40), ausgebildete Choreografin, Tanzpädagogin, Tänzerin und Pilates-Trainerin, Andreas (47), technischer Leiter Gessnerallee Zürich, mit Jakub (3¾ J.) und Emilia (8 M.). Greiners leben seit 2004 in Steinmauer ZH.
Die Begleitung in der Schwangerschaft und die Geburt im Spital empfand Barbora als «absolut top, 4-Stern- Service», während ihr früherer Spitalaufenthalt in Tschechien «der reine Albtraum» gewesen sei. Die Krise ergriff die Mutter, als Jakub 8 Monate alt war und sie realisierte, wie isoliert sie lebte: «Hier kommen die Leute nicht auf einen zu, teils auch aus falscher Rücksichtnahme.» Auf der Suche nach einer Kinderkrippe in ihrer Nähe musste sie feststellen, dass diese ein kleines Vermögen kosten würde, wenn sie wieder arbeiten wollte. So nahm sie den Sohnemann mit ins Tanztraining – bis er zu krabbeln begann. «Es war eine Sackgasse. Ich wollte wieder fit werden für die Arbeit, aber mit Jakub zusammen ging das nicht.» Schweren Herzens meldete sie ihn doch in der Krippe an, für teures Geld, aber wenigstens konnte sie jetzt wieder trainieren. «Mir ist es ein Rätsel, wie normale Schweizer Mütter Beruf und Kinder vereinbaren können.» Auch Andreas ist beruflich stark gefordert, kommt abends meist erst spät nach Hause. Unter der Woche verbringt die Familie kaum gemeinsame Zeit, dafür macht sie alljährlich acht Wochen gemeinsam Ferien. Glücklich macht Barbora, dass sie vor Kurzem ihr eigenes Studio eröffnen konnte, in dem sie Ballett-, Tanz- und Pilatesstunden gibt.
Familie Greiner aus Tschechien und Deutschland

wir eltern: Wie viel Zeit verbringen Sie als Familie unter der Woche gemeinsam?
Familie Greiner: Oh, das ist schwierig ... Wenn mein Mann im Theater ein Festival hat wie gerade jetzt, dann gar keine. Auch viele meiner Kurse finden abends statt. Normalerweise sind es vielleicht 20 Minuten täglich. Dafür machen wir jedes Jahr insgesamt acht Wochen gemeinsam Ferien.
Wie feiern Sie den nächsten Kindergeburtstag?
Die planen wir sehr spontan; meist kommen Gspänli von Jakub und wir machen einen Spielnachmittag zu Hause oder irgendwo. Seine «Prinzessin », in die er sich in der Krippe verliebt hat und die er heiraten will, darf dieses Jahr natürlich nicht fehlen ...!
Was ist die schlimmste Bestrafung für Ihre Kinder?
Barbora: «Ich strafe meine Kinder sehr ungern, obwohl ich eher eine strenge Mutter bin und es bei uns z. B. verbindliche Essens- und Schlafenszeiten gibt, an die sich unsere Kinder halten müssen. Um 20 Uhr ist Bettruhe. Meist reicht es, wenn ich Jakub drohe, dann gehorcht er automatisch. Die schlimmste Drohung ist, wenn ich sage, es gibt keine Gutenachtgeschichte. Dann wird er subito ganz lieb. Das finde ich süss.»
Tibet
Familie Dolma Yangchen und Lobsang Tenzing Jangbar

Dolma Yangchen Jangbar (30) war Analphabetin und hat autodidaktisch Englisch, Deutsch sowie Lesen und Schreiben gelernt. Lobsang Tenzing (27) Jangbar arbeitet derzeit in Zürich als Küchenhilfe in einem Restaurant. Das Paar flüchtete vor der Geburt der Kinder Tenzin Choedup (2½ J.) und Tenzin Palbar (8 Monate) in die Schweiz.
Am Anfang war es sehr schwierig, weil wir die Sprache nicht kannten. Unsere Söhne sind hier geboren, meine Frau hat die Schwangerschaften und die Geburten ganz nach der tibetischen Kultur mit vielen Gebeten und Ritualen erlebt. Wir lieben die Schweizer Kultur und das politische System hier, denn es war sehr schwierig für uns in Tibet. Wir probieren uns so gut wie möglich anzupassen, ohne dass wir unsere eigene Kultur verleugnen müssen. Das klappt zum Glück ganz gut, auch dank der Stiftung Tibet-Institut in Rikon, die wir regelmässig besuchen. Meine Frau kann inzwischen besser Deutsch schreiben als ich, dafür verstehe ich schon recht gut Schweizerdeutsch. Wir sind zuversichtlich, dass unsere Kinder hier ein glückliches Leben führen können, wenn wir bleiben dürfen. Der grösste Unterschied ist, dass tibetische Kinder ihr ganzes Leben mit ihren Eltern leben und sie im Alter auch pflegen. Schweizer Kinder ziehen schon sehr früh aus dem Elternhaus aus.
Familie Jangbar aus Tibet

wir eltern: Wie viel Zeit verbringen Sie als Familie unter der Woche gemeinsam?
Familie Jangbar: Ich arbeite ja im Gastgewerbe mit unregelmässigen Arbeitszeiten. Darunter leide ich, weil ich ein ausgesprochener Familienmensch bin. Durchschnittlich verbringen wir ungefähr knapp drei Stunden als Familie. Das ist nicht gerade viel.
Wie feiern Sie den nächsten Kindergeburtstag?
Traditionell feiern Tibeter keinen Geburstag, weil der wichtigste Tag die Taufe ist. Falls die Eltern sich an ein Geburtsdatum erinnern, dann werden sie viel beten an diesem Tag und ihrem Kind ein langes Leben wünschen.
Was ist die schlimmste Bestrafung für Ihre Kinder?
Wir lieben unsere Kinder, Bestrafungen kennen wir in unserer Kultur nicht. In Frieden, mit Liebe und Mitgefühl, findet man für jedes Problem eine gute Lösung. Strafe zerstört den Charakter der Kinder.
Spanien
Familie Gòmez Guiance

Beatriz (39), Architektin, Ignacio (38), Informatiker und Energieberater, mit Nuria (7), Hugo (5) und Oliver (1½ J.), kommen aus Madrid und leben seit zweieinhalb Jahren in der Schweiz.
Mir gefällt es extrem gut in unserer Gemeinde im Zürcher Unterland. Es ist ruhig, grün und es wohnen sehr viele Familien hier. Natürlich vermissen wir Spanien und Madrid schon, aber unsere Mütter kommen regelmässig für mehrere Wochen hierher. In Madrid ist es zwar viel lauter, aber es ist viel einfacher, Leute kennenzulernen, anderen Müttern auf Spielplätzen zu begegnen. Ich habe als Architektin einen sehr interessanten Beruf und würde gern bald wieder arbeiten. Aber ich habe keine Ahnung, wie das gehen soll mit drei Kindern. Die Krippen sind teuer, zum Teil gibt es sogar Wartelisten.
Familie Gòmez aus Spanien

wir eltern: Wie viel Zeit verbringen Sie als Familie unter der Woche gemeinsam?
Familie Gòmez Guiance: Durchschnittlich sind es vielleicht eineinhalb Stunden. Diese Woche ist mein Mann gerade wieder unterwegs, in München. Arbeitet er in Zürich, kommt er meist so um 18.30 Uhr heim, die Kinder müssen unter der Woche um 20.30 Uhr ins Bett.
Wie feiern Sie den nächsten Kindergeburtstag?
Das wissen wir noch nicht, Nuria wird zwar demnächst 7 Jahre alt. Vielleicht fahren wir wieder ins Berolino, das ist ein Kinderparadies am Bodensee. Oder wir lassen den Geburtstag durch eine spezialisierte Firma organisieren, die Adresse habe ich kürzlich von einer anderen Mutter bekommen.
Was ist die schlimmste Bestrafung für Ihre Kinder?
Wir pflegen den «Stillen Stuhl» als Strafritual: Die Kinder müssen für ein paar Minuten ganz still auf einem Stuhl sitzen und überlegen, was sie falsch gemacht haben. Anschliessend sprechen wir mit ihnen. Bei Nuria funktioniert das gut, bei Hubo nicht immer. Die allerschlimmste Strafe ist aber, wenn wir Spielzeug konfiszieren oder die Kinder einen Film nicht sehen dürfen.
USA/Mexico/Deutschland
Familie Dreher-Slone

Maria Magdalena Slone (37), amerikanische und mexikanische Staatsangehörige, Trainerin bei General Motors im 80%-Pensum, Peter Dreher (44), Deutscher, selbstständiger Unternehmer, Sohn Julian (3).
Mein Mann muss sehr viel herumfliegen beruflich, ich selbst bin seit Julians Geburt nicht mehr so oft unterwegs. Julian besucht drei Tage pro Woche eine spanische Krippe. Mein Mann und ich sprechen miteinander englisch, ich spreche spanisch mit Julian, mein Mann deutsch. Ich bin in New York aufgewachsen und lebe heute in der Schweiz im Paradies, scheint mir. Die Schweiz ist ein sehr multikulturelles Land mit vier Landessprachen, das beeindruckt mich. Mehrsprachig aufwachsende Kinder werden hier viel besser unterstützt als in den USA. Und die öffentlichen Schulen sind super. Ich möchte, dass Julian später z. B. auch ein Musikinstrument mit einer englischen Lehrperson erlernt – ich bin ein Sprachenfan. Toll ist hier auch, dass alle Kinder ganz selbstverständlich zu Fuss in die Krippe, Schule usw. gehen. Und es gibt Reaktionen, wenn ein trotzendes Kind sich im Coop auf den Boden schmeisst; einmal gab mir eine Grossmutter ein paar gute Tipps. In den USA ist so was verpönt – hier gibt es klare Regeln, und das finde ich gut.
Weniger gut ist der kurze Mutterschaftsurlaub. Vier Monate sind viel zu wenig. Ideal fände ich eine Lösung wie in anderen europäischen Ländern mit bis zu drei Jahren Elternschaftsurlaub samt Arbeitsplatzgarantie. So sind Mütter schon sehr früh gezwungen, wieder arbeiten zu gehen. Oder sie gehen schon gar nicht mehr auswärts arbeiten.
Famile Dreher-Slone aus Amerika und Deutschland

wir eltern: Wie viel Zeit verbringen Sie als Familie unter der Woche gemeinsam?
Familie Dreher-Slone: Sehr unterschiedlich, weil wir beide beruflich viel unterwegs sind. Im Schnitt sind es vielleicht eine bis eineinhalb Stunden.
Wie feiern Sie den nächsten Kindergeburtstag?
Wir mieten einen kleinen Raum in einer benachbarten Gemeinde, der extra kindergerecht eingerichtet ist. Vermutlich backen wir wieder gemeinsam Muffins, dann gibt es Pinata, das ist ein mexikanischer Geburtstagsbrauch. Letztes Mal machten wir Fingerpainting, und jedes Kind konnte ein selbstkreiertes Stück Kunst mit nach Hause nehmen. Dass Julian von der mexikanischen Kultur möglichst viel mitbekommt, ist mir sehr wichtig.
Was ist die schlimmste Bestrafung für Ihre Kinder?
Wir strafen nach der 1-2-3-Regel: Es gibt eine erste und eine zweite Verwarnung. Anschliessend muss Julian auf sein Zimmer für zwei Minuten (weil er gerade 2 Jahre alt ist), und dann besprechen wir, was nicht gut gelaufen ist. Julian muss sich auch entschuldigen.