Babyhilfen
«Babys brauchen Bewegungsfreiheit»

Tragtuch bedeutet zwei freie Hände.
Praktisch sind sie ja schon, all die Geräte, die jungen Müttern und Vätern zur Verfügung stehen. Der Autositz beispielsweise ist eine gute Erfindung, und im Alltag ist er unverzichtbar. Das Baby ist darin, angegurtet auf dem Rücksitz des Fahrzeugs, sicher aufgehoben. Friedlich schlummert es in dem weich gepolsterten Sitzchen, und das monotone Geräusch des Automotors trägt mit dazu bei, dass das Baby nicht aufgeweckt wird.
Was liegt da näher als der Gedanke, gleich noch Einkäufe zu erledigen, solange das Kind so schön schläft? Man fährt mit dem Auto ins Shoppingcenter, schnallt den Autositz los und hievt ihn behutsam auf den Einkaufswagen. Döst das Baby später beim Nachhausekommen noch immer, trägt man es mitsamt dem Autositz die Treppe hoch und lässt es so lange schlafen, bis es von sich aus erwacht.
Körper und Welt entdecken
«Hilfsmittel wie Autositz, Babywippe und Tragtuch sind Gold wert, wenn man sie hin und wieder einsetzt», sagt die Mütterberaterin Anna Urben. Allerdings sollten die Eltern für Abwechslung sorgen, denn: Säuglinge brauchen viel Bewegungsfreiheit, um sich und ihren Körper zu entdecken. «Im Tuch, in der Wippe oder im Sitzchen sind sie eingeschränkt.»
Für Anna Urben ist das Tragtuch ein gutes Beispiel dafür, wie jedes Hilfsmittel auch Nachteile haben kann: Weil sich das Kind darin so schön beruhigen lässt, werden Tragtücher von vielen Müttern und Vätern geschätzt. Ausserdem haben Untersuchungen gezeigt, dass Babys, die viel getragen werden, weniger schreien. Schläft das Baby im Tuch, hat man die Hände frei, und man kann gleich zeitig Suppe kochen oder Wäsche waschen. Wie man das Kind im Tuch trägt, ist laut Anna Urben aber nicht ganz unwesentlich.
«Ich empfehle, Babys stets Bauch an Bauch zu tragen. Umgekehrt hängt das Kind zu stark im Tuch und seine Haltung ist ungünstig. Der Rücken des Babys wird nicht richtig gestützt, da er gegen Bauch oder Brust des Trägers gedrückt wird. Auch das Köpfchen des Babys wird nicht richtig abgestützt und schaukelt hin und her.» Wird das Kind so positioniert, dass es vom Erwachsenen wegblickt, könnte es zudem überreizt werden. «Das Baby ist unter Umständen durch die vielen Eindrücke überfordert und schläft danach schlecht ein.»
Abwechslung befriedigt Neugierde
«Es ist alles eine Frage des Masses», hält der Kinderarzt Oskar Jenni, Leiter der Abteilung Entwicklungspädiatrie am Kinderspital Zürich, fest. «Gelegentliches Tragen mit dem Rücken gegen den Bauch ist sinnvoll, vor allem, wenn Kinder älter und neugieriger werden und auch etwas sehen wollen.»
Ein grösseres Kind könnte von der Mutter auch auf dem Rücken getragen werden, so dass es über ihre Schulter blicken kann. Jenni plädiert ebenfalls dafür, Varianten in den Alltag einzubauen, dem Kind also verschiedene Erfahrungsgelegenheiten zu geben. Er ist auch überzeugt, dass die allermeisten Eltern richtig handeln.
«Niemand trägt sein Kind zwölf Stunden am Tag im Tuch herum. Und ausserdem signalisieren Babys deutlich, wenn sie einen Wechsel der Umgebung wünschen.» Sind die Eltern offen für solche Zeichen, gelingt es ihnen mit der Zeit immer besser, ihr Kind zu «lesen», seine Bedürfnisse zu verstehen und darauf einzugehen.
Krabbeln – auch auf dem Bauch
«Es kann faszinierend sein zu beobachten und mitzuerleben, wie das Baby von Woche zu Woche neue Bewegungsformen entdeckt», sagt die selbstständige Zürcher Kinder-Physiotherapeutin Susanne Gruber. Bewegungsfreiheit und Abwechslung bei den Lagepositionen seien für die Entwicklung ausserordentlich wichtig, meint auch sie. Als Beispiel nennt sie die Rückenlage zum Schlafen, die von Kinderärzten als Vorsichtsmassnahme gegen den «Plötzlichen Kindstod» empfohlen wird.
«Babys verbringen, auch wenn sie wach sind, mehr und mehr Zeit auf dem Rücken liegend, im Autositzchen, in der Babywippe und im Kinderwagen.» Den Eltern von Babys, die durch diese konsequente Rückenlage einen flachen Hinterkopf entwickeln, zeigt sie in ihrer Praxis Alternativen dazu. «Es gibt viele Variationen zur Rückenlage, sei es, wenn das Kind liegt und schläft, wenn es getragen wird oder wenn es spielt.»
So kann man das Baby auch einmal in Rückenlage und leicht auf die Seite gekippt schlafen legen oder es in der Seitenlage oder auf dem Bauch herumtragen. «Das Kind muss zur Entlastung des Hinterkopfes noch lange nicht aufgesetzt werden», sagt Susanne Gruber. Laut Oskar Jenni hat man herausgefunden, dass die Bewegungsentwicklung der Kinder leicht verzögert ist, seit sich die Empfehlung der Rückenlage vor rund 15 Jahren durchgesetzt hat. Diese Verzögerung holen die Kinder wieder auf, doch auch Jenni rät: «Eltern sollen ihrem Säugling die Gelegenheit geben, tagsüber, wenn er wach ist, auch auf dem Bauch zu liegen.»
Ziel ist die Bewegungsfreiheit fördern
Das Ziel im Alltag sollte es sein, die Bewegungsfreude des Kindes zu fördern. Dann lernt es ganz von allein zu rollen, sich zu drehen, zu krabbeln und zu kriechen, sich selber aufzusetzen, aufzustehen und schliesslich die ersten Gehversuche zu machen. Und dann braucht es auch keine Hilfsmittel wie Lauflerngeräte. Jeder selbstständig erreichte Fortschritt ist für das Baby bedeutsam, um die Kraft und die Koordination aufzubauen, die es zur Erreichung des nächsten Entwicklungsschrittes braucht.
«Es gibt eine grosse Vielfalt in der motorischen Entwicklung», hält der Kinderarzt Oskar Jenni fest. So liessen rund zehn Prozent der Kinder bestimmte Entwicklungsschritte wie zum Beispiel das Kriechen aus, und sie entwickelten sich trotzdem normal. «Der Weg ist das Ziel», sagt Anna Urben. «Wichtig ist, dass man dem Kind genügend Zeit und Platz einräumt, um sich selber zu erfahren und zu entfalten.»
Wer schon einmal während einiger Zeit ein Baby auf der Krabbeldecke beobachtet hat, wird dieser Aussage beipflichten: Man staunt, mit wie viel Ausdauer das Baby gewisse Bewegungen wieder und wieder übt. Dabei steckt es viele Rückschläge ein, ohne sich entmutigen zu lassen. Anna Urben empfiehlt Eltern, mit Hilfestellungen zurückhaltend zu sein. Zum Beispiel rät sie, das Kind nicht aufzusetzen, solange es noch nicht selbstständig aufsitzen kann. «Das Baby verfügt noch nicht über die Muskulatur, die es braucht, um sich länger in der sitzenden Position zu halten.» Auch wenn die Eltern das Kind rundum mit Kissen stützen, wird es innerhalb von kürzester Zeit schief wie eine Banane dasitzen.
Plädoyer für Geduld und Gelassenheit
Der Kinderarzt Oskar Jenni plädiert schliesslich für ein gesundes Mass an Gelassenheit. «Eltern sollen ruhig einmal versuchen, ihr Kind aufzusetzen oder auf die Beinchen zu stellen und dabei auch erkennen, was das Kind noch nicht kann, wozu es bereit ist und wozu nicht.» Vielleicht braucht es dann einfach noch etwas Geduld. Der Zeitpunkt, in dem ein Kind seine ersten Gehversuche macht, wird von den meisten Eltern zwar als Meilenstein wahrgenommen.
Er hat aber keinen Einfluss darauf, wie sich das Kind entwickelt. Dennoch ist es verständlich, dass viele Mütter und Väter die ersten Schritte ihres Babys mit Ungeduld erwarten: Manche lassen an diesem denkwürdigen Tag die Champagnerkorken knallen.
TIPPS
Tragetuch: Wechseln Sie hin und wieder die Trageposition (Ihnen zugewandt, seitlich auf der Hüfte oder auf dem Rücken).
Babyrucksack: Erst benutzen, wenn das Kind sicher sitzen kann (etwa vom 10. Monat an). Und dann empfiehlt sich eine Trage mit Fussstütze, die für einen besseren Halt sorgt.
Hängematte: In der durchhängenden Position ist das Baby in seinen Bewegungen stark eingeschränkt, es kann sich weder auf den Bauch drehen noch seine Zehen in den Mund nehmen, was Babys ab etwa 6 Monaten besonders gerne machen. Deshalb: Nicht zu lange darin liegen lassen.
Babywippe: Dasselbe gilt für die Wippe und für die Autoschale. Ein stundenlanger Aufenthalt kann sich ungünstig auf die Entwicklung der Bein- und Hüftmuskulatur auswirken, weil das Baby ebenfalls in durchhängender Lage fixiert und in den Bewegungen stark eingeschränkt ist.
Lauflernstuhl: Zum einen lernt das Kind darin nicht schneller laufen, aber vor allem gilt: Vorsicht, Unfallgefahr! Die Rollen können irgendwo hängenbleiben und das Gerät kippt schnell einmal.
(Quelle: Das Babylexikon, DTV)