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Geburt
Ein positives Geburtserlebnis stärkt die Bindung
Die Einstellung einer Schwangeren zur Geburt beeinflusst nicht nur den Geburtsverlauf, sondern auch das Wohlergehen von Mutter, Partner und Kind weit über den Geburts-Tag hinaus. Das zeigen Ergebnisse einer neuen Studie.
Der Hightech-Anspruch der Medizin hat längst auch in Gebärzimmern Einzug gehalten; für die Sicherheit von Mutter und Kind ist nichts zu teuer. Aber der Aufwand wirft Fragen auf. Denn Frauen hadern nicht selten nach der Geburt mit der Notwendigkeit medizinischer Eingriffe und sind mitunter selbst auf einfachere Weise zur Welt gekommen.
Doch wie steuert das Mindset – übersetzt die Ansicht und Denkweise – Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett? Psychologin Lisa Hoffmann und Professor Rainer Banse versuchten in einer Studie für das Institut für Psychologie der Universität Bonn Antworten auf dieses unerforschte Feld zu finden. Vorweg: Die Denkweise kann den Weg der Geburt mitbestimmen.
Eingriff oder natürlicher Vorgang?
Für die Studie wurden zunächst zwei gegensätzliche Mindsets zur Geburt definiert. Da gab es zum einen die «medizinische Variante» und zum anderen die «natürliche Möglichkeit».
Bei der ersten Denkweise wird die Geburt als Art Eingriff gesehen– und der lässt sich am besten mithilfe von medizinischer Intervention meistern. Bei der zweiten Denkweise wird die Geburt als naturgegebener Vorgang betrachtet. Definiert als: nicht vaginal operativ, weder Kaiserschnitt, noch PDA, Dammschnitt oder wehenverstärkende Mittel.
Gut 40 Prozent der Studienteilnehmerinnen erlebten eine solche natürliche Geburt, der Grossteil jedoch eine mit Interventionen, also mit medizinischer Unterstützung. «Wir konnten belegen, dass jene Frauen, die über ein natürliches Mindset in der Schwangerschaft verfügten, auch eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine interventionsarme Geburt vorwiesen», erklärt Lisa Hoffmann. «Gebärende mit einem medizinischen Mindset hatten bei der Geburt eine höhere Wahrscheinlichkeit für medizinische Interventionen. Das, was zuvor im Raum schwebte, haben wir mit Zahlen validiert.»
Lisa Hoffmann und Rainer Banse von der Universität Bonn befragten für ihre Studie «The psychology of childbirth: mindset predicts birth outcomes, and the birth experience short- and longterm psychological well-being» 311 werdende Mütter und 304 Partner – und werteten nachgeburtlich weitere Fragebögen aus.
In der Studie ging es um das Mindset der Schwangeren, um das Wohlbefinden von Mutter und Kind nach der Niederkunft, die Wundheilung, das Stillen und das Verhalten des Säuglings sowie um die Paarbeziehung. 134 der Teilnehmenden nahmen zudem sechs Monate später an einer Nacherhebung teil.
Geburt beeinflusst auch das Väter-Wohl
Die Befragungen haben gezeigt, dass das Geburtserlebnis der Männer und Frauen korreliert, das heisst, es hängt zusammen und ist sich ähnlich, aber auch nicht vollkommen gleich. Dabei lässt sich laut Hoffmann statistisch nicht trennen, ob der Mann das Erleben der Frau übernimmt oder umgekehrt oder die Geburt beide je für sich beeinflusst.
In Hoffmanns Studie gaben die Frauen mit einem natürlichen und damit für sie positiven Erlebnis der Geburt häufiger an, auch ein glückliches Wochenbett und intensive Mutter-Kind-Bindungen zu erleben. «Frauen mit natürlichen Geburten waren mit der Geburt zufriedener als Frauen mit interventionsreichem Gebären », sagt Hoffmann.
Unglücklich im Wochenbett
Ein schlechteres nachgeburtliches Wohlbefinden hatten Frauen, die während der Geburt grosse Ängste und übermässigen negativen Stress durchlitten. Es sind jene Gebärenden, die sich vor einer natürlichen Entbindung fürchten und den ärztlichen Technikern das Handeln überlassen. Mit welchen Konsequenzen?
«Die negative Geburtserfahrung wirkt sich auf das kurz- und längerfristige psychische Wohlbefinden aus. Die Unterschiede finden sich zum Beispiel bei der Bindung, und wir sahen die negativen Auswirkungen auf das Baby selbst sechs Monate nach der Geburt. Sie betrifft alle in der Familie und sie endet aus psychologischer Sicht nicht, wenn die Plazenta geboren ist.»
Es scheint, dass Schwangere mit medizinischem Mindset nur die Risiken der Entbindung sehen und Ängste und negativen Stress entwickeln. Diesen tragen sie dann später weiter in die Paarbeziehung und das Wochenbett.
Geburt mit Hebamme
Die Psychologin rät Gebärenden, eine Eins-zu-eins-Betreuung bei der Hebamme zu suchen. Es hat sich nämlich empirisch gezeigt, dass dies die Wahrscheinlichkeit für interventionsärmere Geburten erhöht.
Wenn die Frau die Hebamme schon vor der Geburt kennenlernt und durch sie betreut wird, entsteht ein Vertrauensverhältnis. Es könne für Frauen hilfreich sein, den intimen Prozess der Geburt mit einer vertrauten Person zu bewältigen, sagt Lisa Hoffmann.
Vom Spitalpersonal fordert sie: «Geht mit den Frauen bei der Geburt vorsichtiger um. Macht nur, was notwendig ist und nicht mehr, nur weil es gemacht werden kann. Es ist nicht egal, wie Frauen gebären.»