Freizeit
Naturfreundehäuser: Tipp für günstige Familienferien
Von Veronica Bonilla Gurzeler
Die Naturfreundehäuser sind ein Geheimtipp für Familien, die das einfache Leben und die Berge lieben. Wir haben das älteste Naturfreunde-Gasthaus auf der Griesalp besucht.
Der Aufstieg könnte happig werden. Rühmt sich doch das Kiental im Berner Oberland, die steilste Postautostrecke Europas führe auf die Griesalp. Trotzdem steigen die beiden Familien bei der Haltestelle Tschingel am Fuss der Griesschlucht aus. Nach längerem Sitzen in Zug und Bus ist ihnen nach Bewegung. Ausserdem verspricht der Zickzack-Weg durch die Schlucht ebenfalls ein Abenteuer zu werden. Und wirklich: Massive Felsen, vom Wasser ausgespülte Strudeltöpfe und die 81 Meter hohen Pochtenfälle machen die knapp einstündige Wanderung auch für die Kinder kurzweilig. Sogar der dreijährige Jorim hält erstaunlich gut mit.
Auf der Terrasse des Naturfreundehauses Gorneren angekommen, brauchen alle erstmal eine Erfrischung. Es ist mitten am Nachmittag und Daniel Bösch, seit 2022 Gastgeber auf der Griesalp, erzählt den neuen Gästen etwas über die Geschichte des Berghauses, das 1913 erbaut wurde. Früher hätten die Familien oder Gruppen ihre eigenen Esswaren mitgebracht und in der Küche auf dem grossen Holzherd nebeneinander gekocht, berichtet der 47-Jährige. Die Kinder machen grosse Augen. Den Herd gebe es immer noch, fügt er an. «Wenn ich euch die Zimmer zeige, können wir einen Abstecher in die Küche machen.»
Kinder schnippeln in der Küche mit
Jetzt sind alle neugierig und folgen Daniel – er ist mit den meisten Gästen per Du – in die Küche. Ein schwarz-grünes Ungetüm von Herd nimmt fast die Hälfte des Raumes ein. Gebraucht werde er nur alle zwei Tage und nur zum Heizen von Warmwasser, erklärt Daniel. Die Kinder sind beeindruckt von der Grossküche und fragen, was es zum Abendessen gibt. Wenig später schnippeln Andrin, 8, Maira, 7 und Juul, 8, Salat, Gurken und Tomaten, trennen Eigelb von Eiweiss, rühren Schokolade in den Teig und schlecken die Schüssel aus. Daniel kann es gut mit Kindern und hat mit den dreien eifrige kleine Küchenhilfen gefunden.
Derweil sitzen ihre Eltern Martin, Sara und Tabea wieder draussen auf der Südterrasse, lassen den Blick über das Bergpanorama schweifen – vom Gspaltenhorn zum vergletscherten Bergmassiv der Blüemlisalp und weiter zum Dündenhorn, das Martin und Sara schon mal erwandert haben. Und fangen an zu begreifen, dass Naturfreundehäuser auf eine unkomplizierte und sehr erholsame Weise familienfreundlich sind.
Die Naturfreunde Schweiz sind eine gemeinnützige Organisation, deren Anfänge zurück in die Arbeiterbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts reichen. Zuerst in Bern, Luzern und Zürich, später auch in anderen Regionen taten sich naturverbundene Leute zusammen und gründeten erste Sektionen. Sie verbrachten zusammen Freizeit in der Natur und setzten die Vereinsmittel dafür ein, einfache Unterkünfte zu bauen. In den selbst verwalteten Häusern, meist in abgelegenen Lagen unterhalb der Baumgrenze, verbrachten sie mit Familie und Freunden erschwingliche Ferien.
63 Häuser in den schönsten Lagen
Die Naturfreunde Schweiz bestehen heute aus rund 100 Sektionen, denen insgesamt 63 Häuser gehören. Die Mehrheit sind zweckmässig ausgestattete Gruppenhäuser, die kostengünstig an Vereine, Pfadis und Schulen, aber auch an Familien und Firmen vermietet werden. «Wer in ein Naturfreundehaus kommt, sucht das einfache Zusammensein abseits der touristischen Zentren», sagt Ramon Casanovas, Geschäftsleiter der Naturfreunde Schweiz. An den Wochenenden übernehmen aktive Naturfreunde-Mitglieder in Freiwilligenarbeit den Betrieb, kochen für Tagestouristen und Übernachtungsgäste. Der Hüttenwartdienst sei bei den Vereinsmitgliedern beliebt, sagt Casanovas, besonders bei Familien: «Man übernimmt gemeinsam Verantwortung, erhält aber auch viel zurück.»
Das Naturfreundehaus Gorneren und einige weitere Häuser werden wegen ihrer hohen Auslastung seit einigen Jahren nicht mehr von Freiwilligen geführt, sondern sind verpachtet. Die Einfachheit und den gemeinschaftlichen Geist atmen sie aber immer noch. Im Schuhraum beim Eingangsbereich stehen Crocs in allen Grössen. Daneben stapeln sich in einem Holzfach Bettflaschen und erinnern daran, dass im Winter in den beiden oberen Stockwerken, in denen geschlafen wird, nur der Damenwaschraum geheizt wird. Im Bett soll hier niemand frieren müssen.
Ramon Casanovas, Geschäftsleiter der Naturfreunde Schweiz
Kinder servieren
Seit Daniel Bösch im urigen Holzhaus mit den schiefen Böden und der prächtigen Sonnenterrasse Pächter ist, hat er das eine oder andere bereits verändert: Er renovierte und verschönerte einen Teil der Schlafräume, baute sie zu gemütlichen Familienzimmern mit Dachluke aus. Fürs Ambiente hängt jetzt im Doppelzimmer eine Lichterkette. Insgesamt 50 Schlafplätze in Räumen für eine bis acht Personen stehen im Haus zur Verfügung. Bösch füllt sie jedoch nur, wenn eine geschlossene Gruppe angemeldet ist. «Ich mische fremde Gäste nicht », sagt er.
Anders beim Nachtessen, das um 18.30 Uhr in der heimeligen Gaststube aufgetischt wird: An den langen Tischen nehmen Familien neben Wandergästen Platz, die von mehrtägigen Hochgebirgsrouten erzählen. Auch Einheimische setzen sich manchmal dazu; es hat sich herumgesprochen, dass Bösch gelernter Konditor ist. Ein Dessert fehlt deshalb nie. Serviert wird es heute von den Kindern, was die Schleckmäuler unter ihnen zu nutzen wissen: Entschlossen trägt Maria das grösste Stück Schoggikuchen mit Schlagrahm an ihren Platz und sagt: «Das ist jetzt für mich.»
Bergglück mit Spielplatz und Lamas
Kaum ist die Kuchengabel abgeleckt, brauchen die Kinder schon wieder Bewegung. Zuerst helfen sie Daniel beim Abräumen und verschwinden dann nach draussen. Zu viert hüpfen sie durchs Gras zum Spielplatz unter dem Haus. Irgendwann sind Rutschbahn, Schaukel und Pingpong-Tisch nicht mehr interessant, ein Stück weit die Strasse hoch weiden Lamas: Entdecken und Spielen gehen weiter. Nach einem gemeinsamen Spaziergang lassen sich die Erwachsenen wieder auf der Terrasse nieder. Die Kinder haben sich mit einem Gästekind angefreundet und fühlen sich längst wie zu Hause. Grillen zirpen, Kuhglocken bimmeln, die Sonne senkt sich langsam auf die Berggipfel. So fühlt sich Bergglück an.
Die Naturfreunde Schweiz sind eine gemeinnützige Organisation mit rund 12500 Mitgliedern. Für Familien kostet die Mitgliedschaft je nach Sektion zwischen 120 und 140 Franken und ermöglicht die Teilnahme am Vereinsleben. Ausserdem berechtigt sie zu vergünstigten Preisen bei Übernachtungen in den 63 Naturfreundehäusern sowie bei Freizeitaktivitäten und Bildungsangeboten der Naturfreunde.
→ naturfreunde.ch
Übernachtung im Naturfreundehaus Gorneren BE im eigenen Schlafsack mit HP: Erwachsene Fr. 85.–, Kinder 4–11 Jahre Fr. 55.–, Bettwäsche Fr. 15.–.