
Mirjam Kluka
Reportage
Hausfrau Reloaded
Von Caren Battaglia
Im Netz boomen die Tradwives. Was ist es, das so fasziniert an der inszenierten Hausfraulichkeit? Backen, Basteln und Bienen? Oder doch etwas ganz anderes? Eine Spurensuche.
Sie nennen sich «Tradwives», kneten Kuchenteig, während die Sonne mild aufs Arbeitsbrett scheint, wecken ein, hüpfen mit ihren Kindern durch blühende Wiesen und tragen dabei stylische Kleidung: farblich abgestimmt auf den Instagram-Feed. Ja, und? Könnte man jetzt denken. Und ein bisschen gähnen. Weshalb sollte mich interessieren, wie fremde Mütter ihren Haushalt und ihre Familie auf Social Media inszenieren? Was kratzt es mich, dass jetzt auch Meghan Markle auf Netflix in die Tortenproduktion einsteigt? Was geht mich anderer Leute Backerei an? Berechtigt, der Einwand. Es könnte einem egal sein. Wäre, ja wäre der Tradwife-Trend, der Trend zur Hausfrau mit traditionell-konservativen Werten, nur einer der zahllosen Hypes, die kurz im Netz aufploppen und verdorren.
Aber so ist es nicht
Denn hier geht es um mehr, und das lässt sich nicht einfach so vom geölten Holztisch wischen: um Rollenbilder, um Inszenierung, Geld und Gott. Vor allem aber haben die Tradwives wohl auch deshalb so einen grossen Erfolg, weil sie bei vielen Frauen, Müttern, Männern und Vätern einen blanken Nerv treffen: Da ist dieser Wunsch nach ein bisschen Bullerbü für die Kinder, der Wunsch nach einem ruhigeren Familienleben ohne Stress, Hektik, Zuständigkeitsgerangel und Überforderung. Da ist ein grosses Bedürfnis – und jetzt kommt Marx in die Küche! – sichtbar sinnvolle Arbeit mit den Händen zu leisten, statt austauschbare, entfremdete in irgendeinem Büro. Dazu, sagt die aktuelle deutsche Sinusstudie, besteht bei der jüngeren Generation angesichts einer schnellen, wirren Welt eine Sehnsucht nach Einfachheit und Natürlichkeit. Was bedient dieses Bedürfnis besser als Tradwife-Videos, in denen Stroh, Kupfer und Holz so massenhaft vorkommen wie zu Gotthelfs Zeiten? Vielleicht spielt bei manchen Followerinnen auch ein Hauch von Resignation mit hinein: Karriere, Kinder, Körperkult, Haushalt und Partnerschaft – die Erwartung, überall perfekt performen zu müssen, wird vielen viel zu viel. Das Wonderwoman-Kostüm zwackt.
Und dann natürlich ist da diese unterschwellige Botschaft «Sei feminin statt feministisch», die bei den Tradwives mitschwingt, ebenso wie die Kleider, die sie bei der Hausarbeit tragen. Alles bestens geeignet, um giftige Diskussionen im Netz zu befeuern, Lobund Wut-Klicks abzugreifen – und damit Geld in die Kassen der Tradwife-Unternehmerinnen zu spülen. Das alles mögen Gründe sein, weshalb die Posts von Hannah Neelemans «Ballerinafarm», der bibeltreuen Estee Williams, «Malishka», Nara Smith und wie sie alle heissen millionenfach aufgerufen werden. Allein das Würstchen-Video «Wie mache ich einen Hotdog?» des mit einem Mormonen verheirateten Modells Nara Smith wurde 50 Millionen Mal angeklickt und so mancher Post fünfstellig honoriert.
Ein Körnchen Wahrheit
Das ist das nüchtern Geschäftliche, das man hinter all den romantischen Einweckgläsern nicht vergessen darf. Genauso wenig wie die Tatsache, dass die meisten dieser Frauen gutverdienende Ehemänner haben. Hannah Neelemans Mann etwa, wird geschätzt, verfügt über ein Vermögen von 450 Millionen Dollar. Im Falle von Trennung oder Alter steht – anders als eine «normale» Hausfrau – keine von ihnen mit leeren Händen da. Eher mit Cartier-Beringten. Doch da darf einen der Neid nicht gemein werden lassen. Trotzdem ist es tatsächlich höchst eigenartig, wenn die Herzogin von Sussex in Netflixs «With love, Meghan» Badesalz beduftet und Bienen bemurmelt. Ja, es wäre befremdlich, wünschte sich jemand ernsthaft zurück in die 50er Jahre. Und geradezu dumm wäre es, schönen Schein und Sein zu verwechseln. Doch gar nicht dumm ist es, diesen Tradwife-Trend interessiert zu beobachten, zu überlegen, ob ein Körnchen Wahrheit zwischen all den Kuchenkrümeln stecken könnte, aufmerksam hinzuspüren, wo es knirscht im aktuellen Familien-Kinder-Carearbeit-Stress-Dilemma, und nach Lösungen zu suchen.
Wir haben Frauen befragt, die sich bewusst für das traditionelle Modell der Stay-at-Home-Mom entschieden haben. Keine davon ist eine Tradwife wie auf Social Media. Keine lebt ewig gestrig. Keine trägt High Heels beim Bügeln. Doch sie alle haben gute persönliche Gründe. Die muss man nicht teilen, aber darüber nachzudenken, was sie über ihre Vorstellungen von Familie und Rollenverteilung erzählen – das lohnt sich auf alle Fälle.

Raphaela
Raphaela: «Natürlich kenne ich diese Tradwife-Videos. Ich finde es eher lustig, wie sich diese Frauen darstellen. Mit der Realität hat das absolut nichts zu tun. Wahrscheinlich haben die zwei Nannys im Hintergrund. Ich sehe sie jedenfalls niemals chaotische Zimmer aufräumen, in praktischen Klamotten Bäder putzen oder höre, wie hintendran jemand brüllt wie am Spiess. So allerdings sieht das Leben einer echten Vollzeitmama aus. Nein, Instagram erzeugt mir keinen Druck. Aber Druck mache ich mir trotzdem. Manchmal denke ich: Boah, Scheisse, wie schafft die das, so auszusehen? Und ich glaube auch, dass andere Frauen von mir als Vollzeitmami denken: «Die liegt ihrem Mann auf der Tasche». Oder: «Die ist doch zuhause und tut den ganzen Tag nichts anderes als singen und klatschen, wieso hat sie dann trotzdem so ein Puff daheim?»
Johannes: «Ich musste in den zwei Jahren, in denen Raphaela jetzt daheim ist, auch einiges lernen. Ich bin Käser: meine Hygienestandards sind also enorm hoch. Aber als ich irgendwann mal einen Kommentar dazu gemacht habe, wie das Haus aussieht – uiuiui. Da hatten wir einiges auszudiskutieren (lacht). Sie hat ja recht.»
Raphaela (lacht): «Ja, dann sage ich sofort: Wenn es dir nicht passt, dann übernimmst halt du die Kinder. Und schon ist Ruhe. Das ist das Frustrierende an der Hausarbeit. Man muss dauernd und ständig etwas machen, sonst sieht es bei drei kleinen Kindern sofort schlimm aus.»
Johannes: «Ich bin nicht altmodisch, was Rollenverteilung anbelangt. Überhaupt nicht. Bei Valerian hatte ich auch noch einen Papi-Tag, wir hatten eine Kita und Raphaela hat zwei Tage in ihrem Job als Kindergärtnerin gearbeitet. Aber wir mussten merken: Unsere Käserei ist nur ein kleiner Familienbetrieb. Dass der Chef fix an einem oder zwei Tagen nicht da ist – das geht einfach nicht.»
Raphaela
Raphaela: «Ja, wir haben es wirklich versucht. Er hat sogar mal mit Valerian vor dem Bauch gekäst und ihn zum Schlafen in die MutschliWanne gelegt. Aber als Mireille kam, habe ich nach kurzer Zeit gemerkt: Nur in einem so geringen Pensum im Chindsgi zu arbeiten ist für mich nicht befriedigend. Ausserdem fliegt einem die ganze Organisation sofort um die Ohren, wenn eines der Kinder krank ist. Johannes arbeitet 270 Prozent, das wäre ein riesiger Stress geworden. Also haben wir es klassisch aufgeteilt: Ich im Haus, er in der Käserei. Jeder hat klar sein Aufgabengebiet und niemand redet dem anderen rein. Ich nicht in den Käse, er nicht in die Hausarbeit. Nicht mehr jedenfalls (lacht).»
Johannes: «Finanziell haben wir alles mit einem Ehevertrag geregelt. Es ist wichtig, dass Raphaela rentenmässig abgesichert ist und auch, dass wir das mit der Firma geklärt haben. Für den Fall einer Trennung: was hoffentlich nie passiert! Ein Machtgefälle hat sich durch das finanzielle Ungleichgewicht bei uns nicht eingeschlichen. Am Anfang unserer Beziehung hat sie mehr verdient als ich. Jetzt verdiene ich halt mehr. Kein Ding. Tradwives auf Instagram? Keine Ahnung. Was soll das sein? Ich seh mir sowas nicht an. Aber wenn ich ehrlich bin (lacht), beneiden meine Kollegen mich um unser Modell. Die finden, du hast es gut, wenn du nach Hause kommst, musst du nicht noch putzen, kochen oder nach den Kinder schauen.»
Raphaela: «Finanziell schränken wir uns ein. Wir gehen jetzt zum ersten Mal nach 5 Jahren im Sommer mit dem Camper in den Urlaub. Aber das war und ist okay für mich. Wir haben uns halt dafür entschieden. Punkt. Und ich habe schon einen Plan, was ich tun will, wenn auch die kleinste dann mal in der Schule ist und ich mehr Zeit für mich habe: Meinen Kaffee in aller Ruhe trinken, so lange er noch heiss ist.»

Desirée
Wer in Désirées Haus kommt, hat das Gefühl, mitten in einem Instagram-Reel gelandet zu sein: renoviertes altes Riegelhaus, Kleinkind am Tisch, das fröhlich ein Gipspferdchen bemalt und Style, wohin man blickt.
Désirée: «(lacht) Ja, Gestalten und Kreativität sind meine Leidenschaft. Ich mach das total gerne und mag es ästhetisch. Was ich noch liebe: Kinder. Sonst wäre ich wohl auch nicht Primarlehrerin geworden. Überhaupt ist Familie für mich einfach das Oberste. Meine Erfüllung. Klingt das jetzt komisch? Furchtbar konservativ? So mein ich es gar nicht. Es ist nur einfach, wer ich bin. Mein Mann und ich, wir kennen uns unser ganzes Leben, ich bin schon als Baby in der Praxis meines jetzigen Schwiegervaters behandelt worden. Er war hier im Ort der Dorfarzt. Philipp und mir war immer klar, dass wir als Familie so leben wollen. Ich wäre am Boden zerstört gewesen, wenn es mit Kindern nicht geklappt hätte. Für mich wäre es auch okay gewesen, wenn Philipp einen Betreuungstag gewollt hätte, aber mit seiner fordernden Arbeitsstelle wäre das nicht möglich gewesen. Und weil es für uns so auch total stimmig war, ist uns die Diskussion darüber erspart geblieben. Klar können das auch Väter. Obwohl ich eigentlich keine Familien kenne, nicht mal eine, in der die Mutter arbeitet und bei denen die Hausund Kinderarbeit genau gleich verteilt wäre. Meist kommt das einfach bei den Frauen auf die Berufstätigkeit noch obendrauf. Ich störe mich daran, dass das gesellschaftliche System die Care-Arbeit, die wir als Vollzeitmütter leisten, missachtet und wir nicht finanziell gleichgestellt werden. Die Entscheidung, daheim bei den Kindern zu bleiben, bringt bezüglich der Altersversorgung finanzielle Lücken für die Frauen mit sich. Ich finde es toll, dass das externe Betreuungssystem in der Schweiz ausgebaut und subventioniert wird, damit Mamis, die das wollen oder müssen, arbeiten gehen können.
Désirée
Aber wer sich bewusst für die Care-Arbeit entscheidet, sollte dafür auch nicht bestraft werden. Vielleicht würde durch eine Entlohnung die Wertschätzung der Vollzeitmamis steigen. Ich finde, jede Frau sollte die Wahl haben. Emanzipation bedeutet für mich nicht, auf alle Fälle arbeiten zu gehen, sondern das machen zu können, was für einen selbst stimmt. Für mich ist es ein Privileg, daheim sein zu können, für andere ist es vielleicht ein Privileg, sich beruflich verwirklichen zu können. Beides ist okay. Meine Mutter war früher auch daheim. Ich fand das immer sehr gemütlich. Es hat mich geerdet. Das ist es auch, was ich an unserem Leben so mag: dass ich mir die Zeit mehr oder weniger frei einteile und jetzt halt hier sitze und Younes bastelt ganz friedlich. Meine Kinder sind sowieso einfach megaherzig. Sie sind meistens total entspannt. Ob das an unserem Familienmodell liegt, weiss ich nicht. Ich selbst bin auch nicht aus der Ruhe zu bringen. Vielleicht habe ich das nur einfach vererbt. Waschen, kochen, putzen finde ich nicht halb so toll, wie die Zeit mit meinen Kindern – aber in welchem Beruf gibt es nicht Sachen, die man nicht so gerne macht? Philipp hat ja Wirtschaft studiert. Mit Geld kennt er sich aus. Wir haben alles so geregelt, dass ich später finanziell nicht ins Leere falle. Mit meinem Insta-Account «glueckliness» verdiene ich kein Geld. Es macht mir Spass. Ich denke ohnehin, dass diese Tradwives auf Insta extra provozieren wollen. Wenn sich die Leute aufregen und kommentieren, dann generiert das Klicks. Für mich ist Instagram einfach nur Inspiration, eine Welt des Schönen, nicht der Realität. So ähnlich wie bei Mode- oder Interiormagazinen. Was ich mache, wenn die Kinder gross sind? Wahrscheinlich werde ich wieder unterrichten. Und ich habe mit einer Freundin eine Firma für Raumgestaltung gegründet. Vielleicht wird da ja später mal mehr draus.

Tonja
Mamasein war für mich seit jeher ein Traumberuf. Bevor die Kinder kamen, habe ich Drogistin gelernt und auch in dem Job gearbeitet. Meinem Vater gehörte eine Drogerie und vielleicht, wenn mein Mann Drogist gewesen wäre, hätte ich mir auch vorstellen können, mit ihm zusammen eine Drogerie zu führen. Nun ist er aber nicht Drogist, sondern Sportlehrer.
In der Kleinkindphase war es mir wichtig, meine Kinder zu stillen. Abzupumpen, um schnell wieder arbeiten gehen zu können, kam für mich nicht in Frage. Ich bin davon überzeugt, dass beim Stillen einem Grundbedürfnis des Kindes nach Nähe und Geborgenheit entsprochen und das Urvertrauen des Kindes gefördert wird. Jedes Kind habe ich rund ein Jahr lang gestillt. Deshalb hätte ich mir während dieser Zeit einen Rollentausch, dass ich arbeiten gehe und er zuhause bleibt, nicht vorstellen können.
Vor einigen Jahren, als Timeo kein Vollpensum hatte, habe ich noch in Teilzeit gearbeitet. Ausser Haus zu arbeiten hat auch Vorteile: Man kann sich beispielsweise einfach zum Mittagessen hinsetzen und danach wieder verschwinden. Ich denke, dass jedes Lebensmodell Vor- und Nachteile hat.
Was meine Nerven im Alltag zurzeit am meisten strapaziert, sind kleine Dinge, die in der Summe anstrengend sind: Dafür sorgen, dass die Kinder ihre Sachen aufräumen, Waschbecken nach dem Zähneputzen sauber hinterlassen oder Ämtli erledigen. Ich will also das Modell Vollzeitmama nicht glorifizieren. Manche Freundinnen habe ich dazu ermutigt, ein zu ihnen passendes Jobangebot anzunehmen. Für meinen Mann wäre es völlig okay, wenn ich arbeiten ginge. Zurzeit sehen wir beide jedoch mehr Vorteile darin, dass ich als Vollzeitmama zuhause bin: Weniger organisatorische Absprachen, mehr zeitliche Freiheit und Flexibilität als Familie. Wir verstehen uns als Team und versuchen, uns gegenseitig zu ergänzen. Die Aufteilung bringt uns auch mehr Zeit als Paar. Qualitätszeit als Paar ist uns beiden wichtig. Wir sind davon überzeugt, dass das eine entscheidende Grundlage für ein gelingendes Familienleben ist. Eine tragfähige Beziehung braucht Zeit und Arbeit. Das bedeutet nicht, dass ich mich wie eine Tradwife extra schick mache, bevor er nach Hause kommt. Da sind wir beide ja oft von unserer jeweiligen Arbeit müde und erschöpft. Aber wenn wir zwei ausgehen, dann mach ich mich gerne schön für ihn. Zuhause kann man sein, wie man ist. Deshalb finde ich es auch gut, dass ich mittags zuhause bin und unsere Kinder daheim essen können. Zudem ist es mir wichtig, dass meine Familie sich gesund ernährt. Brot, Pizza- und Wähenteig oder auch Konfitüre und Apfelmus mache ich beispielsweise gerne selbst.
Tonja
Meine Arbeit als Vollzeitmama wird von meinem Mann sehr wertgeschätzt. Meiner Erfahrung nach bekomme ich von Männern tendenziell mehr Anerkennung für meine Arbeit als von Frauen. Von Frauen habe ich schon gehört: «du verschenkst dein Potential» oder «du machst zu wenig aus deinem Leben». Das sehe ich anders. Ehrlich gesagt denke dann manchmal: «Ich möchte den Stress nicht, den ihr habt.»
Wenn unsere Ehe mal zerbräche? Mein Mann und ich wollen unsere Zeit und Energie nicht in Grübeleien über negative Eventualitäten investieren. Unser Fokus liegt auf der lebenslang gelingenden Beziehung. Jemand hat einmal den Gedanken formuliert, dass man mindestens so viel Geld in die Ehe investieren sollte, wie eine Scheidung kosten würde. Daran erinnern wir uns manchmal gegenseitig, wenn wir nach einem gemeinsamen Ausgang eine Restaurant- oder Hotelrechnung begleichen.
Mein Leben will ich nicht von Angst bestimmen lassen. Diese Haltung kann man als naiv oder optimistisch bezeichnen. Ich bin der Überzeugung – es findet sich immer ein Weg. So denke ich auch im Hinblick auf die Zeit, wenn die Kinder grösser sind und vielleicht ein beruflicher Neustart auf mich wartet. Man könnte das negativ als «von Null anfangen» bezeichnen, aber ich sehe dem positiv entgegen. Neu anzufangen hat doch etwas Gutes und Spannendes.»

Lea
Ich war sehr gerne Juristin. Mit nicht mal 30 habe ich zwei Teams geleitet. Oft war ich schon um 6.30 Uhr im Büro. Die Arbeit war sehr interessant und auch sehr herausfordernd. Aber als ich dann mit Liora schwanger war, hätte ich höchstens auf 80 Prozent reduzieren können, ein geringeres Pensum, sagte man mir, sei in der Funktion nicht möglich. Weil ich aber nicht mit geringerem Pensum eine langweiligere Sachbearbeiterinnen-Stelle wollte, hat mir das meine Entscheidung, Vollzeitmami zu werden, erleichtert. Doch das allein war es nicht. Ich habe in meinem Umfeld einige sehr gut ausgebildete Frauen erlebt, die alle gedacht haben, sie schaffen beides: Familie und Beruf und dann immer wieder an den Rand des Burnouts gekommen sind. Manche darüber hinaus. Ich, nein wir, wollten nie ein Familienleben, zu dem ständige Überforderung gehört. Ein sicheres, geborgenes Zuhause, in dem wir auch unsere eigenen Werte an unsere Kinder weitergeben, ist uns enorm wichtig. Ich weiss, wir sind privilegiert. Finanziell haben wir keinen Druck, zwei Verdienste sind nicht unbedingt notwendig. Mir ist es aber wichtig, dass ich dieses Privileg auch für andere nutze. Ich arbeite beispielsweise ehrenamtlich für eine soziale Einrichtung, bringe abends eine Bekannte, die unter MS leidet, ins Bett und helfe häufig Bekannten mit meinem juristischen Wissen bei Verträgen, Konflikten oder der Steuer. Das klingt jetzt wie eine Rechtfertigung, nicht wahr? (lacht) Blöd, eigentlich. Das hat mir vor allem am Anfang meines Daheimbleibens enormen Druck gemacht: das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen. Diese Kommentare: «Reicht dir das denn intellektuell?», «Was machst du eigentlich den ganzen Tag?» «Macht dir das nichts aus, vom Geld deines Mannes zu leben?» Schlagfertige Antworten fallen mir immer zu spät ein. Etwa, dass es ja auch SEIN Haus ist, dass ich in Ordnung halte und SEINE Kinder und dass wir als Familie ein bisschen wie eine Firma sind und jeder managt einen anderen Bereich. Ich sage das aber nie, sondern habe mir einfach ein dickes Fell zugelegt. Trotzdem verletzt es mich, wenn jemand fragt: «Was machst du beruflich»? Und wenn ich dann antworte: «Ich bin zuhause mit meinen Kindern», erlischt schlagartig das Interesse.
Als ob mein Leben langweilig wäre oder ich daheim verdummen würde. Ich tue das nicht. Ich habe bei mir sogar völlig neue Potentiale entdeckt. Wäre ich nicht aus meinem Beruf ausgestiegen, hätte ich niemals mein Organisationstalent entdeckt, nie gemerkt, wie gerne ich mit meinen Händen arbeite und wie gut ich koordinieren kann. Wie das mit meiner Vorbildfunktion für Liora ist? Ich denke, ich bin für sie und auch für meine Jungen ein gutes Vorbild: Ich habe eine ausgezeichnete Ausbildung, ich arbeite fleissig, führe eine Partnerschaft auf Augenhöhe, lebe das Leben, das mich glücklich macht und engagiere mich für Menschen, denen es schlechter geht. Klingt doch vorbildlich, oder? (lacht) Bei der Erziehung meiner Kinder ist mir wichtig, dass sie sehen, dass man nichts umsonst bekommt und sich für seine Wünsche einsetzen muss.
Lea
Beispiel: Sie wollten Hühner. Also haben wir einen Businessplan für ihr «HühnerStart-up» erstellt: Was kostet ein Gehege? Wie viele Hennen brauchen wir? Welche? Wie sollen die Eierkartons aussehen? Wie soll der Name ihrer Hühnerfirma sein? Der steht schon mal fest: «Jolies», zusammengesetzt aus ihren Anfangsbuchstaben und gleichzeitig französisch für «hübsch». Im April kommen die Hennen und vom Eierverkauf können unsere Kinder dann uns Eltern den gewährten Huhn-Kredit zurückzahlen. Die drei sind völlig begeistert. Apropos harte Arbeit: diese Tradwives im Netz vermitteln ein verzerrtes Bild der Stay-at-home-Mom. Sie haben in Wirklichkeit richtige Influencerinnen-Firmen und einträgliche Geschäftsbeziehungen, sie arbeiten mit ihren Kooperationen ja für Geld und nicht als unbezahlte Hausfrau. Da darf man nicht blauäugig sein. Blauäugig sind mein Mann und ich ohnehin nicht. Selbstverständlich haben wir uns zusammen an den Tisch gesetzt, unsere Finanzen und meine Altersversorgung durchgeplant und abgesichert. Mit Verträgen und nüchternen, vernünftigen Regelungen kennen wir uns als Juristen ja gut aus.

Eine Form von Freiheit
Soziologin Katja Rost erklärt, warum der Hype um traditionelle Hausfrauen auf einer cleveren Strategie beruhen könnte.
Interiew Caren Battaglia
Ihr elfjähriger Sohn sitzt im Hintergrund und spielt am Tablet. Ferienzeit. Welche Mutter, die keine Tradwife ist, kennts nicht?
Katja Rost: Ich setze ihn gleich in den Zug nach Innsbruck, da haben wir unseren Familienwohnsitz. Ich habe hier noch jede Menge zu erledigen, so kurz vor Semesterstart.
Working-Mom-Stress. Damit sind wir beim Thema: Im Netz boomt das Phänomen der Tradwives, Frauen, die genau das nicht wollen und sich in die Rolle der Hausfrau zurückziehen. Wie erklären Sie sich diesen Trend?
Dafür gibt es zwei Erklärungen. Erstens: Jeder Trend erzeugt einen Gegentrend. Unsere Generation dachte, wir machen es besser als unsere eigenen Mütter, hat sich das Berufsleben erkämpft und ist stolz darauf, alles zu schaffen: Job und Mutterschaft. Na, jetzt hat sich halt ein Gegentrend entwickelt. Übrigens, so die ökonomischen Theorien, ist sozialer Status ein «Positionsgut» und somit nur mit einem raren Gut zu erlangen. Wenn alle Mütter arbeiten, erlangt man Status durch ein seltenes Gegenprodukt. In diesem Fall: Hausfrau oder Tradwife. Ökonomisch gesehen ist das clever von den Tradwife-Influencerinnen.
Und der zweite Grund?
Die Emanzipation ist eine unfertige Revolution. Natürlich können Frauen und Mütter heute arbeiten und sie sind beruflich und ausbildungstechnisch auch oft erfolgreicher als Männer. Im privaten Bereich jedoch sind die alten Geschlechternormen zu einem grossen Teil bestehen geblieben. Also die Erwartungen an sich selbst als Mutter, die individuellen Präferenzen, die Erwartungen der Gesellschaft, die Vorstellungen davon, was eine attraktive Frau ausmacht. Das alles ist auf einem völlig anderen Stand.
Sie sagen nicht: auf einem veralteten oder unmodernen Stand.
Ich werte erst mal gar nicht, sondern beschreibe. Denn es ist doch so: Frauen versuchen noch immer die Quadratur des Kreises. Viele leiden unter der Doppelbelastung, kommen ständig ins Rotieren durch die Erwartung «ich muss eine Karriere haben und ich muss eine gute Mutter und eine attraktive Frau sein». Manche denken jetzt halt: «Sollen sich andere doch abquälen, ich mach da nicht mehr mit.» Das ist doch positiv.
Der Rückzug ins Haus ist positiv? Von einem Mann abhängig zu sein, ist positiv?
Das habe ich nicht gesagt. Ich habe gesagt, es ist positiv, dass mal klar thematisiert wird, dass diese erwähnte Quadratur des Kreises, dieses Leben auf der Überholspur, wahnsinnig schwierig ist. Ich glaube, selbst mein Mann fände es – zumindest hypothetisch – oft einfacher, wenn ich daheim bliebe, aber mir liegt das nicht (lacht). Grundsätzlich finde ich es emanzipiert, wenn man das Lebensmodell wählen kann, das einem gefällt. Da sollte eine Gesellschaft, die sich als liberal versteht, tolerant sein. Bei dem ganzen Thema geht es mir viel zu viel um Ideologie. Das sollten wir doch endlich mal abhaken. Denn deine Norm ist halt nicht unbedingt meine Norm. Wählen zu können – das ist eine Form von Freiheit.
Ja, aber was ist mit der Abhängigkeit?
Ich sage jetzt provokant: Eine Frau muss auch das Recht haben, sich abhängig zu machen. Ob man das mit allen Konsequenzen will – das muss man selbst entscheiden.
Und wie wirken die gestylten, backenden Tradwives auf die junge Generation? Sorgt das nicht für einen Backlash, für Retraditionalisierung, rechte Leitbilder?
Ach, das Wort rechts würde ich in diesem Kontext lieber im Schrank lassen. Wertkonservativ, das vielleicht ja. Aber man muss ganz klar sagen, ein paar Videos wirken auf junge Menschen und deren Geschlechtsrollenverständnis mit Sicherheit weniger stark als der Rest der Gesellschaft, der sie jeden Tag umgibt. Jeder Besuch im Supermarkt hat da Einfluss: Da gibt es ja sogar eigene Wasserflaschen und Kinderüberraschungseier für Jungen und für Mädchen.
Ist bei Ihren Student:innen zu spüren, was die für Lebensmodelle haben?
Höchst unterschiedliche. Aber was ich spüre, ist, dass sich die junge Generation oft überfordert fühlt. Sie erleben eine enorm schnelle Welt. Dies führt zur Verunsicherung. Sie suchen nach Einfachheit, nach Entschleunigung, nach Gemeinschaft und haben ein sehr grosses Bedürfnis nach Harmonie.
Gäbe es durch «Tradwives» mehr Harmonie im Familienleben? Wäre für Kinder die Hausfrau besser?
Ich bin keine Psychologin oder Pädagogin. (Wendet sich an ihren Sohn): Fändest du es gut, wenn ich Hausfrau wäre? Er: Nö. Rost (lacht): Gut. Für mich persönlich wäre das auch nichts.