Väter tendieren dazu, die eigene Kindheit zu verklären. Unser Kolumnist
Georg Gindely möchte deshalb, dass sein Sohn die Pfadi auch toll findet.
Mein Sohn verschwindet bei der Besammlung fast hinter seinem riesigen Rucksack – er geht zum ersten Mal ins Pfadi-Sommerlager. Und ich bin stolz auf ihn. Am liebsten würde ich mitfahren.
Früher war ich selber Pfadfinder, einige der besten Momente meiner Kindheit erlebte ich in Spatz-Zelten, auf zweitägigen Wanderungen und am Lagerfeuer. Ich hatte mir zwar geschworen, meinen Sohn seinen eigenen Weg gehen zu lassen. Er sollte nicht meine Wünsche und Träume erfüllen müssen. Bei der Pfadi aber machte ich eine Ausnahme. Und als in der Nähe unseres Wohnortes eine Schnupperübung stattfand, schickte ich ihn mit einigen seiner Freunde hin.
Viel passierte nicht an diesem Nachmittag. Höhepunkt war eine mit WC-Papier umwickelte Mumie, die durch den Zürcher Irchelpark torkelte. Die Buben waren mässig begeistert.
Dennoch konnte ich meinen Sohn dazu überreden, einige Samstage später an eine richtige Übung zu gehen. Bald läutete mein Handy. Der Sohn wollte heim. Und nie mehr in die Pfadi.
Nach einem Wohnortswechsel aber hat sich die Situation wieder geändert: Die neuen Freunde sind alle in der Pfadi. Kein Wunder ging er auch bald mit. Nun hatte er Spass an den Übungen. Bis zum Pfingstlager. Da haben er und seine Freunde zum ersten Mal in ihrem Leben die Nacht durchgemacht. Als ich beim Abtreten davon erfuhr, war ich stolz auf meinen Sohn. Bis ich merkte, dass die Kinder nicht aus Spass wach geblieben waren. Einer ihrer Kollegen war eingeschlafen, und sofort haben ihn die Grossen «geschnäuzelt»: Sie haben ihm mit wasserfestem Filzstift das Gesicht vermalt. Mein Sohn und seine Freunde hatten Angst, dass es ihnen gleich ergehen würde. Und der Sohn hatte Heimweh, auch wenn die Gruppe unweit des eigenen Pfadiheims zeltete.
Dennoch wollte er ins Sommerlager gehen. Vielleicht habe ich ihn auch etwas dazu überredet. So stehen wir nun also da, er mit seinem grossen Rucksack, meine Frau, seine Schwester und ich daneben, jeder in einer anderen Stimmung: die Mutter besorgt, die Schwester traurig, ich voller Vorfreude. Kurz vor der Abreise hat der Sohn eine grössere Krise und will nicht mitfahren. Dennoch überwindet er sich.
Am nächsten Mittag läutet das Telefon. Der Sohn habe starkes Heimweh, sagt der Leiter. Ich weiss aus eigener Erfahrung, dass es so einiges braucht, bis ein Leiter die Eltern anruft. Ich bin durcheinander, meine Frau sowieso. Dennoch warten wir ab. Der Sohn braucht vielleicht etwas Zeit. Am Dienstag ruft der Leiter wieder an. Die Situation hat sich nicht verbessert. Wir Eltern wissen nicht, was tun. Vor allem ich weiss es nicht. Ich hatte so klare Vorstellungen, wie es sein wird für ihn in der Pfadi. Heimweh gehörte nicht ins Programm. Was nun? Ist es besser für unseren Sohn, zu bleiben und zu lernen, Heimweh auszuhalten? Oder schadet ihm das? Wir sprechen mit den Leitern, die uns gut beraten und völlig unaufgeregt sind, und ich spreche mit dem Sohn. Wir beschliessen, ihn am Mittwochabend abzuholen.
Als er daheim ist, erzählt er zu unserem Erstaunen begeistert von all den Abenteuern, die er im Lager erlebt hatte. Traumatisiert scheint er nicht zu sein. Er hatte einfach Heimweh. Er ist auch erst 9. Vielleicht braucht er einfach Zeit. Oder vielleicht ist die Pfadi nichts für ihn. Vielleicht aber sollte ich mich einfach an meinen Schwur halten: Meinen Kindern nicht die eigenen Träume und Wünsche aufzubürden.
Georg Gindely
Georg Gindely (40) ist Chefredaktor des neuen Magazins «Grosseltern».
Er ist verheiratet und lebt mit Frau, Sohn (9) und Tochter (6) in Baden.