
Jill Enders
Wissen über Ausscheidungen
Kot, Kacki, Stinker: Reden wir über den Darm
Über Ausscheidungen spricht man nicht. Ausnahme von der Regel: Eltern. Das ist befremdlich, ja, aber sinnvoll auch. Denn – entscheidend ist, was hinten rauskommt.
Dies hier wird ein Scheiss-Artikel, und das ist gut so. Sorry, vornehmer geht es für diesmal nicht. Denn im Mittelpunkt steht – nun ja – Kot. «Igitt, muss das wirklich sein?», werden feinstoffliche Gemüter nun fragen. Doch die Antwort kann nur knallhart lauten: Es muss.
Weil kaum etwas wichtiger ist fürs Leben, der Darminhalt Gesundheit, Denken und Fühlen bestimmt, im Bauch ein «zweites Gehirn» steckt, ganze Kulturen sich parallel zum Umgang mit ihren Ausscheidungen entwickeln, manche Tiere Klötzchen kacken, Stuhl-Transplantationen Leben retten. Und weil junge Eltern täglich interpretierend in Windeln starren. Zu viel? Zu wenig? Zu dünn? Zu dick? Zu gelb? Zu schwarz? Madame Etoile mit ihrer Sterndeuterei hat einen easy Job dagegen.
Welches Wort benutzen für Ausscheidungen?
Kurz – Kot ist eine Wissenschaft für sich. Und zwar eine komplizierte gleich vom Start weg. Denn: Am Anfang war das Wort. Kacki vielleicht. Oder doch eher Poopy? Aa? Stuhl? Gross? Stinkerl? Wahlweise schnörkellos rustikal: Haufen? Tja, wie nennen wir dieses Stoffwechselprodukt aus Wasser, Mikroorganismen, unverdauten Speiseresten, Gallenfarbstoff und Faulgasen?
Welche Bezeichnung wählen wir unseren Kindern gegenüber für den Brei im Darm, im grössten Immunorgan des Körpers, in dem über 70 Prozent aller Abwehrzellen wohnen und die 39 Billionen Bakterien in Schach halten, die uns bewohnen?
Darüber können Eltern lange und trefflich streiten. Das eine Wort ist zu medizinisch, das andere zu vulgär, eins zu albern und eins überall ausserhalb der eigenen vier Wände komplett unverständlich. Aus gegebenem Anlass sei hier ein intimes Detail aus der Kindheit der Autorin ausgeplaudert: «Häuer» hiess das grosse Geschäft nämlich bei uns in der Familie. Kapiert kein Mensch. Kapierte auch nie einer. Mit Sicherheit niemand ausserhalb des Ruhrgebiets – und selbst da kaum jemand.
«Häuer» oder «Hauer» sind nämlich Bergleute, und die wiederum aufgrund ihrer Arbeit im Kohleflöz meist von schmutzig braunschwarzer Erscheinung… Der Liebe meiner Mutter zu bildhafter Sprache ist also so manch verzweifelter Wutanfall von uns Kindern geschuldet, war es doch jenseits der Kernfamilie unmöglich, anderen Leuten das Bestehen eines höchst elementaren Bedürfnisses klar zu machen.
Nun, seis drum. Mediziner jedenfalls sprechen von «Fäzes». Für alle anderen gilt: Verständlichkeit geht vor Kreativität!
Pro Jahr 100 Kilogramm Stuhl
Und wo wir gerade so schön beim Thema Exkremente sind.
Etwa 200 Gramm Stuhl produziert jeder Mensch pro Toiletten-Sitzung. Vegetarier bringen es – wegen der Ballaststoffe aus Obst, Gemüse und Getreide – auf 300 bis 400 Gramm, macht pro Jahr round about 100 Kilogramm, referiert der Kulturwissenschaftler Florian Werner in seinem Buch «Dunkle Materie».
50 000 Liter Flüssigkeit und über 30 Tonnen Nahrung wandern im Laufe eines rund 75-jährigen Lebens durch den etwa acht Meter langen Darm eines Erwachsenen. Und würde man ihn platt ausfalten, mitsamt all seinen Zotten und Falten, käme er auf 400 Quadratmeter. Das entspricht ungefähr 100 Tischtennisplatten.
Kein Wunder, dass dieses riesige Organ an Wichtigkeit kaum zu übertreffen ist. Gar nicht zu übertreffen ist, behaupten manche Forscher sogar. «Das Herz ist dagegen eine primitive Pumpe», schwärmt beispielsweise Michael Gershon, Neurowissenschaftler und Zellbiologe an der Columbia Universität im Interview mit der Zeitschrift «Geo».
Der Darm als «Bauchhirn»
Das Gehirn, bislang als König des Körpers angesehen, scheint Konkurrenz zu bekommen. Denn seit den Studien der britischen Mediziner William Bayliss und Ernest Starling an einem wirklich armen Hund weiss man: Der Darm arbeitet sogar unabhängig von der Schaltzentrale im Kopf weiter. Als autarkes System mit 100 Millionen Nervenzellen erzeugt das «Bauchhirn» über 40 Nervenbotenstoffe, darunter Serotonin und Dopamin, jene rätselhaften Substanzen, die für gute Laune verantwortlich gemacht werden.
Es könnte daher durchaus sein, dass emotionale Hochs und Tiefs nicht in Kopf und Herz ihren Ursprung haben, sondern im unappetitlichsten Teil unseres Körpers. Noch forschen Wissenschaftler daran, ob möglicherweise die Darmflora und das Prosaische, was sich so in uns sammelt, bei der Behandlung etwa von Depressionen, Angstzuständen und kindlichem Autismus, mehr in den Fokus rücken müssten, als das bisher der Fall ist.

Fest steht: Vertauschte man bei zwei Rattengruppen von unterschiedlichem Naturell und Temperament den Inhalt ihrer Därme – ist in der Zeitschrift «Molecular Psychiatry» (2019) zu lesen – änderte sich deren Charakter. Aus ständig rennenden nervösen Nagern wurden urplötzlich gechillte, buddhistisch ruhige Ratten. Aus den ehemals tief entspannten Viechern, nagende Nervenbündel.
Finger weg vom Klistier
Nicht zur Gemüts-Änderung, vielmehr zu Heilungszwecken wird auch bei Menschen inzwischen Darminhalt transplantiert. Denn ist das Mikrobiom, also die Zusammensetzung der Bakterien im Darm, fundamental gestört, entstehen zahllose Krankheiten wie etwa Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, möglicherweise auch Diabetes. Einer der Gründe, weshalb Antibiotika nicht leichtfertig gegeben werden sollten, zerstören diese hilfreichen Medikamente doch nicht nur böse Bakterien, sondern flammenwerfermässig die guten gleich mit.
Trotzdem gilt – tolle Stuhlbanken hin, medizinische Stuhltransplantationen her – Finger und Klistier weg von im Internet kursierenden Do-it-Yourself-Anleitungen! Mögen sie auch über 100 000 Mal auf YouTube angeklickt worden sein. Wer partout kreativ werden möchte, greift da doch besser auf Bewährtes wie Aquarellieren, Kratzbilder oder selbst gebackenes Bananenbrot zurück.
Darmflora ist mit drei Jahren ausgebildet
Mit drei Jahren ist bei Kindern die Darmflora vollständig ausgebildet. Vorher siedelt sich dies und das im Bauch an, wird jenes Bakterium vom Körper als für die Verdauung hilfreich erachtet, ein anderes verworfen. Daran könnte liegen, dass Europäer nach übermässigem Sushi-Genuss zuweilen mit Verstopfung zu kämpfen haben, Japaner dagegen nicht. Ihr Darm hat – anders als das gängige europäische Modell – schon in jungen Jahren gelernt: Mikroben, die Algenblätter aufspalten, sind nützlich.
Babys Erstausstattung mit hilfreichen Bakterien besteht hauptsächlich aus Mamas Vaginal- und Darmflora, frisch mitgegeben beim Weg durch den Geburtskanal. Bei Kaiserschnittkindern siehts ein bisschen anders aus. Ihre Basics sind nicht zwingend mütterliche.
Sie müssen, schreibt Giulia Enders in ihrem Bestseller «Darm mit Charme», ihre Mikroorganismen-Zusammensetzung «irgendwie zusammenklauben, denn sie ergibt sich nicht zwingend aus den Keimen der Mutter. Es kann auch gerne mal ein bisschen rechter Daumen von Krankenschwester Susi sein, ein bisschen vom Blumengeschäft-Mitarbeiter, der Papa den Strauss in die Hand gedrückt hat, oder ein bisschen von Opas Hund».
Schnitt-Kinder brauchen daher länger bis sie eine genauso funktionstüchtige Darmflora wie normal entbundene Kinder entwickelt haben. Spätestens nach sieben Jahren, haben es aber auch sie geschafft.

Jill Enders
Unterhaltsam geschriebenes Sachbuch: G. Enders: «Darm mit Charme. Alles über ein unterschätztes Organ», Ullstein, Fr. 23.30
Bezaubernder Bilderbuch-Klassiker:W. Holzwarth: «Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat», Peter Hammer Verlag, Fr. 14.90
Unser Körper als Kackwurstfabrik auf zwei Beinen: charmant illustriertes Bilderbuch: M.Baseler/A. van den Brink: «Die Kackwurstfabrik», Klett Kinderbuch, Fr. 24.90
Der erste Kot eines Babys heisst übrigens Mekonium oder «Kindspech», sieht, wie der Name schon sagt, aus wie Pech, enthält abgestorbenes Gewebe, Galle, sowie diverses Zeug, das der Embryo mit dem Fruchtwasser getrunken hat, und wird von Jungeltern noch mit grossem Hallo willkommen geheissen.
Dieser Zustand der Euphorie hält etwa bis Windel 1000 von rund 5000 bis zum Sauber-Werden an und ist für absolut keinen (!) jenseits der Verwandtschaft ersten Grades nachvollziehbar. Das sei mit Nachdruck all jenen enthusiastischen Jung-Müttern und -Vätern gesagt, die das Thema Windelinhalt ungefragt und anschaulich bei Essens-Einladungen und Cocktail-Partys erläutern.
Doch Eltern wird der Einstieg in das neue Wissensgebiet «Fäkalien, ihre Erscheinungsformen und deren Auswirkungen auf die kindliche und elterliche Psyche» eben auch leicht gemacht. Babys Still-Stuhl ist im besten Fall nämlich meist gelblich-senfig, weich und riecht – nicht toll, aber okay.
Das ändert sich fundamental mit der ersten festen Nahrung. Von jetzt an werden Nase und Liebe zum Baby auf eine harte Probe gestellt und olfaktorische Extremsituationen Alltag. Es muss einen ja nicht gleich so hart angehen wie «Scham 1982», die auf urbia.de schreibt: «Ich ekle mich extrem vorm Windelwechseln… Beim ersten Mal hab ich ungelogen zwei Stunden gebraucht, weil ich mich immer übergeben musste.» Aber dennoch: Ein gut schliessender Windeleimer ist eine lohnende Investition in die Lebensqualität aller Mitbewohner des Haushalts.
Kinder sind besessen von ihren Häufchen
Zum Glück reduziert sich die Verklappungstendenz eines Säuglings von zuweilen pro-Mahlzeit-ein Häufchen auf drei pro Tag oder auch nur drei pro Woche. Zwischen drei und fünf Jahren sind über 90 Prozent mit dem Thema Windel durch und Eltern bis dahin auch mit den Nerven. Sind doch besonders Zwei- bis Vierjährige, man kann es nicht anders sagen, sonderbar besessen von ihren Häufchen.
Wenn man sie nur liesse, täten sie vermutlich ganz ähnliches wie die Wombats, die mit ihren eckigen Kotklumpen Türmchen bauen. Mindestens aber wären sie vehemente Befürworter von Klo-Gruppen-Events wie sie bei den Römern gang und gäbe waren. Jedenfalls ist es beinahe unmöglich, ein Dreijähriges aus der Toilette zu drängen, wenn man selbst da gern ungestört wäre, und nicht umsonst hat das Bilderbuch «Vom kleinen Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm auf den Kopf gemacht hat» eine Auflage von mehr als drei Millionen.
Auch theoretisch interessiert sie das Zeug: Wo kommt es her? Wo geht es hin? Philosophische Gedankengänge, die nur zu toppen sind von elterlichen: Ist das hier schon Durchfall? Wie kommt die Bügelperle da rein? Gott, wie nennt man diese Farbe da in der Windel und darf das? Nein? Hilfe, was tun?
Bleiben noch Fragen, die eine Erhebung der Firma Pampers aufwirft, wonach nur jeder zweite Vater regelmässig wickelt. Leben die anderen per Zeitmaschine in den 50er-Jahren? Haben sie selbstreinigende Babys oder eine Partnerin, die den Job ganz allein übernimmt? Denn das wäre wirklich Scheisse.
Caren Battaglia hat Germanistik, Pädagogik und Publizistik studiert. Und genau das interessiert sie bis heute: Literatur, Geschichten, wie Menschen und Gesellschaften funktionieren – und wie man am besten davon erzählt. Für «wir eltern» schreibt sie über Partnerschaft und Patchwork, Bildung, Bindung, Erziehung, Erziehungsversuche und alles andere, was mit Familie zu tun hat. Mit ihrer eigenen lebt sie in der Nähe von Zürich.