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Interview
Samichlaus: «Es gibt nicht nur einen Chlaus»
Ein Gespräch mit dem Samichlaus (im Nebenberuf Markus Vetterli (66) aus Zürich) über Esel, Fitzen, iPads – und Momente voller Zauber.
wir eltern: Lieber Samichlaus, eine Frage treibt mich seit Kindertagen um: Wie kann der Samichlaus überall auf der Welt zur gleichen Zeit sein? Oder sind etwa Anfang Dezember diverse Betrüger unterwegs?
Samichlaus: Oh, nein. Ein Samichlaus ist lieb und gütig und vor allem aufrichtig und ehrlich! Deshalb gibt es nicht nur einen Samichlaus, sondern wir Chläuse sind alle Helfer und Stellvertreter des Bischofs von Myra. Myra liegt übrigens in der heutigen Türkei und der dortige Bischof war ein sehr reicher Mann, der den Armen und den Kindern Geschenke gemacht hat. Wir sind also HELFER. Nicht die Person. Anlügen darf man Kinder nicht.
Nicht mal ein bisschen flunkern? Keinerlei Magie?
Keine Magie, aber der Zauber des Geheimnisvollen ist im Leben wichtig. Das sind keine Lügen. Man darf dem SamichlausAbend diese ganz besondere Atmosphäre nicht nehmen.
Dazu gehören auch das schwarze und das goldene Buch, in die die Sünden und guten Taten eingetragen werden.
Bei uns gibt es nur ein einziges Buch: das goldene. Da schreibt der Samichlaus das Gute rein und auch das, was noch zu verbessern wäre. Schwarze Bücher und Fitzen gehören der Vergangenheit an.
Und was ist mit der Drohung «…und dann steckt der Schmutzli dich in den Sack»?
Gestrichen. Gibt es nicht mehr. Zum Glück. In meiner Kindheit war diese Drohung allerdings noch gang und gäbe. Deshalb habe ich schon als Kind beschlossen: Wenn ich gross bin, werde ich Samichlaus. Aber ein lieber.
Also geht auch der Nikolaus mit der Zeit? In Sneakern, mit iPad und Auto?
Keine Sneaker! Der Nikolaus trägt schwere schwarze Stiefel. Er wohnt ja im Wald. Und selbstverständlich kommen Samichlaus und Schmutzli mit dem Esel. Aber der bleibt oft am Waldrand stehen, weil es in der Stadt stinkt und zu viele Autos unterwegs sind. Das iPad benutzt der Schmutzli, um Wünsche, Sünden und gute Taten zu notieren, die er dann nachher mit dem Samichlaus bespricht. Und der schreibt sie dann ins goldene Buch.
Esel, aha. Wie siehts aus mit Rentieren?
Im Norden gibt es Rentiere. Wir haben Esel. Wir setzen sozusagen auf regionale Produkte.
Der Weihnachtsmann hat aber Rentiere…
Mit dem wollen wir nichts zu tun haben!
Wie bitte? Ich dachte, man sei wenigstens verwandt?
Der Weihnachtsmann ist höchstens der weit entfernte, peinliche, grosskotzige Verwandte vom Samichlaus. Der Weihnachtsmann ist der, der in Kaufhäusern den Konsum fördert. Der Samichlaus fördert Freude und bringt vorweihnachtliche Stimmung in die Stuben.
Aber aussehen tun sie gleich…
Um Himmels Willen, nein! Da lege ich Wert drauf. Mit diesem ganzen Roten und Pelzigen und Bommelmützigen der Weihnachtsmänner will ich nichts zu tun haben. Ich trage eine echte Bischofstracht! Die kaufen wir in Rom. Würdig, erhaben. Nichts Billiges aus dem Kostümverleih!
Kommen Kinder überhaupt noch draus? Weihnachtsmann, Samichlaus, Christkind, Schmutzli, Engelchen … Da braucht man ja ein Organigramm.
Kinder kommen immer draus. Sie sehen, sie beobachten. Sie verstehen intuitiv den Sinn der Feste – und deren Personal.
Ich aber nicht. Wer ist der gruselige Schmutzli? Der Teufel?
Hilfe, nein! Der Schmutzli ist schlicht der Gehilfe des Samichlaus. Und er ist einfach so schmutzig, weil er im Wald Bäume fällt und unser Waldhaus in Ordnung hält. Ausserdem steht er für das Dunkle und Schwierige, das es in jedem Leben gibt und wofür es Hilfe und Verständnis braucht. Manchmal macht er auch die Wohnungen, die wir besuchen, ein bisschen dreckig. Denn seine Stiefel zieht er selbst auf eindringliche Bitten hin nicht aus. Auch nicht bei einer noch so auf Sauberkeit fixierten Familie. Da kann man dann gleich mal lernen, dass es Wichtigeres im Leben gibt als Ordnung und Sauberkeit.
Auch die Erwachsenen sollen durch den Samichlaus etwas lernen?
Und ob! Wenn wir in eine Familie kommen und der Vater guckt noch Fussball im Fernsehen, bitten wir ihn, den Fernseher abzustellen. Auch wenn Kinder uns erzählen, dass Mami und Papi ständig streiten, dann ermahnen wir die Eltern sanft. Taktvoll natürlich. Takt und Einfühlungsvermögen sind sehr wichtig. Eltern hätten in Sachen Takt allerdings auch manchmal Nachhilfe nötig.
Wie ist das gemeint?
Na, manchmal bekommen wir von den Eltern Sündenlisten eingereicht, auf denen steht, «der Hansli macht immer noch ins Bett» oder «das Vreneli nuckelt noch am Nuggi, obwohl sie schon so gross ist». Sowas Taktloses soll ich dann vorlesen! Das mach ich nicht. Der Samichlaus stellt keine Menschen bloss. Auch keine kleinen. Einmal hat mir ein Vater sogar den Nuggi seines Sohnes mitgeben wollen und der Junge hat bitterlich geweint. Grausam, oder? Aber da macht der Samichlaus nicht mit. Er ist gütig, nicht grausam.
Und wenn das Kind den Nuggi freiwillig hergibt?
Das ist okay. Und wir verwahren ihn, falls das Kind es sich nochmals anders überlegt. Wir behalten alles, was die Kinder uns geben.
Was sind denn die Top-Sünden?
Das Alltägliche ist: bummelt auf dem Nachhauseweg vom Chindsgi, streitet mit den Geschwistern oder räumt das Zimmer nicht auf. Einmal hat ein Kind gesagt «Samichlaus, ich hab ein Zimmer, das willst du gar nicht sehen, so unordentlich ist das.» Wir lachen dann. Der Samichlaus lacht gern. Er ist ein Mensch und menschlich. Meine Lieblingssünde haben übrigens vor ein paar Jahren einige 12- bis und 14-jährige Buben begangen. Sie haben mit einem Dia-Projektor Heiligenbilder auf eine Hauswand projiziert. Die Frau gegenüber ist am nächsten Tag in die Kirche gelaufen und hat gesagt, sie hätte eine Marienerscheinung gehabt. Ich hab mich kaputtgelacht.
Sind dem Samichlaus schon peinliche Fehler passiert?
Ja, sicher. Wir alle sind Menschen. Zum Beispiel frage ich manchmal bei einem Familienbesuch: «Und wo ist der Papi?», könnte ja sein, dass der Vater arbeitet. Aber wenn ich dann höre: «Der Papi ist mit einer anderen Frau durchgebrannt», dann ist das schon peinlich.
Noch nie ein Bart abgefallen?
Ein Mädchen wollte mal wissen, ob unsere Bärte echt sind. Zum Glück hat sie zum Test nur an Schmutzlis Bart gezogen, seiner war angewachsen…
Stecken Samichlaus & Co nach wie vor Schoggi in die Chlaussäckchen, oder muss es inzwischen vegan oder zucker- und laktosefrei sein?
Ins Chlaussäckli kommen seit alters her zu den Mandarinli und Nüssli auch Lebkuchen und Schoggi. Es gibt Zeiten, da ist Genuss mal wichtiger als die Gesundheit. Die Adventszeit ist so eine Zeit.
Und was steht über den Samichlaus selbst im goldenen Buch?
Aufgabe fürs kommende Jahr: Nachwuchs rekrutieren. Es ist so schwer junge Nikoläuse zu finden.
Vermutlich weil der in der Vorweihnachtszeit unentgeltlich bis 23 Uhr arbeiten muss.
Vielleicht. Und ein Samichlaus braucht viele Kompetenzen, die nicht jeder hat: schauspielerisches Talent, Einfühlungsvermögen, Kinderliebe, Geduld, Zuhören können und eine schöne Sprache. Ein Slang wie auf dem Fussballplatz geht gar nicht.
Und Frauen gehen wohl auch gar nicht. Gendergerecht ist der Samichlaus-Job nicht.
Stimmt wahrscheinlich. Vor Jahren haben wir begonnen, als Schmutzli auch Frauen zu nehmen, aber die Kinder bemerken das. Immer.
Keine Quoten-Engelchen?
Wir sind überkonfessionell. Wir halten die Religion – soweit das bei einem Bischof möglich ist – raus. Wir besuchen Katholiken, Protestanten, Muslime … Engel wären ein bisschen zu religiös.
Eselchen, Glöcklein, Bücher mit guten Taten. Hat sich in einer durchtechnisierten Welt der Samichlaus nicht ein bisschen überlebt?
Überlebt? Der Samichlaus? Niemals! Wenn Familien im Dezember an einer Waldhütte stehen, die Bäume sind verschneit, es ist dunkel, plötzlich bimmelt in der Ferne ein Glöcklein, das Licht einer Laterne schimmert, und dann erscheinen da zwei Gestalten. Der besondere Zauber solcher Momente ist ewig. Da geht nichts drüber. Das ist Advent, die wunderbare Zeit der Vorfreude…
…auf Weihnachten
Das schönste Fest des Jahres. Frohe Weihachten!!!!