Ausflüge
Schaurig gruslige Orte
Von Caren Battaglia
Im November lässt es sich so richtig schön gruseln. Wir haben Orte aufgespürt, an denen Geister spuken oder Sonderbares geschehen ist.
Die Schweiz ist schaurig schön. Denn Orte, an denen es sich wunderbar gruseln lässt, gibt es reichlich. Und da Menschen nun mal so was haben wie «Angstlust», die Freude an Nervenkitzel, leichtem Horror und Schaudern, haben wir ein paar schauderhafte Ausflugsziele für nervenstarke Familien ausgesucht.
Val Sinestra
Einsam liegt das Gemäuer da. Hoch oben an den Fels geduckt, als zöge es fröstelnd die Schultern hoch. Erster Schnee weht an die grauen Mauern. Nur ab und an durchbricht kaltes Mondlicht die Wolken. Aus den oberen Fenstern fällt ein bleicher Schein, doch die unteren Etagen liegen dunkel. Tot. Da ist nichts. Oder doch – da ist etwas...
«Herman», nennt Adrienne Hanegraaf Kruit, die Chefin des Hotels «Val Sinestra», fröhlich den Geist, der dort sein Unwesen treiben soll. Korrekter müsste er allerdings Jerome oder Guillaume heissen. Denn wer da herumgeistert, soll ein belgischer Soldat des Ersten Weltkriegs sein, der im ehemaligen Sanatorium Val Sinestra seine Lungentuberkulose auskurieren sollte. Erfolglos offenbar. Jetzt geht er um im Hotel. Lässt geschlossene Fenster aufspringen, Geschirr aus den Regalen fallen, Schlüssel verschwinden oder sorgt, wenn er so richtig in Stimmung ist, für ein grausiges Grollen. Ein Grollen und Rumpeln, das schon Peter Kruit, der 1978 das verlassene Gebäude kaufte, bei seinem ersten Besuch Reissaus nehmen liess. Im sechs Kilometer entfernten Sent zu übernachten, schien ihm angenehmer. Seitdem zieht das Hotel sehr unterschiedliche Gäste an: kreuznormale, aber auch Ghostbusters, Gruselliebhaber:innen, Geisterfreund:innen aus der ganzen Welt. Thomas, ein ehemaliger Arzt, ist so einer. Jetzt, in diesen letzten nebelverhangenen Tagen des Herbstes, ist er wieder mal da. Ausgestattet mit «Ghostmeter» und «Rem-Pod», einem blauen Kästchen mit Antenne, das elektromagnetische Felder misst. «Unten in der Bäderetage, bei den ehemaligen Behandlungsräumen, spürt man die Gegenwart der ‹Entität› am ehesten», sagt Thomas. «Entität» ist ihm lieber als Geist oder Gespenst. Zu schnell denke man sonst an weisse Bettlaken und Hui Buh. Jetzt platziert er den Rem-Pod im menschenleeren Gang vor den Behandlungsräumen. Richtet aus, kalibriert. Dreht hier, horcht da. Fasst man das blaue Ding an, piepst es. Geht man vorbei, piepst es. Ist jedoch kein lebendes Wesen in der Nähe.
Dann aber wirds spannend. Still liegt der Gang. Kein Laut dringt durch die dicken Mauern. Nichts. Ruhe. Nicht mal ein Fliegensummen. «Der Rem-Pod meldet, wenn eine Entität vorbeigeht. Oder man Kontakt mit ihr aufnimmt. Mündlich oder geistig», weiss Thomas. Nichts. Grabesruhe. Aber: Lässt sich da nichts machen? Also nur mal angenommen, wenn jetzt eine Journalistin, im Spuk ungeübt und bislang von allen guten (und bösen) Geistern verlassen, mit der Entität spräche? Nur so zum Test. «Hallo, ist da wer? Bitte melde dich, Geist! Melde dich, Geistin!» Piiiiiiiieeep! Chrrrrschsch! Das Rem-Pod fiept und schrillt und knarzt und leuchtet! Hilfe! Reagiert die Entität auf «Geistin»? Ist Herman etwa eine Hermine? Aufregung. Leicht ängstliche Kontrolle im Gang. Aber: wieder Totenstille. Da ist niemand. Oder – ist nur niemand zu sehen? «Keine Energie auf dieser Welt geht je verloren. Sie wandelt sich nur», sagt Thomas. Und entlässt einen mit diesem naturwissenschaftlichen Gesetz und tausend Fragen in die dunkle, dunkle Nacht.
Wer Lust auf ein spooky Wochenende im Unterengadin hat, auf atemberaubende Landschaft und ein mysteriöses Hotel mit Geschichte und Geschichten, der ist im «Val Sinestra» genau richtig. Von Sent aus geht es sechs Kilometer einen steilen Schotterweg zum ehemaligen Sanatorium hinauf. Das Hotel ist liebevoll authentisch restauriert und atmet Atmosphäre. Doch Geister hin oder her – ansonsten ist es sehr bodenständig. Toilette und Dusche gibt es vielfach auf dem Gang. In den Wintermonaten warme Schlafanzüge nicht vergessen! Von den Fenstern her kommt ein eiskalter Hauch.
sinestra.ch. Preis für 1 Übernachtung im Doppelzimmer inklusive Halbpension Erwachsene: Fr. 110.–, Kinder 3–6 Jahre: Fr.40.–, bis 11 Jahre: Fr.60.–, Jugendliche bis19 Jahre Fr.95.–.
Linner Linde
Ein Baum ist nur ein Baum? Kann man so sehen, muss man aber nicht. Die Linner Linde mit ihrem Stammumfang von elf Metern ist nicht nur der mächtigste Baum des Kantons Aargau, sondern auch einer mit Geschichte. Angeblich, sagt die Legende, wurde sie Anfang des 17. Jahrhunderts vom allerletzten Pestüberlebenden des Dorfes Linn gestiftet. Stimmen kann die Geschichte zwar nicht, denn die Linde ist mehr als 500 Jahre alt, aber man darf nicht kleinlich sein. Zu hoffen gilt, dass die Linde noch lange dort steht, denn laut einer anderen schaurigen Geschichte geht die Welt unter, wenn die Linner Linde nicht einmal jährlich einen Schatten aufs Schloss Habsburg wirft.
linnaargau.ch. Liegt direkt am Dorfeingang von Linn auf der Anhöhe.
Henkermuseum Sissach
Zugegeben, hier sollte man wirklich nicht besonders zart besaitet sein. Für sein kleines Museum über drei Etagen hat Guido Varesi zusammengetragen, was einem das Blut in den Adern stocken lässt, weil es das Blut anderer Menschen hat fliessen lassen: Guillotinen, Garrotten, Galgen, Folterkäfige, Räder zum Rädern und Hexenstühle: ein Sammelsurium des Grauens. Doch so schrecklich ein Rundgang durchs Henkermuseum auch ist, es lässt sich eine Menge lernen: Wann, wo in der Schweiz überall hingerichtet wurde. Dass die Guillotine vergleichsweise «human» köpfte, weshalb sich das Volk in Paris beschwerte, weil die Hinrichtungen dadurch so langweilig geworden waren. Besucher:innen erfahren vom Schicksal der Hexen und dass mindestens so viele Männer wie Frauen Opfer der Hexenprozesse wurden. Und man erfährt, dass Henker ein wirklich unschöner Beruf war. Etwa durfte ein Henker nicht heiraten, wen er wollte, sondern nur die Tochter eines anderen Henkers. Ein schlaues, spannendes, schauriges Museum, in das man Kinder unter zehn Jahren jedoch besser nicht mitnimmt.
henkermuseum.ch. Geöffnet jeden 1. und 3. Sonntag des Monats, Eintritt: Erwachsene Fr. 10.–, Kinder bis 16 Jahre Fr.5.–.
Das verlassene Dorf
Ja, warum wurde Gonda verlassen? Weshalb stehen da, versteckt im Gestrüpp, nur noch Ruinen? Warum wollte niemand mehr in der Kapelle beten, die dem heiligen Bartholomäus gewidmet wurde? Der übrigens bei lebendigem Leibe gehäutet wurde. Warum? Weil er die vom Teufel besessene Tochter des Königs heilte, was dem Bruder des Königs so gar nicht passte. Deshalb liess er Bartholomäus die Haut abziehen. Kein schöner Gedanke, wenn man durch die Ruinen der Kapelle geht. Schön dagegen ist es, von Gonda nach Guarda zu spazieren, dort das Schellenursli-Museum zu besuchen und so wieder auf andere Gedanken zu kommen.
engadin.com. Gonda liegt nordwestlich von Lavin. Am besten bei Google Maps «Ruinas da Gonda» eingeben. Und dann: ab ins Gebüsch. Die Ruinen liegen versteckt am Hang
Neu-Bechburg
Gut, man kann nicht einfach so hin zum Besichtigen, sondern muss wohl auf die Homepage neubechburg.ch gehen und immer mal schauen, ob es Events oder das Beizli offen hat. Dann aber: hin. Denn in Neu-Bechburg soll der Geist des Ritters Kuoni spuken. Ein Raubritter, der von da aus seinem miesen Gewerbe nachging. Pech für ihn, dass er erstens die Beulenpest bekam und zweitens deshalb als Quarantänemassnahme auf seiner eigenen Burg im Turm eingemauert wurde. Essen und Trinken gabs durch einen Schlitz. Und da Kuoni schon zu Lebzeiten kein netter Mensch war, ist er das auch nach seinem Ableben nicht, sondern spukt im Gemäuer. Dem Schweizer Fernsehen, das vor ein paar Jahren den Geist Kuoni als Aberglauben entlarven wollte, soll er kurzerhand das technische Gerät lahmgelegt haben. Sagt man.
Schloss Wildegg
Schlösser sind stets ein bisschen mysteriös. Deshalb finden Kinder sie meist prima. Noch besser wirds, wenn man ein paar Geschichten im Gepäck hat. Und für die sorgt im Schloss Wildegg die Führung, die im Eintrittspreis inbegriffen ist. Leider ist das Schloss im Winter geschlossen. Doch das Grab von Gräfin Marie Louise Montléard im Wald vor Wildegg lässt sich auch so besuchen. Die Gräfin war nämlich vor der Französischen Revolution geflohen und lebte dort als Gast der Berner Familie Effinger. Der Ehemann der Gräfin soll allerdings ein rechter Filou gewesen sein. Und deshalb, so sagt man, hört, wer ganz, ganz leise ist, im Wald am Grab das Seufzen der unglücklichen Gräfin.
museumaargau.ch. Öffnungszeiten: Di.–So., Familienticket 2 Erwachsene mit bis zu 5 Kindern: Fr.35.–, Familienticket 1 Erwachsener mit bis zu 5 Kindern: Fr.25.– Das Schloss schliesst vom 3.November bis März. Wald und Grab sind natürlich immer zugänglich.
Hexenplatten von Ardez
Unspektakulärer gehts nicht. Nur ein Stück Felsen und darin ein paar kleine Kuhlen, basta. Horror-Action sieht anders aus. Aber wenn man gerade sowieso im Unterengadin und in der Nähe ist: warum nicht? Immerhin sind die Kalkplatten mit den Vertiefungen schon 4000 Jahre alt. Ob die Platte kultischen Zwecken dienten? Hier gezaubert wurde? Oder zauberhafte Energie an der Stelle spürbar wird? Das merkt nur, wer draufsteht, auf dem Hexenstein.
engadin.com. Bei Google Maps eingeben «Hexenplatten Ardez», 26 Minuten zu Fuss von Ardez Richtung Bos-Cha.