
Freizeit
Unterwegs mit Junior Rangers
Von Veronica Bonilla Gurzeler
Als Junior Ranger können schon Sechsjährige lernen, sich rücksichtsvoll in der Natur zu bewegen - ohne Eltern, aber mit einem richtigen Ranger und viel Spass.
Kleiner Check zu Beginn des gemeinsamen Nachmittags: Ranger Marco Lupi bleibt vor einer Informationstafel stehen und stellt kurz sicher, dass die Kindergruppe die Regeln kennt, die in diesem Naturschutzgebiet gelten: «Darf man die gelben Blumen hier pflücken?», fragt der 38-Jährige und zeigt auf das entsprechende Piktogramm. «Nein», antworten die Kinder im Chor. «Kann man das Brot, das man nicht fertig gegessen hat, den Enten füttern?» – «Nein!» – «Ein Feuer machen?» – «Nein!» – «Überhaupt nicht?» – «Nur an einer Bratstelle», ruft Yari (7).
«Ihr wisst ja megagut Bescheid», freut sich der Ranger. Die 6- bis 10-jährigen Buben und Mädchen sind bereits zum zweiten Mal als Junior Ranger unterwegs, heute aber das erste Mal mit Marco Lupi, der eben aus dem Vaterschaftsurlaub zurückkam. Noch ist man sich ein bisschen fremd. Doch beim Storchennest neben dem Naturzentrum stoppt der Ranger und erzählt, wie man früher glaubte, dass sich die Störche im Winter in Mäuse verwandeln und erst klar wurde, dass sie nach Afrika fliegen, als man vor 200 Jahren in Norddeutschland einen Storch mit einem afrikanischen Pfeil im Hals fand. Marco Lupi zeigt ein Bild vom Pfeilstorch, die Kinder staunen. «Wisst ihr, wie Störche schlafen?», fragt er jetzt. Schon balancieren die Kinder auf einem Bein, der gross gewachsene Mann ebenfalls, legen die Arme, also die Flügel, nach hinten. Kopf gesenkt und Augen geschlossen. «So stehen die Störche die ganze Nacht. Und schlafen!», sagt Marco Lupi. Wird ein bisschen wacklig, verliert das Gleichgewicht und verrät, dass Störche ein Gelenk haben, mit dem sie das hochgezogene Bein einhängen können. «Ahaaa!», rufen die Kinder und hüpfen fröhlich auf und ab; das Eis ist gebrochen.
Seit 2014 gibt es Ranger am Pfäffikersee
Das Gebiet rund um den Pfäffikersee im Zürcher Oberland steht seit 1948 unter Naturschutz. Dank seiner weitgehend natürlichen Seeufer, der angrenzenden Flachund Hochmoore ist es Lebensraum für unzählige Pflanzen und Tiere, darunter auch für viele stark bedrohte Arten. Gleichzeitig ist der Pfäffikersee mit seinem Schilfgürtel und dem traumhaften Blick auf die Alpen ein beliebtes Natur- und Erholungsgebiet für die Menschen. «Wasservögel, Zugvögel, Insekten, Pflanzen, Tiere und die Menschen – sie alle haben verschiedene Bedürfnisse», sagt Marco Lupi. «Doch weil der Platz beschränkt ist, geht ein Nebeneinander nur, wenn wir Menschen der Natur die Möglichkeit geben, sich ungestört zu entfalten.» Seit 2014 sind am Pfäffikersee im Auftrag des Kantons deshalb uniformierte Ranger*innen unterwegs. Ihre Aufgabe ist es, den Leuten beispielsweise zu erklären, weshalb sie sich aus Rücksicht auf Pflanzen und Tiere nicht abseits der gekennzeichneten Wege aufhalten sollen.
«In den meisten Fällen reagieren die Leute verständnisvoll», sagt Lupi. Der Umweltingenieur ist seit Anfang 2022 als Ranger am Pfäffikersee unterwegs. Nur ganz selten gebe es Konflikte, etwa wenn jemand darauf beharre, seine Wurst auf einem illegalen Feuer fertig zu braten. «Das muss man aushalten können – und freundlich bleiben», so Lupi. Wenn nötig, können Ranger auch Ordnungsbussen verteilen oder Anzeige erstatten.

Angebote für Junior Ranger in der ganzen Schweiz
Junior Ranger sind Kinder und Jugendliche, die mit einem ausgebildeten Ranger sein Gebiet erkunden und die Besonderheiten der Tier- und Pflanzenwelt kennenlernen. So werden sie sensibilisiert für den Wert und die Erhaltung der Natur. Es gibt verschiedene Programme für Junior Ranger: mehrstündige Entdeckertouren, FerienpassAngebote oder Junior-Ranger-Gruppen. Letztere treffen sich einmal pro Monat an einem schulfreien Nachmittag in festen, nach Alter aufgeteilten Kleingruppen.
➺ junior-ranger-schweiz.ch (verschiedene Angebote in der ganzen Schweiz)
Seit 2022 wird der Rangerdienst am Pfäffikersee vom gleichnamigen Naturzentrum organisiert, das 2019 am Nordufer des Sees eröffnet wurde. Wer mehr wissen will über die Pflanzen und Tiere im Gebiet, kann in der Ausstellung im Zentrum ihre Lebensräume entdecken; ein interaktives Relief hilft dabei. Draussen auf einem Steg, zeigt Marco Lupi gerade, wie Magnetfischen geht.
Für jedes Kind hat er an einem Stück Reepschnur einen Magnet befestigt und am anderen Ende eine Schlaufe gemacht. Die Kinder ziehen die Schlaufe übers Handgelenk und werfen den Magnet ins Wasser. Ziehen ihn über den Seeboden und hoffen, dass ein Stück Metall oder Blech «anbeisst». «Dert isch öppis», ruft Emilia (9), kneift ihre Augen zusammen und meint dann: «Ein Haargummi. Aber manche haben so ein Stück Metall dran.»
Voller Körpereinsatz
Der erste grössere Fund ist eine rostige Blechdose, die gleich mehrere Kinder entdeckt haben und für die es Teamwork und zwei Magnete braucht, um sie herauszuziehen. Jetzt ist das Jagdfieber geweckt. Verschlüsse von Getränkedosen werden gefunden, Nägel und ein Stück verdrehter Draht. Wenn nötig liegen die Junior Ranger bäuchlings auf dem Steg, geben vollen Körpereinsatz, sodass Marco mahnt, nicht ins Wasser zu fallen. Mit einem Blick auf die Uhr ruft er jetzt: «Zvieri-Zeit! Lasst uns weiter gehen!» Die Kinder protestieren, doch der Ranger verspricht, dass sie am Ende des Nachmittags nochmals Magnetfischen dürfen.

Warteliste für Ranger-Gruppen
Am Pfäffikersee gibt es Junior-RangerGruppen in verschiedenen Alterskategorien; sie treffen sich jeweils einmal im Monat. Die Gruppen sind so beliebt, dass es mittlerweile eine Warteliste gibt. Junior Ranger lernen nicht nur, Tieren und Pflanzen mit Respekt zu begegnen. Weil sie die Natur schützen, sammelt die Gruppe auf dem Weiterweg herumliegenden Müll auf; Marco Lupi hat dafür extra einen Sack dabei. Einiges ist zusammengekommen, als sie beim Zvieri-Platz ankommen: allerlei Metall aus dem See, Zigarettenstummel, Plastik und Papier.
Bevor es Popcorn vom Feuer gibt, lässt Lupi die Kinder raten, wie lange es dauert, bis die einzelnen Materialien in der Natur verrotten. Ein Zigistummel braucht zum Beispiel bis zu zehn Jahre. Fazit: «Ich empfehle euch, nichts auf den Boden zu werfen.» Yari meint: «In der Schule macht es nichts, da wird geputzt.» Marco entgegnet, wenn es winde, könne es sein, dass der Abfall im See lande, bevor ihn jemand einsammle. Jetzt mischt sich Louie (7) ein: «Meeresschildkröten halten ein Stück Plastik für eine Qualle und können sterben, wenn sie es schlucken.» Hm. Yari lenkt ein, er werde von nun an nichts mehr auf den Boden werfen.
Viel wird gelernt, gespielt und gelacht am heutigen Nachmittag. Ob es wirklich hilft, «Schoggicreme» zu sagen, wenn einem der Rauch ins Gesicht weht, kann nicht abschliessend geklärt werden. «Nur wenn man dran glaubt», versichert Marco. Auf dem Rückweg ist die Stimmung fröhlich und entspannt. Ein paar Mädchen lassen ihre Magnetfischerruten fliegen wie Vögel. Beim Naturzentrum warten die Eltern bereits auf die kleinen und den grossen Ranger. Zum Glück haben die meisten noch ein bisschen Zeit, denn die Kinder rennen direkt zum Steg – und fischen weiter.
