Vereinbarkeit
Wie teilt ihr Familienarbeit fair auf?
Von Nils Pickert
Du machst die eine Hälfte, ich die andere. Familienarbeit schön Halbe-Halbe. Geht das? Nein, sagt der vierfache Vater und Autor Nils Pickert. Und plädiert für Liebe statt sich in eine Milchbüechlirechnung zu verbeissen.
Wenn man wie ich von der Notwendigkeit einer gleichberechtigten Beziehung überzeugt ist, um sich als Paar in Liebe halten zu können, dann gibt es viele Bezeichnungen dafür, worum es eigentlich gehen soll. Tatsächlich liegen sie alle ein Stück weit daneben.
Denn 50/50 ist einfach nicht drin.
Gleiche Aufgabenverteilung gibt es nicht. Nur eine faire. Und das auch nur mit sehr viel Arbeit. Denn Menschen sind nun einmal auf der Basis von ein paar universellen Gemeinsamkeiten im Detail sehr verschieden. Sie haben andere Vorlieben, Fähigkeiten, Ansprüche und Bedürfnisse. Und sollten es doch einmal die gleichen sein, dann stimmt womöglich das Timing nicht oder die Intensität unterscheidet sich. Denn: Gleichheit und Gleichberechtigung ist nicht dasselbe. Gleichheit rechnet auf: Ich habe die letzten zehn Tage die Einschlafbegleitung gemacht, jetzt bist du dran. Du schuldest mir zehn Tage.
Das Prinzip der Gleichberechtigung basiert hingegen auf der Erkenntnis, dass man mit Aufrechnen nie wirklich in Gleichheit ankommt. Noch nicht einmal in Fairness. Denn was ist, wenn ich die zehn Tage Einschlafbegleitung abzugelten habe, aber beruflich Arbeitstermine anstehen, die nicht zu verschieben sind? Was ist, wenn ich krank werde? Was ist, wenn ich in diesen zehn Tagen 30 Minuten statt 15 vorlese und zwei Lieder singe? Wenn mich diese Arbeit mehr oder weniger Kraft kostet?
Wie sollen Paare Gleichheit in einem Leben herstellen, in dem sie sich individuell voneinander unterscheiden und systematisch mit verschiedenen Ansprüchen zu unterschiedlichen Zeitpunkten konfrontiert werden? Es ist schlicht und ergreifend nicht möglich.
Wohlwollen ist zentral
Gleichberechtigung heisst daher nicht Auge um Auge, Windel um Windel, sondern die Bedürfnisse des Herzensmenschen und die eigenen nicht aus dem Auge zu verlieren. Gleichberechtigung ist die Konsequenz aus der schieren Unmöglichkeit, sich vollständig zu synchronisieren. Gleichberechtigung heisst abwägen, aufwiegen und ausgleichen. Wenn deine Bedürfnisse genauso schwer wiegen wie meine, wie bekommen wir möglichst alles unter einen Hut. Das heisst übrigens nicht, dass eine Bilanzierung nicht sinnvoll sein kann. Ich zum Beispiel ziehe endlos meine Kreise durch das Haus. Tausche hier eine Glühbirne aus, wechsle da eine Gaspatrone. Ich koche, leime, installiere, flicke, repariere, und transportiere mich durch meine Vaterschaft. Ich lese und singe vor, ich schneide Nägel.
Verschiedene Aufgabenbereiche erleichtern vieles
All diese Dinge macht meine Lebenskomplizin weniger oder gar nicht. Trotzdem sind wir gleichberechtigt. Denn sie macht die Termine mit Kinderarzt und Zahnärztin, sie hat die Kleidergrössen aller Kinder im Kopf und sorgt dafür, dass pünktlich zum Herbst passende Regenklamotten an den Kleiderhaken hängen. Sie befüllt den Geschirrspüler, sie schreibt die Einkaufszettel, sie liest sich durch die endlosen Informationszettel, die die Kinder aus ihren Schulen heimbringen. Während sie dafür sorgt, dass uns die FFP2-Masken nicht ausgehen, habe ich mich um die Impfungen für die Kinder gekümmert.
Sie restauriert einen Stuhl, ich baue ein Kinderbett. Sie übernimmt in unseren Familienferien in Italien die Führung, weil sie die Sprache spricht. Ich habe sie im Vorfeld organisiert.
Was wie ein ausgeklügelter Plan klingt, in dem wir beide mittel- bis langfristig Tätigkeiten und Verantwortung in einem Umfang übernehmen, der nach 50/50 klingt, ist in Wahrheit nur mit Wohlwollen zu realisieren. Wir haben nicht einmal annähernd genug Zeit, um einen derart detaillierten Schlachtplan zu entwickeln und genau zu überblicken, ob wir zu jeder Vereinbarung stehen. Es ist vielmehr die Verabredung dazu, sich Haushalt, Sorge, Kümmern und Finanzen fair aufzuteilen.
Sich mal fragen: Wer macht was?
Um diese Verabredung auf stabile Füsse zu stellen, ist eine Bilanz kein schlechter Anfang. Wer macht eigentlich was? Was fällt überhaupt an? Was ist in den letzten Wochen, Monaten und Jahren gar nicht als Arbeit aufgefallen, obwohl es genau das ist. Aber von da an kommen wir nur mit Wohlwollen und nicht mit Strichlisten weiter. Ich muss mich darauf verlassen wollen und können, dass meine Lebenskomplizin und ich an einem Strang ziehen. Dass sie keinen Belastungen aus dem Weg geht, weil ihr meine mögliche Erschöpfung egal ist und sie nur an sich denkt. Dass sie mich nicht als unbezahlte unterwertschätzte Arbeitskraft missbraucht, um sich ihr Leben zu erleichtern. Und sie sollte sich ebenfalls nicht von mir über den Tisch gezogen fühlen müssen.
Damit das funktioniert, ist es unabdingbar, dass wir beide darauf verzichten, das eigene Verhalten zu idealisieren und zugleich das unseres Gegenübers zu skandalisieren. Meine Lebenskomplizin benötigt deutlich mehr Schlaf und ist trotz längerer Nachtruhe deutlich erschöpfter als ich. Das ist kein Skandal. Dieses Bedürfnis ist nicht gegen mich gerichtet. Genauso wenig wie mein geringeres Schlafbedürfnis ein heldenhaftes Ideal ist, zu dem ich mich nur ihretwegen aufraffe.
zvg
Nils Pickerts neues Buch «Lebenskompliz* innen – Liebe auf Augenhöhe», Beltz Verlag.
«Das bisschen Haushalt»
Es ist wie es ist, wir sind verschieden. In Paarbeziehungen wird es immer Diskrepanzen geben. Die Frage ist, wie man sich in so einer und in den vielen anderen Situationen auf Augenhöhe bringen kann. Dass sie ab heute kürzer schläft und ich länger, entspräche dem Gleichheitsmodell. Minute um Minute, Samstagmorgen um Samstagmorgen mit Kinderbetreuung. Keine gute Idee. Es würde vollkommen gegen unser beider Bedürfnis laufen. Es wäre allerdings auch ein schwerer Fehler, wenn sie so tun würde, als wäre da nichts. Als müsste die Tatsache, dass ich deutlich häufiger morgens die Kinder betreue und spätabends die vollkommen verkrustete Küchenablage reinige, nicht gesehen und entsprechend wertgeschätzt werden.
Es sind die Frauen, deren Arbeit übersehen wird
Die Formel «Ich profitiere zwar gerne von dem, was du tust, ignoriere es aber, damit ich mich zu keiner Gegenleistung aufraffen muss» führt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dazu, dass Paare aus ihrer Liebe füreinander fallen. Denn das ist das Gegenteil von Wohlwollen. Das ist Verrat am Herzensmenschen. Und weil es mir gelungen ist, Sie mit recht unverfänglichen Beispielen aus meiner eigenen Beziehung bis hierher zu locken, würde ich in den folgenden Sätzen gerne Klartext reden: Es sind vor allem die Frauen, die den Grossteil der gerne genommenen, aber zugleich massiv übersehenen Arbeit in ihren Familien leisten.
Frauen strukturieren die Tagesabläufe, legen mentale oder tatsächliche Listen an, besorgen Geschenke für anstehende Kindergeburtstagsfeiern, pflegen die sozialen Kontakte, putzen, kochen, kümmern sich. Frauen wenden ungleich mehr Zeit für unbezahlte Care-Arbeit auf. Gleichzeitig wird dieser Mehraufwand kleingeredet oder ganz und gar ignoriert. Das bisschen Haushalt. Mich stört der Dreck ja nicht so. Ich habe das Baby gar nicht gehört. Du kannst das sowieso viel besser als ich.
Die Arbeit des anderen sehen und wertschätzen
Das Problem ist also nicht, dass jemand in einer Liebespartnerschaft meistens kocht oder häufiger die Kinder versorgt. Das wird aus genannten Gründen zumindest phasenweise zwangsläufig so sein. Das Problem entsteht dadurch, dass der andere diesen Umstand geflissentlich übersieht. Sonst müsste er ja tätig werden. Sonst wäre er ja aufgefordert, Fairness herzustellen. Durch Wertschätzung. Durch Anerkennung. Durch Gegenleistung.
Eine faire Liebespartnerschaft macht keine halben Sachen, sondern riskiert einen Blick auf das grosse Ganze. Auf das ganz Grosse. Du und ich, wir sind der Plan. Wir verschwören uns nicht aus Bequemlichkeit mit widrigen Umständen gegen unsere Liebe. Wir verschwören uns gemeinsam gegen die widrigen Umstände dazu, uns von der Unmöglichkeit einer absoluten Gleichheit nicht die Liebe versauen zu lassen. Immerhin lieben wir uns ja auch in und wegen Verschiedenheit.
Wir nehmen nicht hin, dass diejenige den Kürzeren zieht, die mehr Care-Arbeit auf sich lädt, sondern rechnen grosszügig und liebevoll zu ihren Gunsten, ohne uns bis in die Verbitterung zu verausgaben. Wir lassen uns von einem Gleichheitszeichen keine Striche durch unsere Rechnungen machen. Wir bleiben variabel. Wir bemühen uns um Fairness. Wir halten einander.