
Aus dem «wir eltern»-Archiv
Jubiläum
90 Jahre «wir eltern»
Von Caren Battaglia und Manuela von Ah
Geburtstage sind ein Grund zu feiern und zurück zu blicken. Etwa auf 90 Jahre «wir eltern». Viel ist passiert. Ein Blick in unser Archiv.

1920er: Gesundheit und Pflege
Hauptsache rund und gesund! Nach dem Ersten Weltkrieg und der Grippeepidemie 1918/19, an der mehr als die Hälfte der Bevölkerung erkrankte und fast 30 000 Menschen starben, stehen die 20er-Jahre ganz im Zeichen des Päppelns. Wie bekommt das Baby schön rote Wangen? Was nährt? Was tun bei Husten und hohem Fieber? Das sind die Top-Themen der Zeit in der noch schwarzweissen «Elternzeitschrift». Roaring Twenties, Charleston und Frauen im Aufbruch? In Berlin vielleicht, aber nicht in Schweizer Familien...


1930er: Naturfreunde
«Aus grauer Städte Mauern, ziehn wir durch Wald und Feld.» ... Mit leichter Verspätung kommen Wandervogel- und Jugendbewegung jetzt auch in den ganz normalen Familien an. Raus in die Natur mit Rucksack und Picknickkorb, heisst die Devise. Daheim allerdings bleibt alles beim Alten: Kleine Mädchen werden gezielt zu Muttis erzogen, Buben zu echten Kerlen. Und Ungehorsam beziehungsweise wie ihm am besten beizukommen ist, ist das meist diskutierte Erziehungsthema der Zeitschrift.


1940er: Es lebe der Sport
Mag der Rest der Welt auch in Trümmern liegen, im Familienheft hat der Krieg nichts verloren. So dachte man damals offenbar. Stattdessen – vielleicht als Kontrapunkt zu Tod und Elend drum herum – wird der gesunde Körper gefeiert, Sporttipps stehen neben Fotos von fitten, rundum gesunden Menschen beim Turnen, Bockspringen oder bei der Gymnastik. Und: zahllose Bilder von glücklichen Müttern. Heile und heimelige Familienwelt als Trutzburg gegen all den Schrecken ausserhalb der Schweiz.


1950er: Die perfekte Hausfrau
So wie auf dem Bild rechts sieht das Familienideal aus. Mutti sorgt für Kind und Küche, hält dem Gatten den Rücken frei und sorgt vor allem dafür, die perfekte Ehefrau und Mutter zu sein. Wie das geht, lernt sie unter anderem in «wir eltern». Gepflegt und stets gut gelaunt, gilt es, dem «Familienoberhaupt» das Heim angenehm zu machen. Kinder sind Aushängeschilder, das Familienbild erzkonservativ. Aufbruchstimmung gibts nur im Design: Tütenlampe und Nierentisch ersetzen Bauernschrank und schwere Sessel.


1960er: Umbruchphase
«Zwei kleine Italiener...» singt Cornelia Froboess 1962 und landet damit einen Kassenschlager. Unter anderem, weil Reisen nach Italien, Urlaub am Meer erstmals für viele Familien selbstverständlicher werden. Klar, rät auch unsere Zeitschrift, wie Kinder am Strand auszustatten sind, wohin es sich zu reisen lohnt, und in welchem Kostüm Mami im Urlaub adrett aussieht. Mit den ersten «Gastarbeitern» Mitte der 60er, von denen auch der Conny Froboess-Schlager handelt, wächst das Interesse an fremden Kulturen. «wir eltern» stellt Kinder aus ganz Europa vor.
1970er: Privates ist politisch
Flower Power, antiautoritäre Erziehung, Kinderläden, Summerhill, Wahlrecht für Schweizer Frauen, Emanzipation und der Slogan, «Das Private ist politisch», bestimmen das Jahrzehnt. Im «wir eltern» findet man Geschichten über Kinder im Nordirland-Konflikt, geschlagene Frauen, Wohngemeinschaften und neue Erziehungskonzepte, in deren Zentrum die Freiheit des Kindes steht. Frech, angriffslustig, bunt – und so politisch wie nie zuvor ist das Heft. Auch Väter sind jetzt häufig im Blatt zu sehen. Mit den damals hochmodernen Zauselbärten natürlich.

Aus dem «wir eltern»-Archiv

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80er: Konsum und Medien
Haben, kaufen, zeigen ... Was kostet die Welt? Plastikspielsachen verstopfen die Regale, Schulterpolster die Jacken. Haselnussbraun gebrannte Haut, krause Dauerwellen, karierte Karottenhosen und dicke Kajalstiftbalken sind in. Gerne darf es etwas mehr sein. Konsum macht Spass. Nicht umsonst singt Madonna ihr «Material Girl». In den 80ern scheint alles möglich. «Easy go happy» heisst das Ziel. Und die neu aufkommenden Computer erscheinen als Heilsweg in die glitzernde Zukunft. Kehrseite und Gegenbewegung: Die Suche nach dem ultimativen Kick lässt auch harte Drogen florieren. Kultfilm und Buch: Christane F. Eltern suchen den Mittelweg zwischen den Extremen.

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90er: Patchwork und Internet
Verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden, neue Partner, Kinder, Stiefkinder ... In den 90ern sind Alleinerziehende und frisch anderweitig Verbandelte nicht mehr länger «Bäh!», sondern allgegenwärtig. «Patchworkfamilie», «Krippenerziehung» und «berufstätige Mütter» sind die Themen des Jahrzehnts. Ausserdem hat der Computer den Sprung vom Arbeitsgerät zum Freizeitvergnügen geschafft. Leider, finden viele Eltern angesichts der dauernd surfenden Kinder.


2000er-Jahre: Ritalin und Entspannung
In den 00er-Jahren wird das Kind zum Sonder- und Problemfall. ADHS, Hochbegabung und Legasthenie ... Ab 2000 kann das Kind alles sein, nur bitte bloss nicht normal. Jedes dritte Kind ist in Therapie. Erziehung scheint ein einziger Stress. Kein Wunder, dass auch immer häufiger Burnout bei Müttern ein Thema ist. Erst ganz langsam, unter anderem durch die Bücher Jesper Juuls, hält eine neue Gelassenheit Einzug in die Erziehung, und Yoga wird zum angesagtesten Sport. Langsam wächst die Überzeugung: Eltern sind auch nur Menschen. Zum Glück.