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Dafür & Dagegen
Tischmanieren: Darauf pochen oder pfeifen?
Tischmanieren? Unbedingt, sagt Caren Battaglia. Es gehört zur Aufgabe der Eltern, alles andere ist feige. Katja Fischer de Santi hingegen will sich mit ihren Kindern am Tisch lieber unterhalten als streiten.
Ich hasse schlechtes Benehmen. Auch das bei Tisch. Ja, auch das von Kindern. Und – nochmal ja – auch das meiner eigenen Tochter. Gerade erst heute Morgen habe ich verhindert, dass sie künftig wie ein Zyklop durchs Leben schlurft, weil ihr der Löffel in der Teetasse fast ein Auge ausgestochen hätte. Ich meine: Was hat ein Löffel beim Trinken in der Tasse zu suchen? Der gehört nach dem Rühren auf die Untertasse! In grösserer Elternrunde allerdings zu erzählen, dass man es schätzt, wenn beim Essen keine Ellenbogen, Handys oder ganze Oberkörper auf dem Tisch herumliegen, kommt sozialem Selbstmord gleich. Genauso gut könnte man sagen, man fände die Politik Nordkoreas richtig prima. Autoritär, kleinkariert, etepetete – sind da noch die mildesten Adjektive, die dann fallen.
Dabei wurde Etikette gar nicht erfunden, um sich gegenseitig zu drangsalieren, sondern als ein Set von Spielregeln, um rücksichtsvoll aneinander vorbeizukommen und seine Mitmenschen nicht zu grausen. Mich zum Beispiel. Wieso soll es ein Ausdruck von Liebe und Toleranz sein, das Kind mit der Gabel wie mit einer Mistforke hantieren oder überhaupt gleich alles mit den Händen essen zu lassen? Und wieso hoffen Mütter und Väter, dass die Kinder es «draussen» dann schon anständig machen werden? Zählen die eigenen Familienmitglieder weniger als Wildfremde im Restaurant? Wem wollen diese lockeren Eltern stattdessen die Rolle des Buhmanns zuschanzen? Denn irgendwer wird den lieben Kleinen das Schmatzen ja wohl abgewöhnen müssen, damit sie sich später nicht beim ersten Geschäftsessen blamieren. Ich finde, das abzuwälzen, ist feige. So: Und jetzt kann man mir gerne böse Mails schreiben. Aber schön höflich bleiben, bitte.
Caren Battaglia
hat einen schwachen Magen. Deshalb ist sie jedem dankbar, der bei Tisch davon absieht, Messer abzulecken, Spaghetti unappetitlich aufzusaugen oder die Nase gründlich von Innen zu reinigen.
Ellenbogen nicht aufstützen, Suppe nicht schlürfen, Spaghetti nicht schneiden, die Serviette auf den Schoss, nicht mit der Hand essen, nicht schmatzen, nicht schlingen! Und aufgestanden wird erst, wenn alle fertig gegessen haben! Und was, wenn nicht? Sofort vom Tisch? Essverbot, ein Mordsgeschrei und Standpauken an Siebenjährige über Anstand und Respekt? Hat vielleicht früher funktioniert. Heute sind die meisten Eltern ja schon froh, wenn der Nachwuchs überhaupt was Anständiges am Tisch isst. Nach stundenlangen Diskussionen, ob man Fenchel eventuell probieren könnte, dann auch noch darauf hinzuweisen, dass die Ellenbogen und die Gabel nicht in der Faust ...
Ja, ich habe irgendwann kapituliert. Irgendwann wollte ich einfach in Ruhe essen (vom Schmatzen mal abgesehen). Wollte mit meinen Söhnen über ihren Tag, ihre Freuden und Leiden reden und nicht übers Besteck. Wollte nicht einer dieser Nörgelmamas werden, denen man es nie recht machen kann. Irgendwann habe ich bemerkt, dass ich die Pizza auch ganz gerne mit der Hand esse und das Messer, sollte es gerade voller Konfitüre sein, auch mal abschlecke. Warum auch nicht, Tischmanieren verändern sich, sind Verhandlungssache und wir sind hier alle zu Hause. Das Wichtigste ist für mich, dass meine Kinder gerne mit uns am Tisch sitzen und essen. Regelmässig machen wir aber den Praxishärtetest und gehen mit ihnen auswärts essen. Und da können sie dann zeigen, was sie draufhaben. Serviette auf den Schoss, Gabel links und Messer rechts, Mund zu beim Kauen, nicht schlingen, nicht schmatzen. Sie können es überraschend gut.
Katja Fischer De Santi
hat sich daran gewöhnt, dass ihr Jüngster das Besteck falsch hält. Seine Begründung dafür ist auch erfrischend: «Falsch ist es nur, weil du die Regeln machst, bei mir ist es genau richtig.»