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Papacode
Zwischen Lego und Logik
Von Reto Vogt
KI hat kein echtes Wissen und schon gar kein Gewissen, sagt unser Kolumnist Reto. Und was das alles mit seinem Sohn und seinem Kollegen Markus zu tun hat? Lesen!
Papi, wenn ich gross bin, möchte ich auch Journalist werden. Warum, wie stellst du dir das vor? Dann kann ich am Schreibtisch sitzen und ChatGPT schreibt mir die Texte. Ich habe zuerst gelacht. Und dann geschluckt. Meine Neunjährigen lernen aktuell in der vierten Klasse, dass künstliche Intelligenz Geschichten schreiben kann. Das ist natürlich richtig – KI-Modelle wie ChatGPT können spannende Texte verfassen, Gedichte schreiben und Arbeitsblätter lösen. Oder sogar bei Mathe helfen. (Das wissen meine Jungs zum Glück noch nicht.) Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Auf der Rückseite steht kleingedruckt geschrieben: Die Antworten von ChatGPT müssen nicht stimmen. Sie basieren auf Wahrscheinlichkeit, Statistik und Mathematik. Mit Sprache im eigentlichen Sinn hat künstliche Intelligenz nämlich nichts zu tun. Besser wäre deshalb der Begriff datenbasiertes System.
Wissen das meine Jungs? Ich versuche es ihnen so zu erklären: ChatGPT ist wie mein Kollege Markus*: Er ist ziemlich schlau und weiss vieles. Aber er tut auch bei Themen, von denen er nichts versteht, so, als sei er allwissend. Und spätestens nach dem dritten Bier packt er immer die unglaublichsten Geschichten aus. ChatGPT ist wie Markus: Liebe Jungs, fragt euch bei ihm wie bei der KI: Stimmt das wirklich – oder klingt es nur gut? Wer KI sinnvoll nutzen will, muss erstens verstehen, wie sie funktioniert. Und zweitens wissen, was man fragt, wie man fragt – und wie man danach überprüft, ob die Antwort korrekt ist. Genau das wäre die Kompetenz, die Kinder (und auch der eine oder die andere Erwachsene) heute bräuchten: Nicht nur zu wissen, dass KI existiert – sondern zu verstehen, wie man mit ihr umgeht, was sie kann und besonders auch, was sie nicht kann.
Kein Thema in der Schule
In der Schule wird das aber bislang kaum thematisiert. Zumindest nicht bei uns. Da heisst es: «Schreibt mithilfe von ChatGPT ein Märchen.» Das ist nett gemeint – aber ungefähr so, als würde man den Schüler:innen einen Taschenrechner geben, bevor man ihnen erklärt, wie man plus und minus rechnet. Also versuche ich es zu Hause: Ich erkläre, dass ChatGPT nicht denkt, keine eigene Meinung hat, kein echtes Wissen und schon gar kein Gewissen. Und dass man immer hellhörig werden sollte, wenn eine Maschine so tut, als hätte sie auf alles eine Antwort. Eben wie bei Markus.
Ich würde mir wünschen, dass KI an allen Schulen erklärt wird – mit klaren Regeln, wie man sie nutzen darf. Ob das passiert? Ich habe meine Zweifel. Vielleicht täusche ich mich aber auch und KI wird irgendwann in allen Fächern ganz selbstverständlich eingesetzt. Noch ist das alles weit weg – zum Glück. Aber es ist höchste Zeit, dass wir unseren Kindern jetzt beibringen, wie man mit solchen Technologien umgeht. Nicht, weil sie sie irgendwann brauchen werden – sondern weil sie heute schon Realität sind. Medienkompetenz ist wie ein Kinderzimmer: Kaum hat man aufgeräumt, liegt schon wieder irgendwo ein Dino zwischen den Legosteinen und eine halbe Banane unter dem Bett. Es ist ein ständiges Lernen, Erklären, Augenrollen – und der Versuch, wenigstens ab und zu einen Fuss auf den Boden zu kriegen.
* Markus existiert nicht. Zumindest nicht mit diesem Namen.
Reto Vogt, 40, ist Technologie- und Digitaljournalist und Studienleiter Digitale Medien und KI am MAZ in Luzern. Er lebt mit seiner Frau und seinen Zwillingssöhnen,9, in Winterthur.