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Elternkolumne
Kinder dauerbespassen? Nicht mit mir!
Echt jetzt! Dauerbespassung und Nonstop-Förderung für den Nachwuchs? Nein danke!, sagt sich unser Kolumnist Nils Pickert. Vaterliebe geht auch anders.
Ich kapier es nicht! Auch nach 29 Bruttojahren mit Kindern beziehungsweise nach 13 Nettojahren. Die Nettozahl bemisst sich am Alter meiner Erstgeborenen, die Bruttozahl an den schieren Jahren meines Nachwuchses. In beiden Fällen kann man davon ausgehen, dass ich einiges an Erfahrung mitbringe. Ich weiss, dass Kinder lachweinen können und dass sie richtig fies werden können, wenn sie Hunger haben, ohne dass sie wissen warum. Ich weiss, dass Geschwisterstreit immer noch besser ist als wenn am Wochenende gar nichts passiert («Gar nichts» ist unter Eltern übrigens auch als nettes, entspanntes Wochenende bekannt). Viele Monde sind vergangen, in denen ich halbnackt und frierend im Zimmer des einen oder anderen Kindes stand, mich minutenlang anbrüllen liess und fragte, wie um alles in der Welt ich dieser dauerhaften nächtlichen Ruhestörung Herr werden soll.
Trotzdem begreife ich manche Dinge nicht. Zum Beispiel wie es manche Eltern schaffen, sich so vollständig auf ihr Kind oder ihre Kinder auszurichten. Das funktioniert bei mir aus mehreren Gründen nicht. Da wäre zunächst der Logistische: Wenn ich bei vier Kindern wirklich versuchen würde, allen Wünschen nachzukommen, würde dies vermutlich nicht nur unsere familiäre Welt in umfassendes Chaos stürzen, sondern auch zur Tyrannei des Kreischens oder Schlimmerem führen. Dann ist unbedingt auch noch der Romantische zu nennen: Ich liebe meine Kinder und jedes einzelne von ihnen ist ein unbedingtes Wunschkind. Aber ich liebe auch meine Lebenskomplizin sehr. Ohne sie wäre diese sechsköpfige Zaubershow weder vollständig noch auch nur ansatzweise so unterhaltsam, wie sie es mit ihr glücklicherweise ist. Meine Kinder sind toll, aber wenn ich nicht ab und an mit einem erwachsenen Menschen sprechen kann, fange ich an, mit Bäumen zu heulen und mein eigenes Gesicht zu essen. Da meine Liebste die grossartigste erwachsene Person überhaupt ist und wir uns ab und an sehen, passt das also ganz gut.
Nicht zuletzt zählt aber auch der phlegmatische Grund: Ich bin zu faul. Wie andere Eltern das machen, ist mir schleierhaft. Und dass sie mich ob meiner Einstellung womöglich einen uninteressierten Vater nennen, ist nur recht und billig. Ich schaue mir nicht jedes Handballspiel meines Grossen an, besonders wenn er mir vorab erzählt, wie beschissen es ist, überhaupt zum Handball zu müssen. Ich gehe auch nicht zu allen Elternabenden, um Dinge zu hören, die ich entweder schon weiss oder im Protokoll nachlesen kann.
Ich motiviere meine Kinder auch nicht zu besseren Schulleistungen. Natürlich könnte ich das an dieser Stelle mit einem umfassenden Plan zu Eigenverantwortung und Selbstständigkeit begründen und zweifellos existiert der auch irgendwo in einer der verkramten, überquellenden Schubladen meines Kopfes. In Wahrheit will und kann ich das einfach nicht. Ich finde den Gedanken, meine Kinder nach der Schule noch weiter beschulen zu müssen, eine Frechheit. Ich habe kein Interesse daran, als ihr Motivationstrainer aufzutreten und sie samstags um 6 Uhr morgens für Töpferkurse, Klavierstunden und Selbstverteidigung zu begeistern, wenn ihnen all das nur allzu offensichtlich am Hintern vorbeigeht. Ich will, um ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit zu bemühen, meinem Dreijährigen nicht 20 Geschichten nacheinander erzählen, weil er die halbe Stunde Stau auf dem Weg zu IKEA einfach nicht ertragen kann. Stattdessen warte ich, bis er mit seinem Wutgeheul fertig ist (kann dauern) und ermuntere ihn dann, doch mal mir eine Geschichte zu erzählen. Damit ich nicht nur in diesem Moment die Zuständigkeitsfalle umgehe, sondern er auch in Zukunft etwas Eigenes hat, mit dem er sich die Zeit vertreiben kann. Denn wie gesagt: Seine drei Geschwister gehen sich und allen, die noch im Auto sitzen, auch auf die Nerven.
Aber schliesslich erzählt er: Es war einmal ein Kran, der war pink und soooo gross. Er hatte keine Freunde und war tot. Die anderen Bäume hatten ihn umgeschubst. Aber er schubste zurück, denn er war ein Geisterkran. Ausserdem war eine Brücke in seinem Kopf.
Und wenn das nicht eine der besten Geschichten ist, die ich mir nie hätte ausdenken können, dann weiss ich auch nicht.
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