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Papacode
Endgegner Bildschirmzeit
Unser neuer Kolumnist Reto Vogt ist Papa von Zwillingsbuben. Wie alle Eltern schlägt sich der Digitaljournalist mit Themen rum wie: Wie bekommen wir die Medienzeit unserer Kinder einigermassen in den Griff. Lest selbst.
Papi, bitte noch zehn Minuten! Ganz egal, wie viel Zeit meine neunjährigen Zwillingsjungs schon am Handy verbracht haben – es ist nie genug. Immer, wenn ihre reguläre Bildschirmzeit abgelaufen ist, beginnt die nächste Verhandlungsrunde: «Ich muss nur noch dieses eine Level schaffen, um einen neuen Charakter freizuschalten!» Oder: «Ich bin mitten in einem wichtigen Turnier, wenn ich jetzt aufhöre, verliere ich alles!» Dass Felix und Bastian überhaupt ein eigenes Handy haben, war aus der Not geboren – eigentlich finde ich das auch zu früh. Aber sie fahren jeweils einmal pro Woche alleine mit dem Zug in die Stadt, um ein Förderprogramm der Schule zu besuchen. Wir dachten an Kommunikation im Notfall. Sie dachten an Games und Youtube.
Während ich mich also frage, ob ich ihnen wirklich diese zehn Minuten geben soll, fällt mir auf: Ich bin genau gleich. Nur muss ich keine farbigen Edelsteine freischalten, sondern nur noch diese eine E-Mail beantworten. Wirklich! Deshalb kann ich ihnen nicht böse sein. Auch weil ich weiss, dass die meisten Games – und letztlich auch Tiktok, Youtube und Snapchat – absichtlich so konzipiert sind, um Nutzerinnen und Nutzer davon abhängig zu machen. Das Feld der illegalen Substanzen war bei der Erfindung sozialer Medien schon besetzt, deshalb haben die Köpfe dahinter einen Weg gesucht, wie auch sie die Menschen süchtig machen können – ganz legal. Die Lösung? Ein endloser Strom aus Belohnungen, Likes und kleinen Erfolgserlebnissen, die unser Gehirn mit Dopamin fluten. Und ja, das funktioniert auch bei Erwachsenen.
Aber es soll ja auch diese Eltern geben, die stolz verkünden, dass ihre Kinder kaum Bildschirmzeit haben. Oder gar keine! Sie basteln, lesen oder schnitzen mit Taschenmessern Holzgiraffen. Ich bewundere das. Aber ich frage mich auch: Wann genau machen sie das? Haben diese Kinder nie Hunger, während das Essen noch im Ofen ist? Sind ihre Eltern nie müde? Oder haben sie einfach bessere Nerven als ich?
Raus!
Auch ich als Vater könnte konsequenter sein, die Geräte einsammeln und verkünden: «Jetzt ist Schluss, geht raus spielen!» Theoretisch. Praktisch endet das in empörtem Aufschrei, als hätte ich ihnen gerade angekündigt, dass wir ab sofort nur noch Rosenkohl essen. Leider weiss die Jungmannschaft, dass ich selbst kein grosser Gemüsefan bin. Deshalb setzen wir als Eltern auf drei Strategien. Erstens erklären wir ihnen, wie Algorithmen funktionieren, warum Youtube immer genau das nächste Video vorschlägt, das sie sehen wollen. Und wieso Games so designt sind, dass man immer noch ein Level weiterspielen möchte. Ob sie es verstehen? Ja. Ob es sie davon abhält? Eher nicht.
Zweitens nutzen wir eine Eltern-App, um die Bildschirmzeit zu limitieren (und manchmal eben um zehn Minuten zu verlängern). Und drittens setzen wir auf Strenge, gepaart mit Fingerspitzengefühl. Manchmal braucht es ein klares Nein, auch wenn der Protest laut ist. Und manchmal darf es auch ein Ja sein, zum Beispiel wenn ich selbst noch am perfekten LinkedIn-Posting rumhirne oder eben diese eine E-Mail beantworten muss – und am Ende vielleicht auch zur «Inspiration» auf Youtube lande. Schliesslich weiss ich selbst am besten, dass der Kampf gegen den Algorithmus eben nicht immer gewonnen werden kann.